Lang lang ist’s her, dass Enter Shikari in Wiesbaden zu Gast gewesen sind. Zwischen der gedrittelten Halle im Jahr 2013 und dem ausverkauften Saal diesen Montag hat sich doch Einiges getan. Wir waren vor Ort und berichten, warum Enter Shikari zu den energetischsten Live Acts unserer Zeit gehören.
Ganz schön viel los zu einer solchen Uhrzeit: Bereits lange Zeit, bevor der Opener Flash Forward die Halle bespielt, tümmeln sich schon allerlei Fans vor dem Wiesbadener Schlachthof in Antizipation des bevorstehenden Abends. Das deutsche Quartett bewegt sich musikalisch irgendwo zwischen Post-Hardcore und Alternative Rock. Im Laufe ihres dreißigminütigen Sets tun die Weseler alles, um das Publikum für sich zu gewinnen, von „seid ihr noch da!?“ Rufen bis Mitsingaufforderungen. Die Menge wird mit der Musik gewissermaßen warm, jedoch bleibt der Eindruck, dass man all das schon Tausend Mal gehört hätte. Poppige Hooks wechseln sich einen Schlagabtausch mit gähnend durchschnittlichen Gitarrenriffs der Sparte Lower Than Atlantis, Sänger Stefan Weigel überzeugt hingegen mit sauberem Gesang und einem saftigen Gitarrensound. Insgesamt bleibt von der Band außer der eingängigen Single Kickstart leider nicht allzu viel hängen. Flash Forward sind das lebende Beispiel dafür, warum Alternative Rock meist als totgespielt abgestempelt wird. Obwohl das Performance Potential definitiv vorhanden ist, wünscht man sich am Ende des Auftritts noch ein wenig mehr Eigencharakter in der Musik.
In dieser Hinsicht legen As It Is eine andere Attitüde an den Tag. Eingekleidet in schwarz und rot betreten die Brightoner die Bühne, als ob sich My Chemical Romance nie aufgelöst hätten. Ein Paar Augenbrauen lässt diese Tatsache schon zucken, trotzdem marschiert die Band zielsicher durch ihr Set. The Reaper verspricht mehr Härte als der Rest vom Set, was dem Rest der Performance ein wenig Kraft stiehlt. Die geballte Aufmerksamkeit zieht Ex-Youtuber und Sänger Patty Walters auf sich, welcher konstant damit experimentiert, wie weit und oft man ein Mikrokabel strapazieren, um den Kopf wickeln und schwingen kann. Im Lichte ihrer dem nachdenklichen Emo der 2000er zugeneigten Texte zeigt sich das Quintett äußerst fröhlich und grinst sich durch die 40 Minuten. The Stigma lädt zum kräftigen Mitsingen ein und erntet kräftigen Applaus, während The Wounded World einen beträchtlichen Circle Pit ins Leben ruft. Auch wenn sich As It Is im Vorprogramm von einer Pop-Punk Band wahrscheinlich besser gemacht hätten, nimmt man der Band den vorgenommenen Imagewechsel und die resultierende Emo-Revival Darbietung vollkommen ab. Es lebe 2008!
Die folgenden 100 Minuten sind vollends einer Devise gewidmet: Strobo, Bassgeballer und Tanzwut. Entfaltet The Sights sich als süßer Einstieg, greifen die Briten mit Step Up, Labyrinth und Arguing With Thermometers tief in die Repertoire Tasche und setzen die Messlatte bereits zu Beginn der Show extrem hoch. Hauptsächlich mit Songs vom neuesten Album The Spark gespickt nehmen die Alles-Genre Helden die Zuschauer auf einen wilden Ritt durch die vergangenen 16 Jahre mit, bei dem weder Augen noch Achselhöhlen trocken bleiben. Volle Ekstase, Entspannung braucht ja eh keiner. Das von Akustikgitarre geleitete Gap in the Fence ist eine der wenigen Pausen, in denen man wieder nach Sauerstoff ringen kann, bevor das Set so richtig schön merkwürdig wird. Entspannende Trompetenklänge im Stile des Fernseh-Wetterkanals kündigen Shinrin-Yoku an – ein Song, der live wesentlich besser funktioniert als auf Platte. Schlagzeuger Rob Rolfe brilliert hier besonders: steuert dieser zu Beginn nur wummernden Bass mit dem Sampling Pad bei, wechselt er anschließend zum Glockenspiel und beschwört im Handumdrehen seinen inneren Animal von der Muppet Show herauf. Rücksichtslos drischt Rolfe auf sein Drumset ein, während das Publikum ungefragt erneut berserk im Moshpit aktiv wird. Das große Fragezeichen The Revolt of the Atoms hingegen ist eine moderne Version von Tainted Love, die erst in der zweiten Hälfte den nötigen Schwung bekommt.
Für den Großteil des verbleibenden Sets ist nun erneut Zerstörung auf dem Programm. Das Highlight hierbei ist die dichte Mischung aus den altbekannten Hits Gandhi Mate, Gandhi, Mothership sowie dem zufällig ausgewählten Lied There’s A Price On Your Head. Allein Undercover Agents fällt nach dieser geballten Energie ein wenig flach, denn die großen Emotionen sind bereits mit Rou Reynolds Klavierspiel in Airfield verbraucht. Mit dem Titel der Tour, Stop The Clocks, präsentieren Enter Shikari einen neuen Song, der wie das jüngste Album weiterhin gen Popaffinität schielt und in einem mitsingbaren Gitarrensolo kulminiert. Der solide Song wird jedoch schnell überschattet: Die berüchtigte Quickfire Round gibt all denen den Rest, die bis hierhin vom Pogen noch nicht genug bekommen konnten. Was das heißt, sind vier Songs in 8 Minuten – das Cardioworkout für non plus ultra, sozusagen. Mit Lichtgeschwindigkeit rauschen Sorry, You’re Not a Winner, The Last Garrison, das markerschütternde …Meltdown und ein Remix von Anaesthetist schneller vorbei, als die gesamte Angelegenheit angefangen hat. Nach dieser wilden Achterbahnfahrt spiegelt Reynolds im Zugabenblock – hier mit seiner Gitarre gemütlich im Sessel sitzend – den Gemütszustand des Publikums wider, während er eine Unplugged Version von Take My Country Back zum besten gibt, die große Resonanz im Schlachthof findet. Mit Juggernauts (inklusive Crowdsurfen im Supermarktwagen seitens des Bassisten Chris Batten) und Live Outside beenden Enter Shikari ihr Konzert verhältnismäßig entspannt, aber gebührend.
Dass Enter Shikari live immer abliefern, ist kein Geheimnis mehr. Behält man dabei noch im Hinterkopf, dass die aktuelle Tour schon seit Dezember durch Europa und Russland zieht, macht es das ganze Unterfangen noch unfassbarer. Die Motivation und Energie, die die Band immer wieder zeigt, ist Testament dafür, dass man es hier mit einer Liveband für mehrere Generationen zu tun hat. Die extensive Tour zu The Spark äußert sich auch in der Liedauswahl des Abends und lässt in Zukunft Raum für Wünsche nach mehr Raritäten offen, was aber der einzige große Kritikpunkt für das Konzert ist. Die nahe Zukunft wird zeigen, wohin Enter Shikari diesmal segeln wollen – berechenbar wird es allemal nicht sein.