17 Jahre nach ihrem Post-Hardcore-Meilenstein “Relationship Of Command“ haben At The Drive In mit “Inter Alia“ einen Nachfolger veröffentlicht. Funktioniert das neue Material auch live?
Dass Le Butcherettes im Vorprogramm von At The Drive In auftreten, ist keine große Überraschung, schließlich ist Frontfrau Teri Gender Bender die Lebensgefährtin von deren Gitarrenvirtuose Omar Rodriguez-Lopes. Weitaus überraschender ist jedoch der Auftritt der Garage-Punk-Band. Die komplett in Rot gekleidete Gender Bender liefert in 30 Minuten nicht nur wahnsinnig schrille Töne ab, sondern fuchtelt dazu noch geisteskrank mit ihren Armen in der Luft herum, als würde gerade ein ganzes Bienennest um sie schwirren. Ihre MitmusikerInnen sind dabei nur Begleiterscheinung, der Fokus liegt stets auf ihr.
Ähnlich gestaltet es sich bei Death From Above. Bei dem Garage-Rock-Duo übernimmt Schlagzeuger Sebastien Grainger den Gesang, was ihm einiges abverlangt. Bassist und Synthesizer-Verantwortlicher Jesse F. Keeler versteckt sich die meiste Zeit hinter seinen langen Haaren und wippt nur bedacht zu der krachenden Musik der Kanadier. Das scheint sich auch auf das Publikum zu übertragen. Während sich der inzwischen halbwegs gefüllte Schlachthof bei Le Butcherettes noch der Kunst hingab, verpufft die Musik von Death From Above etwas im Stillstand des alten Publikums. Selbst beim Überhit “Freeze Me“ bekommen die beiden nicht ihren verdienten Moshpit. Stattdessen wird die starke Performance mit wohlwollendem Applaus bedacht – vermutlich ist der Respekt vor dem Duo aufgrund des imposanten Bühnenbanners mit den berühmten Elefantenmenschen zu groß.
Dem setzen At The Drive In jedoch noch einen drauf: Der Bühnenrücken wird von einem gigantischen, hundsähnlichen Tier geschmückt, stellvertretend für die neue Platte und deren Cover. Das Konzert in der hessischen Landeshauptstadt stellt für die Helden früherer Tage zwar erst das dritte Konzert der Tour dar, Unsicherheiten im Set gibt es jedoch keine. Stattdessen breitet sich ab der ersten Minute eine ungemeine Vertrautheit aus. Die Show eröffnet das Quintett nach einem kurzen Jam mit “Arcarsenal“ und katapultiert so alle Anwesenden wieder ins Jahr 2000. Dem folgt dank “No Wolf Like A Present“ der Sprung in die Gegenwart. Im weiteren Verlauf des Konzertes verschmelzen jedoch Klassiker der Band mit den neuen Songs, so gut fügen sich diese in den musikalischen Rahmen ein. Diesen spannen At The Drive In zudem etwas weiter und integrieren neben “Napoleon Solo“ vom Album “In/Casino/Out“ auch die Songs “198d“ von der 1999 veröffentlichten EP “Vaya“ und “Amid Ethics“ von der kürzlich erschienenen “Diamanté“-EP.
Dass über 75 kurzweilige Minuten das Gefühl herrscht, die Genrevorreiter seien nie weg gewesen, liegt vor allem an Frontmann Cedric Bixler-Zavala. Trotz seiner inzwischen 43 Jahre rennt dieser über die Bühne, als würde er im Sprint gegen Usain Bolt antreten. Seine ikonischen Sprünge vom Schlagzeug als auch das markante Gekeife sitzen und das Wechselspiel zwischen ihm und dem gemeinsamen Hintergrundgesang von Rodriguez-Lopes und Zweitgitarrist und Jim-Ward-Nachfolger Keeley Davis erfährt an diesem Abend seine Perfektion. Nach etwas mehr als einer Stunde und “Governed By Contagions“ verlassen At The Drive In die Bühne und haben bislang das vermeintlich perfekte Konzert abgeliefert. Ihren größten Hit haben die US-Amerikaner bislang ausgelassen und die Erwartung steigert sich im mehrminutigen Rauschen schon fast ins Unermessliche. Dann kommen sie wieder auf die Bühne und es benötigt nur die ersten zwei Sekunden von “One Armed Scissor“ und der Abend bekommt sein Sahnehäubchen. Dass danach schon Schluss ist, kann man verschmerzen.
Auch Minuten nach Konzertende gibt es noch den einen Fan, der ein leidenschaftliches “Cut away“ durch die Halle krakeelt – so fühlt sich ein gelungenes Comeback an. Willkommen zurück im Olymp, At The Drive In!
© Fotos von Joshua Lehmann