Metal, Badesee und Tagebaubagger zum Bestaunen? Das Full Force Festival auf Ferropolis konnte dieses Jahr mit 13000 Besuchern erneut vollends überzeugen. Wir waren beim einzigartigen Festival vor Ort und berichten vom Metalurlaub der Festivalsaison!
Bereits beim Betreten des Festivalgeländes ragen sie empor: Monströse, überwältigende Bagger, die unter anderem die Namen Mad Max und Medusa tragen, wie es die Bühnen auch tun. Doch bevor sich Bleeding Through auf der Hauptbühne durchstampfen, machen die Franzosen LANDMVRKS auf der Hardbowl Stage für uns den Anfang. Das bedeutet: fünfundvierzig Minuten astreiner, moderner Metalcore, der von Rapanleihen und kräftigen Refrains durchtränkt ist. Im Eifer des Gefechts entbricht im begeisterten Publikum das erste Moshpit, auf welches noch viele folgen sollen. Ganz so leicht haben es Bleeding Through nicht. Trotz einer starken Performance kämpft die US-Gruppe sich mit einem eher matschigen Sound durch ihr Set, welches in einem kleinerem Rahmen womöglicher besser geklungen hätte. Wolfheart präsentieren auf der Seebühne zwar hüftsteifen, aber äußerst spannenden Melodic Death Metal aus Finnland, zu dem die ersten Besucher ins Wasser hüpfen.
Der Ausfall des Aufsteiger Quartetts Black Peaks wird mit einem starken Auftritt von While She Sleeps auf der Mad Max Stage vertröstet, der zu den letzten gehört, ehe Frontmann Loz Taylor sich aus persönlichen Gründen vom Tourleben zurückziehen muss. Selbst Gitarrist Mat Welsh ist durch „a fucked up knee“ sichtlich ausgelaugt, was die Band aber überhaupt nicht schwächt. Ehe man sich versieht, werden die ersten Flammenwerfer auf den Baggern für Parkway Drive getestet.
Behemoth spielen ähnlich gerne mit Feuer und nutzen ihre Bühne vollends aus: Sänger Nergal sprintet zu Flammenwerfern über die Bühne, spuckt dem Publikum Worte ins Gesicht und versteht sich, den wuchtigen Sound der Blackened Death Metal Veteranen passend zu verkörpern. Verstörende Videoleinwände und Gruseloutfits komplettieren den durch und durch schlüssigen Auftritt der Band. Die dankenden Ansagen Nergals sind weiterhin Zeugnis für die Freude, die die Bands beim Bespielen des Festivals empfinden. Cannibal Corpse knüpfen musikalisch an, liefern aber einen Auftritt, der eher etwas für’s Ohr als das Auge ist (außer man genießt es, 45 Minuten lange Haarwindmühlen zu beobachten).
Der Headliner des Tages hingegen, Parkway Drive, spielt eine Metalshow wie aus dem Bilderbuch. Von Fackeln begleitet marschiert die Band um Sänger Winston McCall vom hintersten Ende des Festivalgeländes bis zum Wellenbrecher, nur um über diesen hinüberzusteigen und anschließend mit Wishing Wells den Auftritt einzuleiten. Anders als auf vorherigen Touren heben sich Parkway Drive diesmal die Pyrotechnik für die zweite Hälfte des Sets auf, und überzeugen stattdessen mit starken Liedern der neueren Alben Reverence und IRE. Ein Beispiel solch starker Lieder ist Dedicated: das motivierte Publikum zu perfektem Livesound zusammen „Unbreakable“ schreien zu hören und der anschließende Moshpit zählen hier schon zu den ersten großen Festivalhighlights. Zwischen alten Klassikern wie Karma, dem Fegefeuer bei Crushed und der neuen Hymne der Band Prey wird klar, dass Parkway Drive ganz oben angekommen sind. Die Metamorphose vom Metalcore hin zu klassischeren Metalarrangements (inklusive Streichquartett!) ist gelungen, und niemand kann diese Gruppe mehr stoppen.
Und dann wartet in der Nacht noch eine Überraschung: Batushka wählen im Hardbowltent eine regelrechte Kirche als Bühnensetup, inklusive Kruzifix, Schädel und Kerzen. Viele Kerzen. Der Umbau dauert für die Band so lange, dass man beim eigentlich geplanten Spielbeginn noch das Anzünden dieser beobachten kann. Der Aufwand lohnt sich jedoch: Ominöses Kirchglockenläuten leitet eine Performance ein, die einer Messe gleich kommt. Die zu diesem Zeitpunkt eher als Messdiener zu bezeichnende Gruppe schlendert in langen, russisch orthodoxen Roben auf die Bühne, um ihre Botschaft zu verkünden. Wirkt das Prozedere angesichts der Uhrzeit zuerst mühsam, nimmt die Musik Tempo auf und driftet in düsteren Blackmetal ab. Die Absurdität des Ganzen ist fantastisch, und mit einem neuen Album darf man gespannt sein, wo solche Messen wieder stattfinden werden.
Der Samstag bietet eine ordentliche Portion Geknüppel, was bei Malevolence wohl die Hauptzutat für ihren Sound ist. Geschickt platzierte Breakdowns à la Nasty unterbrechen den fließenden Hardcore der Engländer geschmackvoll. Eine Spur elektronischer geben sich Crystal Lake danach die Ehre und bringen das Zelt bereits um Viertel nach drei zum Überkochen. Träumerische Shoegaze Passagen reichen asozialen Breakdowns die Hand, und das Publikum lässt sich mit starkem Gepoge vollends darauf ein. Annisokay zählen zu den größten aufsteigenden Metalcore Bands unserer Zeit, und so ist es auch nur gerecht, dass diese die Hauptbühne eröffnen. Poplastige, perfekte Refrains (siehe zum Beispiel What’s Wrong) und eine solide Performance seitens aller Mitglieder zeugen von dem großen Potential des Quartetts. Anschließend geht es melancholisch mit Harakiri for the Sky weiter. Die wortkargen Österreicher lassen die Musik für sich sprechen, und lullen den Zuschauer in einen Trance ein, der später von Alcest weitergeführt wird. Besonders der Abschlusssong Delivérance letzterer drückt ordentlich auf die Tränendrüse und macht den Abschied von der genialen Formation besonders schwer.
Wachgerüttelt wird man hingegen bei Bury Tomorrow, Jinjer und At The Gates: Während Bury Tomorrow schon lange in den ersten Reihen verschiedenster Lineups mitspielen, sind Jinjer die Hypeband des Festivals. Ein randvolles Hardbowlzelt schaut sich den Auftritt der moldauischen Djent Metalgruppe an, und die Präzision der vier Musiker wird dem Hype gerecht: Glasklarer Gesang, untermalt von zackigen Riffings und tightem Schlagzeugspiel walzen mit Leichtigkeit über das Publikum hinweg. Die Genrekollegen Infected Rain zeigen sich ähnlich motiviert, kämpfen aber während des Auftritts leider mit Frequenzproblemen der Mikrofone. Des späteren Abends spielen Knorkator einen headlinerwürdigen Auftritt, der den von Arch Enemy vollkommen überschattet. Tortenwerfen, nackte Menschen auf der Bühne und die urkomische, ja fast schon Standup-Comedy Attitüde seitens Gero Ivers‘ bilden ein Gesamtpaket, das zur größten Unterhaltung des gesamten Festivals zählt.
Anders Spaß machen tun Zeal & Ardor, die Blues mit Black Metal vereinen – und das verblüffend passend. Das Schweizer Projekt von Manuel Gagneux ist sichtlich erfreut darüber, wie viele es zum Auftritt geschafft haben und ballert ohne große Worte einen Song nach dem nächsten durch. Der soullastige Gesang Gagneux‘ und seiner Backgroundsänger, die wie der Großteil der Band mit ihm in der ersten Reihe stehen, kommt live noch schmerzverzerrter als im Studio zur Geltung. Das Resultat sind Nackenschmerzen vom Headbangen, ehe Arch Enemy ihren ersten Ton überhaupt gespielt haben. Mit einer beeindruckenden Pyroshow und tiefem, gutturalem Gesang stolzieren Sängerin Alyssa White-Gluz und Kollegen triumphal über die Bühne. Was bei Parkway Drive sparsamer Umgang war, ist bei Arch Enemy volle Breitseite: Fast jedes Lied verlässt sich auf die magische Kraft des Feuers, was nach einem guten Drittel der Show leider eintönig wird. Trotzdem sind Arch Enemy berechtigterweise Headliner da sie eine treibende Kraft im Melodic Death Metal und ein starker Liveact sind, mit dem nicht zu spaßen ist.
Der letzte Festivaltag heizt wortwörtlich ein: Bei knapp 38 Grad ist neben vielen Bands Schwimmen angesagt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Seebühne an diesem Tag nur so vor Menschen wimmelt. Während das fröhliche Plantschen beginnt, starten auf der Hardbowl Stage Cane Hill in den Tag. Reichlich angepisst stellen sich die Jungs aus Florida der Aufgabe, die Masse zu begeistern. Und obwohl anfangs nur wenig vom Publikum zurückkommt, vernimmt man das ein oder andere beeindruckte Kopfnicken. The (New) Jesus ist als Opener Song mit einer der besten, den man hier zu hören bekommt, denn das Midtempo der Lieder wirkt gegen Ende des Auftritts etwas zäh. Ein musikalisches Gegenstück dazu sind beispielsweise Walking Dead on Broadway, die mit Blastbeats, höllischen Growls und politischen Statements bewaffnet sind.
Nach einer kurzen Pause präsentieren Harms Way ihren metallischen Hardcore, zu dem sich Frontmann James Pligge gehörig die Seele aus dem Leib schreit – die Worte für Ansagen scheint er jedoch nicht zu finden. Trotz starker Hitze kann die Band auf voller Länge überzeugen mit einem Set, das dank Lieder wie Become a Machine perfekt in einen Support Slot vor Code Orange gepasst hätte. Die Mad Max Bühne geht anschließend auf eine Reise ins tiefste Verderben, denn Whitechapels Phil Bozeman weiß, die blutrünstigen Tiefen seiner Stimme eindrucksvoll zu nutzen. Als Frontmann mit den wohl besten Growls in der Szene (und einem mittlerweile eher unscheinbarem Aussehen inklusive Sonnenbrille) stampft er über die Bühne und macht diese zu seiner Heimat, sodass keine Wünsche offen bleiben. Die fette Soundwand pustet jedes verbliebene Hangover weg und macht den Kopf frei für die unterbewerteten The Ocean.
Ähnlich technisch verspielt wie Tesseract bedient sich das Kollektiv an Industrial Sounds und orchestralen Klängen, die den Postmetal ordentlich stützen. Instrumentale Passagen mögen auch Tesseract. Von kristallklarem Gesang begleitet, schwebt der Sound der Band beispielsweise bei Juno förmlich über die Köpfe des Publikums hinweg. Die versierte Mischung zwischen atmosphärischen Teilen und komplexem Djentriffing zeichnet die Band jeher als eine der stärksten ihres Kalibers aus.
Mit Beartooth wenden wir uns wieder mehr dem Mainstream zu. Das Projekt um Caleb Shomo vertont seit nunmehr fünf Jahren seine Probleme mit Depressionen, Drogen und dem Zustand des Rock ’n‘ Roll. Mit Bandana um seinen Kopf gespannt wirkt Shomo wie ein eifriger Kämpfer an vordersten Front, dem nur noch Kriegsbemalung fehlt. Der wahre Krieg hier ist aber der Sound, der so enorm schlecht ist, dass es schwer fällt, die Lieder voneinander zu unterscheiden. Allein gegen Ende hin kommt mit Body Bag ein wenig mehr Klarheit in den Soundmatsch. Dieser Faktor schwächt die hitzebedingt mittelprächtige Performance der Band, welche sonst immer auf voller Länge zu überzeugen weiß.
Wie guter Wein scheinen Lamb of God mit dem Alter einfach besser zu werden. Trotz Knieschoner hüpft selbsternannter Punker Randy Blythe über die Bühne, als wolle er den Osterhasen imitieren. Gepaart mit kräftigen Vocals spielt die Band ein Set voller Hits, Redneck und Walk With Me in Hell inklusive. Die teils triolische Motivik in der Gitarrenarbeit und geschmackvolle Einsatz von Double Bass ist außerdem ein Alleinstellungsmerkmal der Band, das über die Jahre hinweg noch so frisch klingt wie am ersten Tag. Es ist somit auch nicht überraschend, dass Blythe Turnstile als wichtige Newcomer empfiehlt. Die wohl am stärksten aufsteigende Hardcore Punk Band der letzten Jahre liefert in gerade einmal 35 Minuten ein Set ab, welches abwechslungsreicher nicht hätte sein können. Positionswechsel innerhalb der Band, unbeschwertes Tanzen auf und vor der Bühne, und eine Mischung aus brutalen sowie lockeren Punksongs stehen auf dem Programm. Turnstile kennen keine Grenzen, und es scheint, als gäbe es bei ihnen auch keine Spielregeln. So setzt sich Leadsänger Brendan Yates gerne einfach Mal auf den Verstärker hinter Drummer Daniel Fang, während Bassist „Freaky Franz“ sich das Mikrofon schnappt. Die Spielfreude des Quintetts erinnert teils an die britischen Kollegen Idles, denen Turnstile in nichts nachstehen. Diese Band ist ein weiteres großes Highlight des Wochenendes und wärmstens zu empfehlen!
Flogging Molly stellen die Antithese zum Rest des Lineups da: Lebensfreude, Folk und Piccoloflöten sind aber trotzdem voll Metal. Der den Sänger Dave King umgebende Charme ist infektiös und begeistert die Menge vor der Hauptbühne. Our Last Night schaufeln sich im Hardbowl Tent durch ein von technischen Fehlern heimgesuchtes Set, bei dem zwei Mal der Ton gänzlich ausfällt. Das als Coverprojekt bekannt gewordene Quartett zeigt sich jedoch entspannt und spielt seinen Schema F Metalcore sauber herunter. Wenn gleich das Prozedere musikalisch wirklich nicht spannend ist, muss man der Band lassen, dass alle Mitglieder sehr gute Performer sind und wissen, wie man eine Menge abholt. Jedenfalls sind Our Last Night Welten besser als der miserabelste Act des Festivals: Trommelwirbel… Ja, es sind Limp Bizkit. Ja, sie spielen Shows, und nein, das vor Ewigkeiten angekündigte Album Stampede of the Disco Elephants ist noch immer nirgends zu finden. Stattdessen scheint sich Fred Durst, der mit seinem Fischerhut, orangem Hoodie und weißen Handschuhen so aussieht wie ein bekiffter Halbbruder von Donald Trump, wohl nur Bücher voller dummer Sprüche angefertigt, die er dann Live zum besten geben kann. Schön, wenn sie nur witzig wären: In den langatmigen Pausen zwischen den Stücken herrscht teils komplette Stille, teils sagt Durst unfassbar einfallsreiche Dinge wie „We are Lamb of God, who’s excited for Limp Bizkit?“ Haha. Es ist traurig, wenn das beste am Auftritt das ausgefallene Outfit Wes Borlands ist, der aufgrund seiner viel zu leisen Gitarre fast nicht zu hören ist. Die Oldies der Band wie Nookie oder Boiler klingen dementsprechend halbgar und wie eine schlechte Karaokeversion der Originallieder. Take a Look Around ist der erste und letzte Zeitpunkt, zu dem die Energie der Studioaufnahme live herüberkommt. Summa summarum: Limp Bizkit, bitte labert weniger und spielt ein paar mehr Lieder, vielleicht dann auch von einem neuen Album?
Trotz des bitteren Beigeschmacks nach dem Auftritt von Limp Bizkit war das Full Force ein grandioses Erlebnis, bei dem zwischen Metal, Punk und Hardcore niemand zu kurz kam. Die einzigartige Festivallocation inklusive Badesee und Baggern, perfektes Wetter und angenehme Laufzeiten zwischen den Bühnen machen das Full Force gewissermaßen zu einem Urlaubsziel für die Metalcommunity. Highlights wie Zeal and Ardor, Alcest, Lamb of God oder Turnstile zeigen, dass harte Musik den Kritikern zum Trotze immer noch innovativ und abgefahren ist. In dem Sinne: bis nächstes Jahr!
Bildergalerie (Christina Drotos)