Livereview: Dance Gavin Dance, Tower Bridge, Sacramento, Kalifornien, 19.12.2020

Es ist endlich soweit: Livestreaming ist in unserer jetzigen Weltlage zu dem Medium herangewachsen, dass es Anfang des Jahres sein wollte – eine Chance, um unkonventionelle und unbedachte Dinge auf die Fernsehbildschirme zu bringen. Egal ob Code Orange mit ihrer fantastischen Halloween Show, Architects in der Royal Albert Hall oder andere Künstler: als Rettung vor dem totalen Funkschluss der Live Branche und kreativer Arbeit dahinter möchten viele mit dem Streamingzepter schwingen. Hierunter fallen auch Dance Gavin Dance, die sich unter dem Banner ihrer Tree Sessions als Drehort die nun verkehrsstille Tower Bridge in Sacramento vorgenommen haben.

Mit warmem Licht gefüllte Totalen der imposanten Brücke zeichnen die sonst von Autos zugestaute Bühne für die Performance ab, von Verkehr ist keine Spur zu sehen. Auf einer zirkulären Platte stehen alle Mitglieder versetzt und in individuelle Kameras blickend bereit, wie es Muse oder U2 auch auf ihren 360 Grad Touren taten. Mehrere Bandmitglieder wählen blumendurchtränkte Shirts, die wohl mehr oder weniger das verbildlichen, was hier im Stream kommen mag.

Mit The Backwards Pumpkin Song werden Zuhörer ganz ihren Erwartungen entsprechend mit verschiedensten Veröffentlichungen konfrontiert, da fast jedes Lied des Sets einer anderen LP angehört. Das mit großer Fingerfertigkeit belohnte Quintett packt in seine Songauswahl nämlich noch eine Schippe drauf: Sämtliche gespielten Lieder resultieren aus Fanabstimmungen, was zu einer äußerst karriereumfassenden Setlist führt. Angesichts der vielen Formationswechsel über die Jahre macht Blue Dream seine späte Rückkehr seit 2011, und wird mit dem später der Band beigetretenen Sänger Tillian Pearson aufgeführt.

Spätestens hier ist festzuhalten, dass das technische Niveau der Band immens hoch ist, und im Kontrast zu vielen Bands steht, die sich gerne auf Studiohexerei verlassen, um gut zu klingen. Der „neueste“ Frontmann zählt zu den wohl besten Sängern der Szene, und erklimmt problemlos keifende Höhen neben vom Spaß gesteuerten Tanzschritten. Technisch messerscharf rast die Gruppe irrwitzig durch Arpeggiohölle und Gesangsregister zugleich, was gewissermaßen das bezeichnende Element Dance Gavin Dances ist. Faszinierend aber auch ernüchternd hierbei ist, dass die Band es bisher geschafft hat, sich konsistent auf ihre speziellen Sound zu stützen, und somit auch eine solide Fanbasis geschaffen hat. Anders als die Mehrzahl gängiger Post-Hardcore Acts verwendet Gitarrist Will Swan bei seinen Kompositionen fast nie Powerchords, sondern schwebt vorzüglich im 6/8 Takt mit seinen Händen allein über den höheren Bundstäben, während Mess Galle spuckt (Son of Robot, Stroke God, Millionaire).

Wenn gleich dieser bezeichnende Ansatz den Kern ihrer Musik bildet, wird die Performance längerfristig gesehen jedoch träge. Synthesizer Interludes unterlegen an sich eindrucksvolle Bilder der Tower Bridge, blockieren aber jegliche Chance, noch mehr Leben in die Performance zu bringen. Das ist etwas problematisch, da Pearson und Screamer Jon Mess kein einziges Wort zu verlieren haben. Schade, denn so wirkt das ganze wie eine perfekte Generalprobe, die man gerne später nochmal in besser darbieten würde. So ist es ein wenig bedauernswert, dass das Konzert trotz seines großen Fokus auf Fanfavoriten wahrscheinlich auch nur die Interessen eben dieses Publikums mit dem Stream bedient. Aber eines sei gesagt: wenn man einmal Fan dieser Band wird, versaut man sich die Musik der meisten Genrekollegen im Handumdrehen.

Dance Gavin Dance spielten:

The Backwards Pumpkin Song
Uneasy Hearts Weigh the Most
NASA (first time live since 2015)
Blue Dream (first time live since 2011; first time live with Tilian Pearson)
Strawberry Swisher Pt. 3
Jesus H. Macy (first time live since 2015)
Stroke God, Millionaire
Awkward (first time live since 2015)
Summertime Gladness
Man of the Year
Inspire the Liars
Son of Robot
Evaporate
Strawberry’s Wake
Nothing Shameful (live debut)