Blood Command-Sängerin Nikki Brumen im Interview über das neue Album “Praise Armageddonism“

Blood Command veröffentlichen heute ihr neues Album Praise Armageddonism. Das vierte Album der norwegischen Band ist zugleich das erste Album mit der neuen Sängerin Nikki Brumen, die bis 2020 noch bei der australischen Band Pagan aktiv war. Im Interview erzählt sie, wie es zur Kontaktaufnahme zwischen beiden Parteien gekommen ist, von den Herausforderungen, die die Albumaufnahmen mit sich gebracht haben und wie sie durch ihre neue Stelle ihre bislang dunkelste Phase in ihrem Leben hinter sich gelassen hat.

Im Sommer 2018 ist die Begeisterung groß, als gefühlt aus dem Nichts Black Wash, das Debütalbum einer Band namens Pagan, erscheint. Ein Hardcore-Album mit knallenden Rock’n’Roll-Riffs im Sinne von The Bronx und mehr als gelegentlichen Black-Metal-Attacken, auch dank des fauchenden Geschreis von Frontfrau Nikki Brumen. Die entpuppt sich spätestens ein Jahr später auf Europatour als Rampensau, indem sie sich wie besessen auf der Bühne rekelt und Rotwein über ihr vorzugsweise weißes Oberteil ausleert. Anfang 2020 ist plötzlich Schluss. Es folgen zwei letzte Shows in der Heimat Melbourne und Pagan sind im Februar 2020 Geschichte. „Einige der Jungs hatten einfach keine Lust mehr, diese Art von Musik zu machen“, erzählt Brumen heute. „Sie wollten sich auf andere Dinge in ihrem Leben konzentrieren und sich vom Touren zurückziehen.“ Für die Sängerin sieht die Gefühlslage jedoch gänzlich anders aus: „Ich war zu dieser Zeit sehr glücklich, in einer tourenden Band zu sein und hatte endlich herausgefunden, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Ich war überhaupt nicht bereit für das Ende der Band und hatte das auch nicht erwartet, weswegen mich die Trennung sehr mitgenommen hat.“
In der Folge ist Brumen ratlos, was sie als Musikerin mit ihrem Leben anfangen soll. Als sie die Auflösung von Pagan auf ihrem Instagram-Account bekanntmacht, fragt sie am Ende trotzig, wer eine Sängerin brauche. Die Sterne stehen goldrichtig, müssen sich doch Blood Command zur selben Zeit der Auflösung von Pagan auf die Suche nach einer neuen Sängerin machen, da die damalige Frontfrau Karina Ljone die Band aufgrund ihrer Schwangerschaft verlässt. Gitarrist Yngve Andersen war Brumen zufolge noch während dem Bestehen von Pagan auf die australische Band gestoßen und konnte sich Brumen schon damals als Sängerin seiner Band vorstellen. Als bei Blood Command Bedarf besteht und er vom Exitus von Pagan erfährt, schreibt er ihr eine Facebook-Nachricht. Als sie vom Angebot erfährt, die neue Sängerin von Blood Command zu werden, zögert sie nicht lange: „Ich habe sofort Ja gesagt, weil ich schon Jahre vorher ein Fan von Blood Command war. Als ich noch bei Pagan war, habe ich ein Interview gegeben und gesagt, dass Blood Command zu meinen fünf liebsten Bands des Jahres gehören und dass sie wie eine Pop-Version von Pagan klingen. Es war die perfekte Gelegenheit zur perfekten Zeit.“

Und für Brumen ein Silberstreif am dunklen Horizont, hatten sich nicht nur Pagan aufgelöst, sondern war ein halbes Jahr zuvor ihr Vater verstorben. Im Herbst 2020 verliert sie zudem ihre Mutter an Krebs, ihre damalige Beziehung zerbricht und die Pandemie ist ebenfalls in vollem Gange. Nachdem sie Andersen ihre Zusage gegeben hat, schickt er ihr das mit den Vocals von Ljone bereits fertig aufgenommene und gemasterte vierte Album der Band, Praise Armageddonism. „Viele der Texte beziehen sich darauf, ein Außenseiter, aber in der Lage zu sein, das hinter sich zu lassen“, sagt Brumen. „Es geht darum, sein inneres Selbstwertgefühl zu finden und sich von den Leute abzuwenden, die versuchen, dich zurückzuhalten und neidisch auf das sind, was du tust. Als ich den Gesang für das Album aufgenommen habe, habe ich viel davon durchgemacht. Ich hatte mit ein paar Beziehungen zu tun, bei denen Leute versucht haben, mich von dem abzuhalten, was ich tue, und mit mir zu konkurrieren. Ich bin nicht so. Ich kümmere mich um meinen eigenen Weg und nicht um den von anderen Leuten. Die Texte haben mich in vielen Songs sehr angesprochen und ich konnte ihnen meinen eigenen Stempel aufdrücken, weil ich über sehr persönliche Situationen nachdenken konnte, die ich durchgemacht habe.“
Dennoch stellen die Gesangsaufnahmen die Sängerin vor eine Herausforderung. Hatte Brumen bei Pagan nahezu nur gutturalen Gesang beigesteuert, muss sie nun zwischen Geschrei und mitunter fast unmenschlich hohen Klargesang wechseln. „Wenn es nach mir ginge, hätte ich sie eine Tonart tiefer haben wollen, um ganz ehrlich zu sein“, gibt sie zu. „Ich finde sie unglaublich schwierig zu singen.“ Nachdem sich Brumen mit der Platte vertraut gemacht hat, steigen bei ihr die Selbstzweifel, ob sie dazu in der Lage sei, die Songs so aufzunehmen. „Ich habe mich gefragt, wie ich als Künstlerin am besten aufhöre, an mir zu zweifeln und nervös zu sein“, berichtet sie. „Der Weg für mich und sicherlich viele Künstler*innen, diese Gefühle zu überwinden, ist Vorbereitung. Ich habe angefangen, fünfmal pro Woche zu Hause zu singen, ich habe während meiner Mittagspausen im Home-Office gesungen und die Nachbarn in meinem Wohnblock in den Wahnsinn getrieben, ich habe zweimal pro Woche Gesangsunterricht genommen, ich habe sogar auf eigene Faust Proberäume gemietet, um die Instrumentalversionen der Songs aufzudrehen und mit einem Mikrofon dazu zu singen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie ich es live machen würde. Nachdem ich die anfänglichen Zweifel überwunden hatte, wurde mir klar, dass ich schon mein ganzes Leben lang singe. Als Kind konnte ich schon ganz gut singen, ich hatte mein ganzes Leben lang aber nie das Gefühl, gut genug zu sein. Als ich diesen Gedanken hinter mir ließ, dachte ich endlich ‘Wow, ich kann das und ich kann es wirklich gut‘.“

Mit A Villain’s Monologue erscheint im Juni 2021 zeitgleich zur Verkündung von Brumen als neuer Sängerin die erste Zusammenarbeit der norwegischen Band und der australischen Sängerin. Ein furioser Song, bei dem sich ihr Geschrei aufgrund des hohen Tempos stellenweise fast überschlägt, der sowohl ordentlich nach vorne geht als auch Platz für einen kurzen Refrain mit Ohrwurm-Charakter bereithält. Besser hätte sich Nikki Brumen als neue Blood-Command-Sängerin nicht vorstellen können. Während A Villain’s Monologue so klingt, als hätten Blood Command einen Pagan-Song geschrieben, stellt die zweite Single The End Is Her für Brumen gänzlich neues Territorium dar. Nach einem eingängigen Riff tanzt sie sich mit Klargesang durch die Strophen, den sie auch beibehält, wenn der Rest der Band zum Refrain die Türen eintritt. Beide Songs stehen dabei jeweils für ein musikalisches Kennzeichen von Praise Armageddonism. Es wird teils unverschämt poppig wie in The End Is Her oder dem zuvor noch mit Gesang von Ljone veröffentlichten Saturday City, ohne jedoch die Charakteristika einer Rockband zu vergessen, und dann gibt es Songs wie eben A Villain’s MonologueNuns, Guns & Cowboys oder Burn The Blasphemer, die dicke Riffs und Brumens unverkennbares Geschrei auffahren und für wüste Moshpits sorgen werden. Abgeschlossen wird Praise Armageddonism vom knapp achtminütigen Last Call For Heaven’s Gate, in dessen Mitte die Band das Tempo fast komplett rausnimmt. Zu einem okkulten Saxophon und einer schaurigen Rassel kann man sich Brumen fast beim Schlangentanz vorstellen.
Thematisch beeinflusst ist Praise Armageddonism von der Heaven’s Gate Bewegung, die sich Anfang der 1980er-Jahre in den USA gegründet hatte und Ufoglauben praktizierte. Anführer Marshall Applewhite überzeugte 39 seiner Anhänger 1997 zu einem kollektiven Suizid während des Erscheinens des Kometen Hale-Bopp in dem Irrglauben, ihre Seelen so auf eine Reise in ein Raumschiff zu schicken. In Anlehnung an die Bezeichnung „Heaven’s Gate Away Team“ nennen Blood Command ihre Fans „Awake Team“, passenderweise hört der Albumopener auf den Titel Praise Armageddonism (Awake Theme). Der Umstand, dass sich Blood Command wie auch Pagan mit einem Augenzwinkern auf eine Sekte beziehen, hat Brumens Wunsch, der Band beizutreten, nur vergrößert. „Bei Blood Command gab es schon immer das Mantra, dass man, wenn man zu unseren Shows kommt, ein Teil der Ausgestoßenen ist“, führt sie aus. „Wir hatten schon immer diese Art von Anspielung, ohne eine Sekte sein zu wollen. Die Verwendung dieses Themas in vielen Songs geht Hand in Hand mit dem, worum es bei Blood Command geht.“ Stichwort: Außenseitertum mit Gleichgesinnten überwinden und Selbstwertgefühl finden.

Im November 2021 besucht Brumen ihre Bandkollegen schließlich in deren Heimatstadt Bergen. „Ich war 2011 bereits auf einem Kurztrip in Norwegen und habe mich in das Land verliebt“, berichtet sie. „Nach Norwegen zu ziehen war seitdem immer in meinem Hinterkopf.“ Während des viermonatigen Aufenthalts spürt sie die gleiche Liebe für Norwegen wie zehn Jahre zuvor und entscheidet sich, dauerhaft von Melbourne ins 15.000 Kilometer entfernte Bergen zu ziehen. „Das war bei weitem die beste Entscheidung, die ich je in meinem Leben getroffen habe“, gibt sie zu. „Obwohl ich in Melbourne viele wunderbare Freunde habe, viele schöne Erinnerungen mit der Stadt verknüpfe und Australien liebe, verbinde ich mit der Stadt auch viel Kummer und Trauma, gerade in den letzten Jahren, und brauchte eine Veränderung. Dennoch war es schwer, mein ganzes Leben zusammenzupacken und mich zu verabschieden, vor allem von meiner Zwillingsschwester und den Menschen in Melbourne, die ich liebe, aber ich bereue es nicht und weiß, dass ich hierbleiben werde.“
Im vergangenen Winter trifft sie nicht nur ihre neuen Bandkollegen zum ersten Mal persönlich, erstmals schreibt sie auch mit Yngve Andersen gemeinsam neue Musik. „Die Art, wie Yngve schreibt, ist meinem Schreibstil sehr ähnlich, sodass wir auf Anhieb in der Lage waren, gemeinsam Musik zu schreiben“, erinnert sie sich. „Wir waren beide ziemlich aufgeregt, weil keiner von uns jemals zuvor mit jemand anderem zusammen geschrieben hatte und wir nicht dachten, dass es so perfekt sein könnte und so gut funktionieren würde. Wir harmonieren wirklich gut zusammen und sind uns in allen Dingen einig, was ziemlich unheimlich ist, wenn man bedenkt, dass wir uns bis dahin noch nie getroffen hatten.“

Nikki Brumen und Blood Command – eine Geschichte wie aus einem Märchen. Ihre neue Band und das damit verbundene, neu von ihr aufgenommene Album haben ihr durch ihre bislang düsterste Zeit geholfen und ihr eine Zukunft aufgezeigt, wo sie zuvor keine gesehen hatte. Dass sie nun auch auf der Bühne voll und ganz sie selbst sein darf, trägt sie recht selbstbewusst zutage: „Ich fühle mich einfach mehr ich selbst als je zuvor. Bei Pagan hatte ich erst am Ende das Gefühl, dass ich endlich gefunden habe, wer Nikki auf der Bühne ist. Bei Blood Command fühlt es sich so an, als ob die Bestie freigelassen wurde und sie jetzt verdammt nochmal hier ist, um zu bleiben.“ Dass sie in Norwegen zudem in einer neuen Beziehung lebt, hätten sich selbst die Brüder Grimm nicht besser ausdenken können. „Ich lebe wirklich mein bestes Leben“, schließt sie. „Ich bin so glücklich, dass ich hier bin, und wirklich froh, dass Yngve damals diese Nachricht geschickt hat.“