Livereview: Faber + Support, Schlachthof Wiesbaden, 14.10.17

Am Samstag, dem 14.10, gehen zwei Vegetarier in den Schlachthof nach Wiesbaden um einem Musiker mit seiner Band zu lauschen. Wie Motten in das Licht strömen coole Jungs und Mädels, mit Turnbeuteln und Lässigkeit ausgestattet, in Richtung der Konzertlocation in Wiesbaden. Schon jetzt fällt auf, dass sich unter die Twenty-somethings auch einige ältere Gesichter mischen.

Faber, die Person, wegen der wir uns alle dort versammeln, ist ein Züricher Musiker, der mit seinen 24 Jahren schon zwei EPs und eine Platte veröffentlicht hat. Mit von der Partie ist nicht nur seine vierköpfige Band, sondern auch Frank Powers als Supportact. Toll am Schlachthof ist, dass man immer genug Platz hat und die Zuhörer nicht drei Stunden wie Sardellen aneinander gepresst regungslos verweilen müssen. Man sieht super, da die Halle fast quadratisch ist.

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Frank Powers und seine Band kommen ebenfalls aus der Schweiz und machen Musik zwischen Folk, Singer-Songwriter und Pop. Die meisten Songs sind auf Englisch, aber auch auf der deutschen und französischen Sprache begegnen uns Lieder. Stimmlich und vom Auftreten erinnert der junge Musiker etwas an Clemens Rehbein von Milky Chance. Bonuspunkte gibt es direkt für den sympathischen Umgang mit dem Publikum. Die Jungs spielen um die 30 Minuten und bieten einen entspannten Einstieg in den Abend. Es ist stellenweise ruhig, aber nicht zu ruhig, und in einigen Momenten wird es auch etwas lauter. Mich hat Frank Powers aus meinem samstaglichen Erschöpfungszustand geholt und damit genau das geschafft, was ein guter Supportact tun sollte.

Schon während der Umbaupause sehen wir einen braunen Lockenkopf in Trainingshose über die Bühne wuseln und Kabel hin und her tragen. Damit ist wahrscheinlich der Aha-Effekt dahin, der einsetzt, wenn man den Musiker endlich die Bühne betreten sieht, auf dessen Konzert man sich schon seit Tagen freut. Aber was soll’s! Es ist schön zu sehen, wie die Band dort selbst auf der Bühne fuhrwerkt, um den Umbau schnell abzuschließen.
Als es dann losgeht, geht es richtig los.

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Faber wird oft als „authentisch“ beschrieben. Das stimmt nur teilweise. Die rohen Emotionen, die man spüren kann, ganz unabhängig vom Text, sind sehr authentisch. Die Hingabe auf der Bühne und die Art, wie er von seinen Songs spricht, sind es ebenfalls. Aber Faber ist auch ein Musiker, der gerne inszeniert. Das manifestiert sich in der Art, wie er Probleme unserer Zeit aus einer ungewöhnlichen Perspektive oder mit Zuspitzungen beschreibt. Die „Ouverture“ des Konzerts verdeutlicht Fabers gelegentlichen Hang zum Inszenieren. Im Saal wird es völlig still und die Aufmerksamkeit aller Zuhörer ist auf die Bühne gebannt. Ein Spotlight ist auf den vom Trockennebel umgebenen Faber gerichtet. Diese Spannung umhüllt die ersten Posaunenklänge und brandet innerhalb von wenigen Minuten in Ausgelassenheit. Mit dem Gemisch aus der rauen Stimme – die Zigaretten haben ihren Anteil daran – und einer talentierten Band mit Skills an den Blasinstrumenten müssen sich alle Menschen, die etwas von dem Rabatz mitbekommen, einfach bewegen (die menschliche Säule, die neben mir stand, mal ausgenommen).

Die Rampensau, die mit bürgerlichem Namen Jullian Pollina heißt, wohnt in Zürich und ist der Sohn eines italienischen Musikers. Zu unserem Glück ist er der hochdeutschen Sprache mächtig und ebenfalls der italienischen. Musikalisch und lyrisch schafft er es immer wieder, unsere Erwartungen zu enttäuschen und zu übertreffen – letzteres beim Kreieren von intensiven Bühnenmomenten. Jugendlicher Leichtsinn trifft auf eine uralte Melancholie und Traurigkeit in seinem Text und Gesang. Arroganz und Selbstzerstörerisches vereinen sich. Unsere Erwartungen werden enttäuscht, da sich die Geschichte die wir erzählt bekommen so oft gegen unser intuitives Ergänzen des Plots richtet. „Wenn du dann am Boden liegst, weißt du wo du hingehörst“, um nur eine besagte Stelle zu zitieren. Faber schlüpft auf textlicher Ebene gerne in Rollen, die dem Zuhörer so richtig schön unangenehm sind. In „Wem du’s heute kannst besorgen“ wird er im persönlichen Kopfkino zu einem reichen alten Sack, der sich ein minderjähriges Mädchen angrabbelt. Er eckt gerne an und scheut sich nicht über einige unbequeme Themen zu singen. Er setzt oft einen Fuß auf den Boden der momentanen Politik, ist aber nicht unelegant dabei. Es ist kein typischer musikalischer „Fuck Nazis“-Vortrag, sondern ist durch ironische Texte und gelungene Wortspiele eine Nachricht, die man als aufmerksamer Zuhörer entschlüsseln muss.
Einen kleinen Eklat gab es, weil er das Wort „Nutte“ verwendet, um eine verlorene Liebe anzusprechen. Das seie sexistisch und hätte überhaupt nichts in seinen Texten zu suchen (und so weiter). Man kann es sehen, wie man möchte, aber zum Artikulieren von Gefühlen und zur künstlerischen Freiheit gehört nunmal auch, sich seine liebsten Schimpfwörter aussuchen zu dürfen. Wer bezüglich anstößiger Ausdrücke zart besaitet ist, muss beim ersten Hören wohl bei einigen Liedern scharf Luft holen.

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Ich habe einen persönlichen Konzertschlüssel: Wenn ich entweder weinen oder tanzen muss, hat der Musiker live etwas drauf. Bei Faber tue ich beides. Die einzelnen Songs unterscheiden sich stark voneinander. Neben Liedern mit politischer Dimension singt er auch von Liebe, Lust und Verzweiflung. Beeindruckend ist Fabers Fähigkeit die Meute vor der Bühne zu fesseln. Jeder merkt, was für eine gute Stimmung unter den Musikern herrscht und wie viel Lust sie haben, alles zu geben. Außergewöhnlich ist auch, dass jeder gefühlt fünf verschiedene Instrumente beherrscht. Es werden Songs gespielt, die wir bereits von der Platte „Sei ein Faber im Wind“ kennen und auch mehrere auf Italienisch, die man höchstens nach zwanzigminütiger Youtube-Recherche findet. In jedem Lied wird deutlich, wie sehr Faber auf der Bühne und in der Musik zu Hause ist. Selten sieht man Künstler mit so viel Emotion und Hunger dort stehen. Das zeigt sich auch darin, dass sie fast zwei Stunden spielen und sicherlich auch noch mehr, wenn Fabers Repertoire nicht langsam aufgebraucht wäre. Für mich sticht besonders sein erster Song der Zugabe heraus. Er kündigt ihn ungefähr so an: „Diesen Song habe ich für jemand anderen geschrieben, die konnten dann doch nichts damit anfangen. Ich kann ihn eigentlich auch nicht gebrauchen. Hier ist er.“ Nirgends findet man dieses Artefakt menschlicher Dichtkunst und Beobachtungsgabe im großen Internet. Der Song ist so zerbrechlich und scharfsinnig, dass er aus der stumpfen Masse des alltäglichen Schmalzpop heraussticht. Lieber Faber, bitte veröffentliche ihn oder schicke mir doch eine Demo.

Der Schweizer wird schon als die „Rettung des deutschsprachigen Singer-Songwriter-Genre“ bezeichnet. Und das stimmt auch in einigen Aspekten. Er ändert das typische Bild des symphatischen Typen mit Herzschmerz, der die immer gleichen vier Akkorde auf seiner Gitarre schrammelt. Fabers Musik hat Elemente aus ganz verschiedenen Ecken, wie der Balkanmusik und dem französischen Chanson. Er kombiniert und experimentiert herum – das revolutioniert dieses Schubladendenken. Wir sind gespannt, was noch kommt und hoffen auf Großes. Wer die Möglichkeit hat ihn live zu sehen, sollte sie nutzen. Denn bald werden wir von ihm noch viel mehr hören!

© Fotos vom wunderbaren Valentin Krach