Wer glaubt, man könnte an einem Montagabend keinen Spaß haben, hat wohl nicht mit The Word Alive gerechnet. Auf einem ihrer letzten Stops in Deutschland durften wir uns ein Bild davon machen, was Post-Hardcore zu bieten hat – und wo er noch hinführt.
Am vermeintlich frühen Abend geht das Licht bereits um 19:00 Uhr aus, als COYOTES die Bühne stürmen. Das Quintett um Sänger Bobby tut sich trotz guten Auftritts schwer, die ermüdete Masse aufzuwecken. Etwas, das den Bands noch öfter im Laufe des Abends zur Last werden würde. So kann die uneingeschränkte Hardcore Energie von Liedern wie „Out There“ nur geringfügig auf das Publikum überspringen, welches leicht nickend seine Akzeptanz signalisiert. Dies tut der von Grund auf ehrlichen Performance der Gruppe aber keinen Abbruch. Man darf sich freuen, in Zukunft mehr von dieser Band zu hören!
Wenig anders verhält sich dies bei den Engländern Polar, die durch raffiniertes Zusammenspiel und dreckige Shouts überzeugen können. Allein die Aufforderung zum Crowdsurfen erregt eine Hand voll Menschen zum Mitmachen: So schweben binnen Sekunden die ersten Fans auf den Händen der Konzertbesucher, ehe auch das vorbeigeht. Wenige Fans sehen sich dazu im Stande sich frei zu entfalten und einen Moshpit zu eröffnen. Das ist besonders schade, wenn brachiale Riffs wie in der Single „Create“ zum Besten gegeben werden. Neben ein paar technischen Problemen muss man jedoch erwähnen, dass die Band sich es nicht nehmen lässt, ein paar neue Zuhörer für sich zu gewinnen, was unter Anderem der einzigartigen Stimme des Sängers Adam Woodfords zuzuschreiben ist. Auch eine unverkennbare Ähnlichkeit zu Architects lässt sich nicht leugnen: Wenngleich seine Einsätze von Screams dominiert sind, schwingt bei jedem Wort große Emotion mit. Polar existieren schon seit 2009 – Es wird Zeit, dass dieser Name größer wird. Im Zuge ihres vor zwei Wochen veröffentlichten Albums darf man demnach gespannt sein auf das, was noch kommt. Hut ab!
Deutsche Fans aufgepasst: Annisokay sind gekommen, um euch einzuheizen. So oder ähnlich muss wohl die Devise sein, ehe die Jungs um Dave Grunewald ihren Lärm auf die Menge loslassen. Mit einer Attitüde, die man teils mit der von Oliver Sykes vergleichen könnte, erwacht der Raum binnen Sekunden zum Leben, als sich Fans der Band bereit erklären, die ersten Circle Pits des Abends zu starten. Dem Quintett gelingt es, ein gutes Produkt abzuliefern. Einzig die ranzige Stimme des Sängers evoziert Kopfschmerzen, da es den sonst so hoch produzierten Parts speziell an diesem Abend teils an Energie fehlt. Diese Kritik kann jedoch unter den Tisch gekehrt werden, als dieser sich für seinen Stimmverlust im Laufe der Tour entschuldigt. Der Gesang des Gitarristen Christophs hingegen lässt den Zuhörer zweimal hinhören ehe man feststellt, dass kein Backing Track benutzt wird. Nahe reiner Perfektion werden alle Töne festgenagelt, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit. Besonders das neue Lied „What’s Wrong“ liefert Eingängkeit und Härte zugleich auf einem Silbertablett. Alles in Allem bleibt abzuwarten, welche Schritte die Gruppe als nächstes gehen wird – nach Konzerten in Russland mit Parkway Drive jedoch mit Sicherheit welche, die ihnen noch mehr Erfolg bringen werden.
Es ist 21:30 Uhr, als das Licht zum letzten Mal ausgeht und die ersten Töne des Liedes „Dreamer“ ertönen. Gewagt ruhig setzen sich The Word Alive direkt von ihren Mitstreitern ab: Statt auf einen harten Einstieg zu pochen wird hier direkt von Beginn an Wert auf technische Finesse gelegt. Schimmernde Gitarrenlicks, zauberhafte Synthesizer und eingängiger Gesang zählen zu dem, was man nach dem ersten Eindruck von dieser Gruppe erwarten kann. Doch bereits mit dem zweiten Lied, „Sellout“, wird das ganze Bild schon ein wenig gekippt. Eine regelrechte Hardcore Punk Manier dominiert plötzlich das Kesselhaus, als Telle Smith seine (sehr denen des Sängers von Billy Talent ähnelnden) Parts zum Besten gibt. Auch Schlagzeuger Luke Holland, der mittlerweile zurecht zu den besten der Szene zählt, meistert sein Handwerk mit Bravur, was sich beispielsweise im Spiel mit geschlossenen Augen und komplexen Grooves beim Klassiker „2012“ äußert.
„No matter how big the stage is, you will always see us coming and leaving with a smile“
Allen Musikern der Band ist die Spielfreude anzusehen und so ist es nicht weit hergeholt, dass besonders die neueren Lieder besonders gut ankommen. Der Geheimtipp, „Grunge“, lässt metallastiges Riffing konstant mit poppigem Gesang Ping Pong spielen. Die Lead Single „Trapped“ verpackt Ohrwürmer mit technisch hochwertigem Spiel: Die schiere Epik, mit der diese Songs bestückt sind, ist nahezu unangefochten. Oder wann war das letzte Mal, dass euch ein Breakdown verfolgt, sodass ihr ihn konstant singen müsst? Sänger Telle Smith überliefert all diese Kraft und Tiefe auch bei seinen Live Shows mit bemerkenswerter Ausdauer. Es sind diese Momente, in denen The Word Alive am Stärksten sind. Die Zeiten, in denen der Fokus auf Breakdowns noch cool war, sind langsam vorbei. Aus diesen Gründen geht auch hervor, warum diese Gruppe noch viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Mit passenden Zuschauern dürften The Word Alive in naher Zukunft nicht mehr damit zu kämpfen haben, diese zum Mitmachen zu animieren. Die großen Bühnen der Welt warten auf euch, Jungs!
Zusammenfassend blieb beim gesamten Abend der bittere Beigeschmack eines stillen, bewegungslosen Publikums bei. Ein Symptom der Generation Smartphone zeichnete sich vor Allem in den ersten Reihen ab, in denen mehr Wert darauf gelegt wurde, Freunden auf Snapchat oder Facebook zu schreiben, statt einfach die Show zu genießen. Man kann nur hoffen, dass die Menschheit sich bald wieder darauf besinnt, im Moment Leben zu können und nicht alles mitteilen zu müssen. Dieses dicke Minus ist aber nicht mit dem Auftritt der Bands in Verbindung zu setzen, die allesamt gute Leistungen erbracht haben – auch ohne Publikumsenergie.
Fotos von Joshua Lehmann