Pascow – Die hohe Kunst der tiefen Schläge

Das siebte Album Sieben zu nennen ist bei einer Band, deren Debüt Richard Nixon Discopistole heißt, schon Statement genug. Aber keine Sorge, der Boden auf dem Pascow stehen, ist immer noch siffig und voller Kippen, nur muss man nicht mehr so tief graben, um die Botschaften zu dechiffrieren. Wie es dazu gekommen ist, erklären sie im Interview kurz vor ihrer Show in Hannover.

„Ich finde aus der Retrospektive betrachtet, ist es schwieriger gute Texte in einer eindeutigen Sprache zu schreiben, als in einer kryptischen“, so Schlagzeuger Ollo, der neben seinem Bruder und Frontmann Alex, Gitarrist Swen und Bassist Flo im Backstagebereich des Kulturzentrum Faust in Hannover sitzt – knapp drei Jahre, nachdem im Corona-Lockdown die ersten neuen Songs entstehen. Ollo muss es wissen, spielt er seit 1998 in einer deutschsprachigen Punkrockband, die es bestens versteht, Codierung, Gehirnschmalz und Fremdzitate in Songtexte einzuweben, die in einer gerechten Welt jedes weiße Bürogebäude schmücken würden. Die Abkehr von „kryptischer Scheisse“ beginnt auf Diene der Party (2013), mit der die Band ein Publikum abseits von Black-Flag-Shirts und OX-Abo erreicht, und wird zunächst auf Jade (2019), jetzt auch auf Sieben weiter fortgeführt. Das heißt für Haupttexter Alex: persönlichere Themen, klarere Sprache, und raus aus der Komfortzone. „Das war schon eine Herausforderung, eine emotionale Herausforderung“, erinnert er sich zurück, „(…) diesen Schritt zu gehen, das hat auf jeden Fall eine Zeit lang gebraucht, da musste ich mich auch erst mal bei Ollo, und dann bei den Anderen absichern, ist das okay, das so zu machen?“ Ist okay, gelingt fabelhaft, auch weil die Texte zwar konkret sind, aber immer noch genügend Interpretationsspielräume lassen, um sich sein eigenes Ich dazu zu denken. Und auch, weil Alex – egal, ob bei Außenseitergeschichte, Zeitgeistbetrachtung oder Liebeslied eine Disziplin beherrscht, die Ollo als ‚Die Kunst der tiefen Schläge‘ bezeichnet, „dass man mit alltäglichen Worten etwas kreieren kann, was nicht alltäglich ist“. Das habe ihn etwa an der aktuellen Thees Uhlmann-Platte begeistert. Nachzuhören in Pascow-Songs wie Daniel & Hermes, das LoFi-Singer/Songwriter Daniel Johnston und dem Wiener Künstler Hermes Phettberg ein musikgewordenes Denkmal baut: „Du wurdest nie das was du solltest/ Nur das, was du jetzt bist/Und in keinem Team/Hat dich je wer vermisst/Deine Lieblingslieder/Spielt das Radio nie/Du hast ein Zimmer, das stinkt/Und ein Herz…so groß wie Wien“. Wie ist es zu dem Text gekommen? Alex erklärt: „Hermes Phettberg lebt total verarmt, hatte mal seine große Zeit, und Daniel Johnston hatte nie seine große Zeit, aber immer Musik gemacht, und das ist für mich interessant, inspirierend – nur der Kunst wegen Kunst machen.“

Pascow waren schon immer die Band, die die richtigen Dokus geschaut, die richtigen Bücher gelesen haben, und in ihren Songs davon erzählen. Tom Blankenship ist nach dem gleichnamigen realen Nachbar von Mark Twain benannt, der diesem als Vorbild für die Figur des Huckleberry Finn diente, Grüßt Eve handelt von den Robotern aus dem Wall-E-Kosmos. In den Songs dazwischen ist Platz für ungeschönte Wahrheiten und unbequeme Fragen, so auch in Von unten nichts neues: „Und wenn alt werden sich noch lohnt/Warum muss meine Mutter dann/Mit 74 Jahren noch ran/Und jeden scheiß Tag zur Arbeit gehen?“ Monde steht als Beispiel dafür, wie ein Text aus einem Austausch zwischen den beiden Brüdern entsteht. „Bei Monde habe ich gefühlt zwei Strophen oder drei Strophen und keinen Refrain an Alex geschickt, zurück kam dann noch eine Strophe von mir, und der Rest wurde dann wieder weggebügelt, aber das ist ja auch okay, das ist ja Teamwork“, erklärt Ollo den Entstehungsprozess. Kognitive Dissonanz ist das Stichwort bei Gottes Werk & Teufels Beitrag, das der Schlagzeuger als „Rundumschlag, der dich selber auch trifft“ beschreibt: „Das ist für uns auch nochmal so ein Arschtritt, wir haben ja auch Möglichkeiten, Dinge in unserem Leben, in unserem Konsum, in unserem Umfeld, im Umgang mit Menschen, im Umgang mit der Natur zu einem besseren zu machen, erliegen aber oft auch selbst der Faulheit oder dem Komfort, man will ja selber auf viele Sachen nicht verzichten“. Alex ergänzt: „Es zeigt mehr, dass es ganz viele Themen gibt, mit denen man sich arrangieren kann, mit denen man weiß, dass es in irgendeiner Form nicht gut ist, wenn man raucht, weiß man auch, dass es für einen nicht gut ist, und macht es trotzdem“, und weiter: „Egal für wie viel korrekt der erleuchtet du dich hältst, auch du hast Leichen in deinem Keller, was deinen Leben angeht. Das ist damit auch gemeint.“ Die Elite fickt die Elite.

Die neue Direktheit der Texte spiegelt sich auch in der Musik wieder, im Vergleich zum experimentierfreudigen Vorgänger Jade wählt Sieben den direkten Weg ins Punkrock-Herz. Von Anfang an geplant war das nicht: „Dass das so straight dann ablief bei der Songwriting-Session das wussten wir vorher nicht, also das war wirklich so aus dem Bauch raus“, so Alex. „Unsere Angst war eher bei der Zusammenarbeit mit Kurt (…), dass es zu groß wird, zu dick, was Kurt ja auch gut kann“. Kurt, das ist Kurt Ebelhäuser, Gitarrist von Blackmail, Produzent etwa von den letzten beiden Donots-Platten, in dessen Tonstudio 45 Sieben entstanden ist. Gemeinsam mit Ebelhäuser und Michel Wern arbeiten sie so lange an den Songs wie bei keiner Platte zuvor, besonders lange widmen sie sich den Gesangsaufnahmen. Allein an dem Gesang für Monde sitzen sie fast zwei Stunden, ähnlich intensiv fällt die Arbeit an den Backgroundgesängen aus. Dass die Arbeit am Gesang von Anfang an Ziel war, ist unter anderem auf Diene der Party zurückzuführen: „Wir hatten ja auf Diene der Party keine Refrains, oder so gut wie keine Refrains, weil ich auch oft gedacht habe, ein Refrain klingt oft gefällig, oder wenn das so ein Ohrwurm ist, dann finde ich das auch oft nicht gut, und dann fand ich es immer cooler, wenn die Gitarre dann das Hauptthema spielt (…), aber dieses Mal war schon nen Ziel immer einen Refrain zu haben, der einen aber nicht auf den Sack geht.“ Mailand, Ich bin klar, oder das tolle, gemeinsam mit Apokalypse Vega von Acht Eimer Hühnerherzen gesungene Königreiche im Winter sind Zeugnisse dieser erfolgreichen Zielsetzung. Musikalisch balancieren die vierzehn neuen Songs zwischen geradlinigem Punkrock, Metal-Riffs und dem Wunsch nach Weiterentwicklung, was sich etwa in dem Geigenintermezzo in Mailand zeigt, das dennoch unverkennbar nach Pascow klingt.

„Die neuen Songs haben es recht schnell bei den Leuten ins Bewusstsein geschafft (…), als wir die neuen Songs zum ersten Mal gespielt haben, haben wir gedacht, ‚oh okay, ich glaube, die neuen brauchen noch ein bisschen, aber schon am dritten Tag wurden sie genauso mitgefeiert wie die alten “, erklärt Alex zu Beginn des Interviews, „das hat auf den anderen Platten etwas länger gedauert.“ Was er damit meint, lässt sich zwei Stunden später beobachten, als Pascow die Bühne vom bis unter die Decke gefüllten Faust betreten, alle Zeilen werden inbrünstig mitgesungen, egal ob der Song Trampen nach Norden oder Vierzehn Colakracher heißt. Menschen werden auf Händen getragen, wenn jemand hinfällt, Kreis gebildet, aufgeholfen, weiter. Unter den Besucher*innen auch einige Kinder. Zwischen den Songs erkundigt sich die Band, ob alles in Ordnung ist, sich alle wohl fühlen. Danach: verschwitzte Gesichter, erschöpfte Körper und endlich mal ein so ausgelassenes Konzert, wie man sie sich 2020/2021 Post-Lockdown-Zeiten ausgemalt hat. Draußen sprechen einige von der besten Pascow-Show, die sie je gesehen haben – auch ein Ergebnis der Unmittelbarkeit der neuen Songs. Und da ist sie wieder, die Kunst der tiefen Schläge.