Lygo haben Anfang September mit ihrem zweiten Album “Schwerkraft“ untermauert, wieso sie kurz davorstehen, in den deutschen Punk-Olymp aufzusteigen. Live gehören sie bereits dazu, wie sie im Wiesbadener Kesselhaus unter Beweis gestellt haben.
Zunächst gilt es aber erst einmal, den grandiosen Auftritt von Havarii. zu verdauen. Das Hamburger Quartett bekommt eine ganze Dreiviertelstunde Zeit für sich zu werben, schließlich ist die Show in der hessischen Landeshauptstadt bereits die neunte von insgesamt 15 und für Havarii. zugleich die letzte der Tour, die verbleibenden sechs Shows dürfen Anorak das Aufwärmprogramm bestreiten. Die bislang auf die EPs “Hals über Kopf“ (2013) und “Am Ende des Anfangs“ (2015) gebannte Musik der Norddeutschen klingt, als hätten Fjørt einen zweiten Gitarristen eingestellt, der in atmosphärische Post-Rock-Gefilde vordringt. Sängerin und Bassistin Mareike pendelt zudem gekonnt zwischen aufgeregtem Gesang und leichtem Geschrei, auch im neuen Song “Zwischen Welten“, der demnächst auf einer weiteren EP erscheinen soll. Wir warten solange sehnsüchtig auf das Debütalbum.
Dieses Stadium haben Lygo bereits hinter sich gelassen. Auf das 2014er Debüt “Sturzflug“ folgte 2016 die EP “Misere“ und nun eben “Schwerkraft“. Das zweite Album steht folgerichtig auch im Fokus der Show und wird zumindest zu einem Viertel in der richtigen Reihenfolge vorgetragen. Nach “Alles ist egal“, “Festgefahren“ und “Lippen blau“ folgt mit “Da sind Fragen“ allerdings der Opener von “Misere“. Schon früh spürt das Publikum die große Spielfreude des Bonner Trios und lässt sich von dieser anstecken um sämtliche Berührungsängste abzulegen. Es wird mitgesungen, gemosht und zwischen den Songs auch mal die Liebe gestanden. Das sorgt bei den Deutschpunks für leicht peinliche Berührung. Dieser entkommen sie mit dem was sie am besten können: Kleine Läden abreißen. Obwohl keine 100 Leute den Weg ins Kesselhaus gefunden haben, herrscht eine Stimmung, als wäre nicht der kleine Club, sondern die benachbarte Halle rappelvoll. Lygo schaffen es, dass man während den gut 70 Minuten und ganzen 19 Songs die zahlreichen Probleme außerhalb des Clubs vergisst und der ganzen angestauten Wut und Energie eine Plattform verleiht. Mehr geht nicht.
© Fotos von Valentin Krach