Livereview: Jera On Air 2022, Ysselstein (NL)

Mit neuem Gelände, hohen Besucherzahlen und Bombast-Lineup im kleinen Rahmen ist die 28. Ausgabe des JERA ON AIR 2022 nach der Pandemie zwischen dem 23.-25.06.2022 endlich zurückgekehrt. Das gemütliche Festival bringt nun rund 8000 Besucher in das kleine Dorf Ysselsteyn und ist seit dessen Beginn in den 90ern ein Fels in der Brandung für alternative Musikfestivals. Wir durften das Wochenende in den Niederlanden miterleben und haben unsere Gedanken hier für euch zusammengefasst.

Tag 1

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Die Anreise lässt bereits erblicken, was auf sich warten lässt, als ein vollgepackter Linienbus uns am Bahnhof in Deurne abholt. Nur wenige Kilometer entfernt werden wir am Hintereingang des Festivals abgeladen, wo man bereits pink-weiße Bühnenzelte sehen kann. Seit diesem Jahr bereichern ganze fünf Bühnen den Acker hinter dem friedlichen niederländischen Dorf Ysselstein. Vor dem Campinggelände staut sich bereits ab dem frühen Nachmittag der Eingang zum Gelände, doch die Stimmung ist gut: Zwischen Flipflops, Sonnenbrille und Metalcore auf den Bluetooth Boxen startet der erste Tag nämlich wenige Stunden später auch schon mit Musik. Year Of The Knife eröffnen die Hauptbühne mit einem brachialen Hardcore Set und vielen Liedern ihres 2020 veröffentlichten Albums, Internal Incarceration. Wer vielleicht Employed To Serve auf dem Lineup vermisst hat, kann mit dieser Band also definitiv Musik zum Wachrütteln erleben. Malevolence müssen ihren Auftritt kurzfristig absagen, weswegen Stick To Your Guns die Chance bekommen, ihr nun 10 Jahre altes Album Diamond in voller Länge zu spielen (davon mal abgesehen, dass sie sowieso einen Tag später nochmals auf der gleichen Bühne stehen). Das Quintett sprintet Lied für Lied durch ein grandioses Set voller Crowdsurfer, kraftvoller Singalongs und Gangshouts.

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Wir gönnen uns eine kurze Pause und erkunden das Essen und die Infostände auf dem Festival Areal. Hier sei kurz erwähnt, dass das Jera On Air in Sachen kontaktloser Bezahlung wesentlich fehlerfreier funktioniert, als bei Industriegiganten wie Rock am Ring. Die übersichtliche Festivalgröße und der freundschaftliche Umgang miteinander auf dem Gelände kreieren außerdem eine offenherzige Festival Community, die man sonst oft bei europäischen Festivals vermisst.

Weiter zu Bob Vylan als letztem Act auf der Buzzard Stage. Das Duo, bestehend aus Bobby und Bobby, leitet sein Set mit einer „Meditation“ ein. Wenige Zeit später verwandeln sich die donnernden Beats und Tanzschritte in einen absoluten Rave: GDP oder We Live Here sind regelrechte Punk Hymnen, die ein neues stilistisches Gewand finden und die Menge sichtbar überzeugen. Die Performance ist leider von technischen Fehlern und einem Unfall im Publikum heimgesucht, weswegen der Auftritt mehrfach pausiert werden muss. Dennoch holt uns dieser Auftritt mehr ab als der von The Hives, die gleichzeitig auf der Hauptbühne spielen.

Tag 2

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Deutlich stärker von Moshpit-Narben übersäht starten wir mit Trash Boat in den Folgetag. Die Band aus St. Albans in England liefert ein solides Wachmacher Set ab, das es sich zwischen brechenden Riffs und Punk-Attitüde gemütlich macht. Mindestens so motiviert sind die Live-Veteranen Silverstein: Frontmann Shane Told und Kollegen mischen ihr Set mit Songs von fünf Alben auf. Mehr treibende Songs hätten dem Set zwar gut getan, diese Energie haben wir uns aber für Anti-Flag und Crossfaith aufheben können. Vor allem Crossfaith sieht man die Spielfreude direkt an, als das Sextett zu Deus Ex Machina die Bühne betritt: Circle Pits (inklusive des filmenden Crossfaith Managers) öffnen sich beinahe jede Minute, elektronische Bässe pulsieren bis in die Ekstase, Crowdsurfer fliegen wild umher.

 

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Nach diesem markanten Auftritt ist mit Invisions und Stick To Your Guns erst Halbzeit am Freitag. Invisions‘ donnernder Metalcore ruft zur Nackenmuskulaturmassage auf; währenddessen lassen sich Stick To Your Guns (zurecht) groß feiern. Ihr zweites Konzert in Folge auf der gleichen Bühne ist im Vergleich zum Vortag ein rührendes Greatest Hits Set, welches die Band als eine der besten im Hardcore manifestiert. Dementsprechend geht es mit Jesus Piece, While She Sleeps und Bury Tomorrow nur noch steiler bergauf in Sachen Adrenalin, ehe Beartooth eines ihrer wohl bombastischsten europäischen Festivalsets darbieten. Caleb Shomo und Bandkollegen brillieren mit einer besseren Performance denn je zuvor und bieten dazu noch eine wahre Augenweide: in grellem Funkenregen und saftigen Riffs verabschiedet sich die Band mit The Last Riff von der Bühne.

 

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Dieses Highlight wird direkt von Turnstile fortgeführt. Das Quintett aus Baltimore bringt spätestens seit dem massiven Erfolgsalbum Glow On eine unantastbare Aura mit sich, die auch auf den Konzerten zur LP spürbar ist. Frontmann Brendan Yates dirigiert das Publikum förmlich – ohne Ansagen, aber mit ekstatischer Bühnenpräsenz. Es ist ein Wunder aber auch ein Geschenk, diese Durchstarterband auf so einer „kleinen“ Bühne zu sehen. Das simpel gestaltete Headline Set von The Offspring wird dementsprechend von dieser Performance überschattet.

Tag 3

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Der letzte Festivaltag startet für uns mit starken Sets von den niederländischen Metal(core) Bands No Permission und For I Am King. Deren Sängerin Alma Alizadeh steht die Spielfreude ins Gesicht geschrieben, während sie mit For I Am King ihre rifflastige Show abliefert. Die Fans danken der Band mit unzähligen Crowdsurfern, Circle Pits und kräftigem Applaus. Holding Absence aus England manifestieren in ihrem energetischen Set den gerechtfertigten Hype um ihr letztes Album The Greatest Mistake of My Life. Eingängige Hooks jagen sich Song über Song, während das Quartett jeden Zentimeter der Hauptbühne auskostet. Besonders Lucas Woodland brilliert mit einwandfreiem Klargesang, welcher die Lieder dominiert. Mit Vein.fm und Electric Callboy schauen wir uns nacheinander zwei Bands an, die nicht unterschiedlicher sein könnten: Erstere zerschmettern regelrecht die Zweitbühne zu bitterbösem Hardcore, ehe Electric Callboy uns als wohl farbenfroheste und elektronisch geneigteste Band des Festivals einheizen. Seit der jüngsten Bewerbung beim Eurovision Song Contest und der grandios ulkigen Single Pump It ist die Band auch außerhalb Deutschlands in aller Munde und Ohren. Die starke Performance lässt die grinsende Menge beben und gröhlen bis zum letzten Takt. Schade für den Eurovision Song Contest – mit dieser Band wären wir im Finale nämlich definitiv nicht auf dem letzten Platz gelandet. Als folgenden Act schauen wir uns kurze Zeit später Neck Deep auf der Eagle Stage an. Das Publikum hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits so stark ausgepowert, dass es nicht ganz so wild in der Menge abgeht wie zuvor. Dennoch überzeugt der Auftritt der Waliser mithilfe knackiger Hooks, guter Performance und viel Charisma.

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Dieses haben auch die Belgier STAKE: Das Quartett aus Gent schert sich nicht viel um große Ansagen, dafür aber um brillante Riffs und angepissten Rock. Selbst Frank Carter, welcher später auf der Eagle Stage mächtig Lärm macht, nimmt sich die Zeit, den Auftritt der Band erstaunt vom Bühnenrand zu filmen. Die Darbietung der neuen Single F*ck My Anxiety ist wunderbar dreckig, ungeölt und knarzig; Sänger Brent Vanneste keift sich die Seele aus dem Leib zu Stagedives und Jubel des Publikums. Diese Band ist (noch) ein echter Geheimtipp!

Gleichzeitig dazu brettern Knocked Loose auf der Vulture Stage mit ihrem bösartigen, metallischen Hardcore drauflos. Das Set, welches von Where Light Divides The Holler eingeleitet wird, manifestiert die U.S. Amerikaner als eine der wohl bedeutendsten harten Bands unserer Generation. Es ist bockstark, mit welcher Präzision und Determination das Quintett schier von Breakdown zu Breakdown stürzt, ohne sich dabei in Stereotypen zu verheddern. Letzteres trifft zwar bei Bullet For My Valentine zu, was die starke Bühnenpräsenz des Quartetts jedoch im Handumdrehen wettmacht.

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Beinahe am Ende des Festivals angelangt bleiben uns noch Rise Against, Counterparts und Tusky. Trotz ihres wohl verdienten Headlinerstatus bleibt stets das Gefühl, dass Rise Against live leider nicht an ihre Albumqualitäten anknüpfen können. Die eigentlich äußerst starke, hitlastige Setlist wird von relativ matschigem Sound und atemlastigen Gesang überschattet, weswegen wir nach wenigen Liedern zu Counterparts herübermarschieren. Ehe die Kanadier die Drittbühne betreten spürt man förmlich, wie sich die Menge auf das letzte Mal auspowern vorbereitet. Zu preschenden Punkrhythmen und bockstarken Riffs toben sich auch die Niederländer Tusky aus, die das dreitägige Festival für uns gebührend beenden.

IMG_0326 Trotz der krankheitsbedingten Absagen verschiedener Bands wie Loathe oder auch Malevolence war das Jera On Air alles in allem ein massiver Erfolg. Wir durften auf dem Festival nicht nur eine familiäre Atmosphäre erleben, es trafen auch innerhalb der Rockmusik verschiedenste Künstler und Festivalkulturen aufeinander: Ob man nun ekstatisch alle Bands auf den beiden Hauptbühnen sehen oder einfach nur im kleinen Rahmen auf der Viertbühne The Hawk raven gehen wollte – das noch stets übersichtliche Festivalareal ermöglicht schnelle Stil- und Bühnenwechsel, sowie ein grundsätzlich gutes Soundbild für alle Bands durch strategische Bühnenplatzierungen. Auch der extra Tag Ruhezeit am Sonntag ist praktisch für montags arbeitende Festivalbesucher, die sonst womöglich einen Großteil der Bands hätten verpassen müssen. Deswegen würden wir jeder*jedem das Jera On Air ans Herz legen, der*die kleine Festivals und intensive Moshpits geniesst, dabei jedoch alles zwischen lokalen und international bekannten Bands erleben möchte.

Die volle Bildergalerie zum Festival seht ihr hier!

Bilder von Jordanka Waiyaki © für Shout Loud Magazin