Livereview: Beartooth + Support, Schlachthof Wiesbaden, 22.02.2020

Fast anderthalb Jahre nach dem Erscheinen ihres dritten Albums Disease spielen Beartooth endlich die erste vollwertige Headliner-Tour auf dem europäischen Festland und im Vereinigten Königreich mit dem noch aktuellen Album. Das bedeutet ausnahmslos ausverkaufte Konzerte, schweißtreibende Moshpits und jede Menge Feuer.

Higher Power

Im Gegensatz zu Beartooth haben sowohl The Amity Affliction als auch Higher Power gerade erst ein neues Album veröffentlicht. Dementsprechend steht 27 Miles Underwater heute im Mittelpunkt der halbstündigen Show, alte Songs vom 2017er Debütalbum Soul Structure gibt es aber auch. Es sind jedoch die neuen Songs wie das abschließende Seamless oder Low Season, die eine erste Energie im Publikum auslösen und auf Anhieb zünden, ganz egal ob einem der zwischen schrillen Klartönen und giftigen Schreien changierende Gesang von Frontmann Jimmy Wizard zusagt. Falls nicht, dürfte dies auch an einem mäßigen Sound liegen, den leider viele erste Bands eines Konzertes umgibt, der aber gegen Ende des Auftrittes von Higher Power deutlich besser ausfällt und die Riffs der Gitarristen Louis Hardy und Max Harper deutlich druckvoller aus den Boxen schießen lässt als zu Beginn.

The Amity Affliction 1

Während Beartooth aktuell auf dem vorläufigen Erfolgs-Zenit ihrer Karriere angekommen sind, haben The Amity Affliction diesen schon längst hinter sich gelassen. Dass das australische Quartett unbeirrt weiter regelmäßig Alben veröffentlicht, ist mehr als lobenswert, durch die darunter leidende Qualität stellt sich die Band allerdings selbst ein Bein. Bereits This Could Be Heartbreak wurde 2016 mit gemischten Reaktionen aufgenommen, Misery fand aufgrund seiner elektronischen Experimentierfreudigkeit dann noch weniger Anklang und nur anderthalb Jahre nach dem Erscheinen des sechsten Albums hat die Band mit Everyone Loves You… Once You Leave Them während der Tour und einen Tag vor dem heutigen Konzert ihr siebtes Album veröffentlicht, das sich qualitativ neben den beiden Vorgänger-Platten einreiht.

The Amity Affliction 2

Immerhin gibt es mit dem Intro Coffin, dem Blastbeat-Gewitter All My Friends Are Dead und dem melodischen Soak Me In Bleach auf der laufenden Tour die drei besten Songs der Platte auf die Ohren. Gleiches gilt leider nicht für den 45-minütigen Auftritt der Band. Das Geschrei von Frontmann Joel Birch ist wie auf den jüngsten Tonträgern der Band phasenweise nur schwer zu verstehen und die ergänzenden Screams von Bassist und Klarsänger Ahren Stringer klingen wie die ersten Gehversuche eines angehenden Black-Metal-Vokalisten. Den Cringe-Faktor schraubt wiederum der Elektro-Pop-Gehversuch Feels Like I’m Dying nach oben. Wenigstens ballern alte Hits wie Open Letter oder Pittsburgh ordentlich, was das Publikum mit zahlreichen Moshpits quittiert.

Beartooth 1

Eine Tour als Haupt-Support von Architects und ein ausgiebiger Festivalsommer: Seit dem Erscheinen von Disease im September 2018 haben sich Beartooth ein gewaltiges Publikum erspielt, insbesondere hierzulande, was die sieben ausverkauften Konzerte in Deutschland auf der aktuellen Tour verdeutlichen. Auf dieser steht natürlich das dritte und namensgebende Album im Mittelpunkt der Shows, hinter den Kulissen arbeitet die Gruppe beziehungsweise Sänger und Songschreiber Caleb Shomo allerdings bereits am vierten Album, das wahrscheinlich noch in diesem Jahr erscheinen wird. Von Abnutzungserscheinungen fehlt im Laufe der 75-minütigen Show dagegen jede Spur. Schon beim eröffnenden The Lines gleicht die rappelvolle Schlachthof-Halle einem riesigen Indoor-Trampolin, auf dem jede Person mal in die Luft springt, bestenfalls natürlich gleichzeitig.

Beartooth 2

Im Verlauf des Auftritts wird deutlich, dass die zahlreichen und in so gut wie jedem Song vorhandenen Breakdowns über keine großen Variationen verfügen, dennoch evoziert jeder einzelne von ihnen einen Moshpit nach dem nächsten, der eine größer als der andere. Shomo scheint das nicht zu reichen, gegen Ende von You Never Know stachelt er das Publikum zum „Chaos stiften“ an. Die Folge: Ein Pit, der eher an einen Gefängnisaufstand erinnert. Da passt es auch wunderbar ins Bild, dass auf der Bühne bei einem Großteil der 16 Songs die Flammenwerfer das Feuer bis zur Hallendecke in die Luft schießen. Für eine Verschnaufpause auf als auch vor der Bühne sorgt ein Solo von Schlagzeuger Connor Denis, während Sick Of Me kurze Zeit später den Boden für den melancholischsten Moment des Abends bereitet: „It’s like holding on/ When my grip is lost/ I still feed my insecurity when I know the cost/ Is it taking over?/ Will it bury me?/ Or will clarity become the cure for my disease?”, schreien die 2.400 Konzertbesucher mit Shomo im Refrain von Disease, das den regulären Konzertteil beschließt. In Between lässt als einzige Zugabe orangefarbenes Konfetti durch die Luft wirbeln, bevor Beartooth in den Katakomben der Halle verschwunden sind und sich die Wirkung dieses energiegeladenen Rettungsankers in den Köpfen der Besucher verankert.

© Fotos von Valentin Krach