,,Eine Punk-Show zeichnet aus, dass jeder aufeinander Acht gibt und Leute, die im Moshpit hinfallen, aufgeholfen wird. Und dass alle beim Betreten der Eingangstür den ganzen Mist da draußen vergessen und alle Individualität abgelegt werden und jeder gleich behandelt wird.“ Frank Turner hat selbst die perfekte Beschreibung für das Konzert im Wiesbadener Schlachthof gefunden, das er mit seiner Begleitband The Sleeping Souls abgeliefert hat.
Es ist gerade einmal 19:30 Uhr, als Xylaroo die Bühne im noch halb gefüllten Schlachthof betreten. Die akustische Musik der Schwestern Coco und Holly Chant mit nur einer begleitenden Akustikgitarre dient als perfekter Auftakt für einen langen Konzertabend und um sich von der Atmosphäre aufsaugen zu lassen. Im 25-minütigen Set greift das Duo vor allem auf Songs ihres 2015 erschienenen Debütalbums „Sweetooth“ zurück, covert aber auch den Red-Hot-Chili-Peppers-Klassiker „Under The Bridge“, was erstes Hüftschwingen im Publikum evoziert. Dass die Schwestern auch lauter können, stellen sie bei der anschließenden Aftershow-Party im benachbarten Kesselhaus unter Beweis, bei dem sie sich nicht gerade kontaktscheu zeigen und sich unter die feiernden Fans mischen.
Zuvor zeigen jedoch noch Pup, wieso sie zu den aktuell besten Garage-Rock-Bands gehören. Obwohl die Kanadier bereits Ende Mai ihr drittes Album fertig aufgenommen haben, gibt es immer noch keine offizielle Ankündigung bezüglich des Erscheinens oder gar Musikalisches. Und so kommt es, dass weiterhin das zweite Album „The Dream Is Over“ von 2016 den Mittelpunkt der 30-minütigen Performance darstellt. Der Nachfolger des 2013 veröffentlichten Debütalbums zitiert mit seinem Titel die ärztliche Prognose, die Frontmann Stefan Babcock bekam, nachdem er seine Stimmbänder stark beeinträchtigt hatte. Dies hört man ihm phasenweise noch an, wenn er vom klaren Gesang ins dreckige Geschrei wechselt, allerdings ohne großartig zu stören. Den fantastischen Übergang vom Opener „If This Tour Doesn’t Kill You, I Will“ zu „DVP“ meistert das Quartett auch live und spätestens mit „Reservoir“ holen Pup jeden Konzertbesucher ab. Beim finalen „Sleep In The Heat“ können sich die sympathischen Durchstarter dann auf einen Chor aus tausenden Kehlen verlassen, was für sichtliche Glückseligkeit in den Gesichtern der Garage-Punker sorgt. ,,Wir sehen uns bald wieder“ verkündet Babcock zum Abschied. Mit Sicherheit mit einer neuen Platte im Gepäck.
Den Kater nach der ausverkauften Show in der Hamburger Sporthalle mit 7.000 Besuchern hat Frank Turner mittlerweile abgelegt. Das gute Gewissen des Singer/Songwriter-Folk-Punks steht pünktlich um 21 Uhr mit seiner Begleitband The Sleeping Souls auf der Bühne des seit einem halben Jahr ausverkauften Schlachthofs. Mit „1933“ spielt sich Turner direkt die angestaute Wut über den katastrophalen Zustand der Welt von der Seele, was das Publikum dankend annimmt und den ersten Moshpit nicht lange auf sich warten lässt. Direkt im Anschluss zeigt er zu „Blackout“ seine neu gewonnenen Qualitäten als Pop-Musiker und schüttelt ohne umgehängte Gitarre eifrig Hände im Fotograben. „Little Changes“ wird zum Indiepop-Tanzfest – auf die kürzlich veröffentlichte deutsche Version „Kleine Schritte“ kann Turner noch nicht zurückgreifen, dafür singt er „Eulogy“ in einer deutschen Version, die ihm einst ein Fan hat zukommen lassen, um Gästelistenplätze zu ergattern. Der Opener des 2011er Werkes „England Keep My Bones“ leitet zudem eine ganze Reihe deutlich älterer Songs ein, auf die Turner in den zehn zuvor gespielten Songs verzichtet hat. Vom „grünen“ Album gibt es danach noch „If Ever I Stray“ und vom 2009 erschienenen „Poetry Of The Deed“ „Try This At Home“ und „The Road“, bevor The Sleeping Souls nach „The Opening Act Of Spring“ die Bühne verlassen und Turner einige Songs alleine performt.
„Cowboy Chords“ leitet die Akustik-Session ein, die mit „Song For Josh“ – Turner schrieb den Song für einen engen Freund, der sich vor einigen Jahren das Leben genommen hat – und „The Ballad Of Me And My Friends“ vom Debütalbum „Sleep Is For The Week“ zur höchst emotionalen Angelegenheit wird, die glücklicherweise nur kurz von einigen pöbelnden Holzköpfen gestört wird. Danach geht es in Vollbesetzung weiter und zu „Out Of Breath“ fordert Turner einen riesigen Circlepit – und bekommt ihn. Während der 105 Minuten, in denen Turner ganze 25 Songs spielt, ist der Brite nicht nur gewillt, sein Publikum zu ermutigen, sondern auch für viele Scherze zu haben. Kurz prahlt er mit seinem historischen Wissen über die hessische Landeshauptstadt, dann gibt er seine etwas unausgereiften Deutschkenntnisse zum Besten und eine Motörhead-Lederjacke krönt er unverfroren zur Essenz einer jeden Punk-Show. Diese findet während der Zugaben nach „Don’t Worry“ und „I Still Believe“ mit dem wilden „Four Simple Words“ ihren Höhepunkt. Turner lässt sich einmal komplett durch die Halle tragen und findet sogar noch Zeit für ein kurzes Tänzchen mit einem weiblichen Fan, bevor im finalen „Polaroid Picture“ die Mitglieder von Pup und Xylaroo den Chor verfeinern und das Publikum miteinander schunkelt und die letzten Momente einer fantastischen Show wie einen Schwamm aufsaugt.
Dieser wird bei der anschließenden Aftershow-Party ausgewrungen, bei der Frank Turner himself noch ein 90-minütiges DJ-Set spielt und von Refused über Green Day bis hin zu System Of A Down ordentlich abliefert und zwischendurch auch noch Zeit für Fotos mit Fans oder gemeinsames Schnapstrinken findet. Man muss ihn einfach mögen, diesen Frank.
© Fotos von Valentin Krach