Wer behauptet, Japan hätte musikalisch nichts zu bieten, sollte spätestens heute aus seiner Höhle hervorkriechen, denn Newcomer wie Crossfaith oder Babymetal als auch ONE OK ROCK zählen zu der neuesten Welle an Bands, die schon bald einen Großteil der Weltbühnen regieren werden. Nachdem die vier Jungs in ihrem Heimatland bereits Stadien füllen und schon sechs Alben von sich haben hören lassen ist es nun an der Zeit, die Grenze zum Westen zu sprengen. Vergangenen Sonntag waren wir in Wiesbaden vor Ort und haben überprüft, ob diese Ansprüche sinntragend sind oder gar unerfüllbare Wünsche, die ein jeder Musiker in sich trägt.
Es ist noch früh am Abend, als sich um 18 Uhr die Pforten des Schlachthofs öffnen und das Publikum – vermehrt bestehend aus japanischen Teenagern und deren Freunden – in den Konzertsaal strömt. Anders als sonst steht die Menge bereits lange vor Beginn eng beieinander, um sich einen der begehrten Plätze in der ersten Reihe zu sichern, wenngleich nicht zwangsweise für die erste Band des Abends.
Dies ist hingegen ein erstrebenswerter Gedanke, da sobald das Licht ausgeht und das brutale Riffmassaker „Regenerate“ erklingt, WE CAME AS ROMANS die Messlatte für eine gute Performance sehr hoch schrauben. Innerhalb von 30 kurzweiligen Minuten zeigt sich das Sextett energetisch und beweglich als ein eingespieltes Team, welches besonders dank ihrer beiden Sänger Dave Stephens und Kyle Pavone überzeugen kann. Einzig fraglich bleibt die Doppelbesetzung, als ersterer neben seinen gekonnt platzierten Screams auch noch eine solide Gesangsperformance hinlegen kann. Die Amerikaner stehen jedoch gleichzeitig für den Post-Hardcore, wie man ihn nur all zu gut kennt, was einen manchmal ein besonderes Markenzeichen des Sounds vermissen lässt. Dennoch zählen WE CAME AS ROMANS zurecht zu den großen Akteuren der Szene, deren Einfluss man nicht negieren kann.
Der Applaus vergeht, die Instrumente werden abgekarrt, die Bühne freigemacht für die lang ersehnten Stars ONE OK ROCK. In gekonnter Rock Manier ruht sich das Quartett nicht auf einem konventionell eingespielten Intro vom Band aus sondern marschiert strikt auf die Bühne und präsentiert sich von einer wuchtigen Seite, als Bassist Ryota in einem minutenlangen Jam mit Drummer Tomoya gehörig instrumental einheizt. Am unverkennbaren Kreischen der ersten Reihe kündigt sich schließlich auch Sänger Taka an, welcher von null auf hundert mit seinem Metier verschmilzt. „Take Me To the Top“ eröffnet mit abwechslungsreichem Songwriting ein Set, welches noch einige Überraschungen bereithalten sollte. Was im Publikum an Bewegung fehlt, wird durch lauten Gesang seitens der Fans kompensiert. So rezipiert der Zuschauer das Konzert in gewissen Momenten jedoch eher entspannt und routiniert als jung und frisch, wie die japanischen Musiker es doch sind. Kräftige Refrains wie in „ Stuck in The Middle“ werden albumgetreu umgesetzt, wobei besonders der glasklare Gesang des springenden Schönlings Taka überzeugen kann.
Ruhiger geht es vor allem im mittleren Block des Sets zu, als eine Vielzahl an Balladen den Raum erfüllt. Der Kontrast zu aufregenderem Material des Abends ist groß und wird mit Tränen mancher Fans belohnt. ONE OK ROCK gelingt es außerdem, im akustischen „Heartache“ eine starke Verbindung mit dem Publikum aufzubauen. Ein Kritikpunkt sind nicht die Lieder selbst, sondern die Menge an getrageneren Passagen im Konzert, welche die Liedauswahl zu überschwemmen scheinen. So wirkt es etwas abrupt, als die Band die Bühne nach zwei weiteren Songs wie dem treibenden „Mighty Long Fall“ verlässt.
Mit Hingabe applaudiert ein Publikum, welches schier beeindruckt von der emotionalen Darbietung der Gruppe ist. Dies bleibt nicht unbelohnt und lässt die aufstrebenden Musiker noch einmal das Zepter schwingen: „No Scared“ zeigt mit die härtesten und punkigsten Seiten der Band, während ein endlich aufwachendes Publikum sich zu bewegen beginnt.
Nach rund 75 Minuten endet schließlich ein Konzert, welches hinsichtlich zweier Aspekte bewertet werden kann: Die Performance ist ohne Frage ausgereift und makellos, doch Ecken und Kanten sind auch das, was letztlich wünschenswert bleibt. Exkursionen zu älteren, harten Songs wie dem Hit „Liar“ werden vermieden und durch Neuheiten ersetzt. Alles in Allem ist es der Band aber gelungen zu zeigen, dass sie nicht nur eine Gruppe von vier Jungen ist, die gerne Musik machen. ONE OK ROCK wollen hoch hinaus – durch eine Annäherung an den Mainstream mittels japanischer Texteinwürfe als auch simplen Rockstrukturen steht der Band jede Tür offen.
© Fotos von Alexander Loeb und Joshua Lehmann