Seit 2007 veranstaltet der Online-Shop Impericon nun die Never Say Die! Tour. Auch in diesem Jahr hat sich dafür wieder ein hochkarätiges Line-Up zusammen gefunden: mit Make Them Suffer, Fallujah, Carnifex, Thy Art Is Murder und vor allem Whitechapel liegt der Genre-Schwerpunkt klar beim Deathcore, wobei durch Polar und Obey The Brave auch die Hardcore-Fans nicht leer ausgehen dürften. Wir waren beim Stop im Wiesbadener Schlachthof dabei und haben unsere Eindrücke hier festgehalten.
Der Abend wird direkt mit Hardcore eröffnet. Das Publikum häuft sich eilig vor der Bühne, denn bei Polar gibt es ein knüppelhartes Hardcore-Brett, vermengt mit epischen Melodien und Clean Vocals zu erleben. Der Wechsel zwischen brutalen und emotionalen Parts ist zwar stimmig, aber auch relativ standardmäßig. Das Publikum reagiert wahrscheinlich deshalb auch relativ verhalten und lässt sich von Sätzen wie ,,don’t be a fuckin‘ bunch of pussies“ nur schwer motivieren. Davon lassen sich die Engländer jedoch nicht beeindrucken und ziehen ihr Set solide und top motiviert durch.
Mehr Jubel ernten Make Them Suffer beim Start ihres verdrehten Intros. Der Sound wirkt dazu eine ganze Spur mächtiger als bei der vorherigen Band. Mit einer Mischung aus epischen Melodieparts mit Clean Gesang von Keyboarderin Louisa Burton und Black Metal-artigen Blast-Parts bringt das Quintett eine finstere Stimmung in den Saal. Leider mangelt es dem Sound an Definition, da alles etwas zu schwammig klingt und dröhnt. Ein häufiges Problem bei Metal- und Hardcore-Konzerten, da die Musik durch die Computerunterstützung im Studio immer komplexer und die live-Umsetzung dadurch schwierig wird. Nicht, dass keine musikalischen Fähigkeiten bei der Band vorhanden wären, nur hört man von diesen eben nicht viel. Lediglich in den langsameren Parts der Stücke entsteht ein brachialer Sound, der sofort zum Mitnicken animiert. Je schneller es wird, desto weniger erschließt sich dem Hörer, was da genau getrieben wird. Wirklich Schade.
Der Line-Check der nächsten Band, Fallujah, lässt Hoffnung auf einen besseren Sound aufkommen. Nach dem Intro stellt sich jedoch Enttäuschung ein. Bis auf Gesang und Backing Tracks ist fast nichts raus zu hören, selbst die einzig erkennbaren Instrumente sind zu leise. Nun hat ja nicht jeder Konzertbesucher einen ausgeprägten Soundfetisch, dennoch lässt sich insgesamt eine verhaltene Stimmung im Publikum erkennen. Den Besuchern entgehen schnelle Blast-Beats, abgecheckte Progressive-Parts und kraftvolle Melodien. Nach einer verdächtig langen Pause kündigt Sänger Alex Hofmann plötzlich den letzten Song ihrer Show an. Und gerade bei diesem Song ist der Sound endlich stimmig. Die Bass Drum macht Druck, die Sologitarre schreit und jede Finesse, die die Kalifornier auf der Bühne abliefern, ist zu hören. Geht doch.
Es lässt sich hoffen, das Obey The Brave nicht das gleiche Schicksal ereilt. Überraschenderweise erscheint jedoch vorher ein Mann auf der Bühne, der dem Abend etwas Andacht verleihen will. Jonny Boucher von der gemeinnützigen Organisation ,,Hope For The Day“ begleitet die Tour und appelliert an selbstmordgefährdete Menschen oder deren Angehörige, sich bei ihm zu melden um Hilfe zu erhalten – sogar direkt auf der Show. Völlig verdient erhält er massig Jubel und Applaus und heizt die Menge auf spezielle Art für die folgende Band vor.
Diese entern nach ihrem traditionellen Hip Hop-Intro die Bühne und die Crowd rastet endlich aus. Auch der Sound hat sich ordentlich verbessert, bietet aber immer noch Luft nach oben. Der Party im Moshpit tut dies jedoch keinen Abriss mehr und die Leute singen sämtliche Gang Vocals mit und lassen sich sogar zum Mitklatschen animieren. Das Set der Kanadier wird von coolen Hip Hop-Beats zwischen den Songs aufgelockert, die Breakdowns sind schön mächtig und die Punk-Parts fetzen. Die Herren lassen bei ihren Stücken nichts anbrennen und liefern eine coole Hardcore-Nummer nach der anderen. Alles zusammen eine absolut sehenswerte Show.
Nach regen Treiben und großem Umbau eröffnen dann Carnifex die zweite Hälfte des Abends. Großer Jubel ertönt, und das völlig zurecht: die Band um Sänger Scott Lewis bringt eine neue Liga an Brutalität auf das heutige Konzert. Hinzu kommt eine imposante Lightshow und ein klarer, präsenter Sound. Die tiefen Gitarren wühlen sich durch die Anlage und die Drums schneiden durch diese Wand aus Sound. Diese Band ist eindeutig in der Metal/Deathcore-Oberliga angekommen. Sänger Scott trägt sogar ein Bühnenoutfit, was für diese Musikszene ja nicht gerade üblich ist. Die Beleuchtung wechselt von düsterem Blau zu feurigem Rot. Bass Drum-Salven schieben durch die Anlage, welche nur von umso heftigere Breakdowns unterbrochen werden. Der Titelsong von ,,Indiana Jones“, das rote Licht und die Nebelschwaden auf der Bühne verwandeln die beeindruckende Show der Band letztlich in eine Art ,,Tempel des Todes“. Man kann die ,,Kali Ma“-Rufe schon fast hören. Wahnsinn.
Die Spannung für die folgenden Thy Art Is Murder könnte nicht größer sein. Auch die Stimmung im Publikum heizt sich immer mehr auf, weshalb gleich nach den ersten Songs ein amtlicher Circle Pit seine Runde macht. Die Lautstärke steigt, die Lightshow schwächelt wieder. Alles erschütternde Bass Drops bringen den Saal zum Beben und lassen die Menge komplett eskalieren. Die Performance ist wütend und böse, die Atmosphäre finster. Drummer Lee Stanton bringt seine Toms zum donnern und spielt Blast-Beats, die einem Maschinengewehr zum Verwechseln ähnlich klingen. Auch die Growls von Gastsänger Nick Arthur können absolut überzeugen. Diesen hat sich die Band bei Molotov Solution geliehen und er ersetzt den bisherigen Sänger Chris „CJ“ McMahon auf Tour, welcher Ende 2015 die Band verlassen hat.
Zur Erholung nach diesem intensiven Deathcore-Paket gibt es erstmal die größten Hits der 80er als Umbaumusik. Bei den ersten Tönen von Whitechapel wird dann jedem bewusst, dass diese Verschnaufpause bestens getimt war. Die Pioniere des Deathcore sind nämlich so was von zurück, da bleibt kein Stein auf dem anderen. Mit absoluter Präzision feuern die Herren aus Knoxville, Tennessee Song für Song ab. Die Band klingt so, als ob sie nie weg gewesen wären. Auch Sänger Phil Bozeman ist mit seinen markanten Growls wieder voll am Start. Anders als früher bringt er im Song ,,bring me home“ auch Clean Vocals an den Start, die aber leider etwas im Gesamtsound untergehen. Überhaupt lässt sich live ein Unterschied zwischen den alten und neuen Stücken der Band feststellen: die aktuellen Songs sind strukturierter, aber nicht weniger heftig, die älteren roher und werden dazu etwas euphorischer bejubelt. Insgesamt liefern die Jungs aber eine, bis in die letzte Kleinigkeit, großartige Show und zeigen, dass sie an ihren Heandliner-Qualitäten nichts eingebüßt haben.
Ein großartiger, aber nicht ganz makelloser Abend ist zu Ende. Schade, dass die ersten Bands ihre Fähigkeiten aufgrund des grenzwertigen Sounds nicht präsentieren konnten. Dass ein dicker Sound trotz komplexer Musik sehr wohl möglich war, haben vor allem Whitechapel eindeutig bewiesen. Mit ihrer überragenden Performance haben sie aber auch gezeigt, dass sie das Zeug zum Headliner nicht verloren haben. Doch auch Carnifex hätten mit einer derartig großen Show diesen Slot übernehmen können. Man darf auf jeden Fall gespannt sein, welche Bands uns Impericon nächstes Jahr auf der Never Say Die! Tour präsentieren werden.
© Fotos von Joshua Lehmann