Livereview: Blues Pills, Kadavar + Support, Schlachthof Wiesbaden 12.10.2016

Nächstes Jahr findet ein besonderes Jubiläum statt. Denn der Höhepunkt der Hippiebewegung, der ,,Summer of Love“, wird 50. Neben der Bedeutung dieser Bewegung für die gesellschaftliche Ordnung, wurden natürlich auch Mode und Musik nachhaltig beeinflusst. Und als ob das Universum es geplant hätte, findet sich, passend zum Jubiläum, in letzter Zeit ein regelrechter Vintage-Boom in diversen Bereichen wieder: vintage Instrumente, vintage Kleidung, vintage Möbel, und und und. Hauptsache nicht neu. Daneben erlebt aber auch die Rockmusik der damaligen Zeit ein Revival, wobei Europa, angeführt von Schweden, gehörig mit mischt.
Inmitten dieses Revivals ist eine Band von besagter skandinavischer Herkunft aufgetaucht, die nicht mehr zu übersehen ist: Blue Pills! Die Band hat kürzlich ihren zweiten Longplayer ,,Lady In Gold“ veröffentlicht und dieser möchte natürlich ordentlich betourt werden. Zur Unterstützung hat man sich die Retro-Rocker Kadavar aus Berlin, die durch weltweite Touren ebenfalls schon Kultstatus besitzen, sowie Stray Train aus Slowenien auf die Tour und in den von uns besuchten Wiesbadener Schlachthof geholt.

Stray Train

Stray Train machten auch direkt den Einstieg in den Abend klar. Ohne Umschweife groovte das Quintett die ersten Takte ihres Sets. Top motiviert verbreiteten sie eine gute Stimmung unter den zahlreich erschienenen Zuschauern. Die Drums schoben schön fett durch die Heavy Bluesrock-Songs, wobei die Jungs, im Gegensatz zu ihrem Sound, optisch eher nach Poprock-Boyband aussahen. Aussehen ist aber bekanntlich nicht alles und deshalb gab es überhaupt nichts an der Show der Osteuropäer auszusetzen. Die Gitarren fuzzten, so wie es sich gehört, reichlich dreckig und auch Sänger Luka Lamut konnte sich mit seiner mittigen 70er-Rock Stimme hören lassen. Solide Grooves, Refrains mit Ohrwurmpotential und delikate Gitarrensoli machten dem Publikum definitiv Lust auf das restliche Programm.

Kadavar

Fast wäre diese Lust der Crowd aber durch die ,,Umbaugeräusche“ von Kadavar zunichtegemacht worden. Diese hatten nämlich statt der üblichen Konservenbeschallung eine Art monotone Bassrückkopplung laufen, was den ein oder anderen Gast sogar zu einer Beschwerde beim Mischer bewegte. Dabei verkannten diese Herrschaften die finstere, psychedelische Atmosphäre, die dieses sich verändernde Wummern erzeugte. Die Spannung unter den Besuchern wurde nämlich immer größer bis der Tonmann endlich das offizielle Intro startete. Und auch danach brach der düstere Trip nicht ab: das Berliner Trio lieferte mit ihren tiefen, surrenden Saiteninstrumenten und Drums von epochaler Brachialität eine Show ab, die keinen Stein auf dem andern ließ. Hinzu kam eine gedämpfte Bühnenbeleuchtung und Nebel, der durch den Ventilator hinter Drummer Tiger wie eine Nebelsäule nach oben fuhr. Tiger spielte auch wie selbiger und gab dem dezenten, durchsichtigen Acrylschlagzeug ordentlich Pranke. Der Hall auf der Stimme von Sänger Lupus Lindemann ließ den Zuhörer davon fliegen, bis die zerrenden Basswellen von Simon „Dragon” Bouteloup ihn wieder in die finstere Halle zurück holte. Bei ,,Forgotten Past“ rastete die Crowd dann endgültig aus und bekam sogar noch einen drauf, als Lupus plötzlich die vertrauten Töne von ,,Helter Skelter“ anschlug. Die Nummer passte so gut zu den Berlinern, dass wohl auch Paul McCartney hätte headbangen müssen. Wahnsinn.

Blues Pills-elin

Wahnsinn war auch die Bühnendeko, die nach der Show von Kadavar zum Vorschein kam. Waren Blues Pills letztes Jahr noch lediglich mit Banner angereist, haben die Herren und die Dame nun ordentlich zugelegt. Mit schwarz-weiß gestreiftem Podest für Schlagzeug und Verstärker und großem Hintergrundaufsteller wurde die Bühne stilecht gestaltet. Unter großem Jubel betraten dann die Musiker die Bühne, wobei der Jubel bei einem Bandmitglied natürlich am größten war. Sängerin Elin Larsson entzückte das Publikum nämlich durch 60s-Look und einmaliger Ausstrahlung noch bevor sie überhaupt ein Wort ins Mikro sagen konnte. Nach einem charmant schwedischen „Wiesbaden“ und einer kurzen Begrüßung ertönte der erste Song und sie zeigte durch ihre Stimmgewalt, dass es nicht nur die Optik ist, mit der sie begeistern kann. Schade nur, dass der Soul des neuen Albums anfangs etwas unter dem Sound leiden musste. Die Drums gingen komplett unter, die Gitarrensoli des jungen Talents Dorian Sorriaux waren viel zu leise, die Tasten in den neuen Songs war nur physisch anwesend und insgesamt wummerte das Ganze irgendwie vor sich hin. So war auch die Reaktion der Zuschauer bei den ersten Songs eher verhalten.

Blues Pills-andre

Eine Verbesserung erfuhr Sound und Stimmung in der Halle dann, als das Quartett (bzw. Quintett, denn als Orgel/Piano-Spieler und zweiter Gitarrist begleitet Rickard Nygren die Band auf Tour) ältere, rocklastigere Nummern wie „Black Smoke“ oder „Bliss“ anstimmte. Die Gitarre schrie endlich in angemessener Lautstärke und die grandiose Live-Band, welche man 2015 an gleicher Stelle genießen konnte, kam Stück für Stück wieder zum Vorschein. Prompt ging auch Elins Klamotte flöten, weshalb sie kurz von der Bühne verschwand und die Band derweil ein Interlude à la Peter Green’s Fleetwood Mac (Obacht, nicht Stevie Nicks!) spielte. Als Schlagzeuger André Kvarnström dann ,,You Gotta Try“ mit einem soliden Half Time Shuffle begann und sein Schlagzeug den Backbeat lieferte, der am Anfang der Show so sehr fehlte, war sowohl Sound als auch Publikum wieder auf der Höhe und ging super ab. Beim letzten Song ,,Devil Man“ fielen, dank der Stimme des kleinen, blonden Mädels aus Örebrö, wie immer sämtliche Hemmungen im Saal und so war durch tosenden Applaus eine Zugabe selbstverständlich. Ein Helfer stellte ein Mikrofon ans Piano und es war klar, Elin gibt die intime Ballade des neuen Albums zum Besten, mit entsprechendem Dahinschmelzen der Zuschauer. Es folgten zwei weitere Nummern, die Band verbeugte sich, großartig.

Die Hippie-Ära ist in 2016 angekommen! Obwohl die Label- und Genrekollegen Blues Pills und Kadavar aus der gleichen Ecke Rock kommen, waren beide doch in Sound und Show grundverschieden. Kadavar mit ihrem düster doomigen Hard Rock und Blues Pills mit einer soulig, bluesigen Homage an die 1960er, sowohl optisch als auch spielerisch. Beide wussten in ihrer Fasson zu begeistern, obschon die Schweden anfangs etwas Soundprobleme hatten. Dem Publikum, welches buntgemischt aus jüngerer und älterer Generation bestand, waren diese Startschwierigkeiten zwar anzumerken, jedoch wurde schnell darüber hinweg gesehen. Die Band um Elin Larsson tat sich vielleicht auch keinen Gefallen damit, eine Gewalt wie Kadavar vor sich spielen zu lassen. Die dynamische Bandbreite ihrer Songs gaben Blues Pills dafür aber eine ganz eigenen Qualität. Und Elin is‘ halt einfach ’ne Wucht.

© Fotos von Valentin Krach