Nachdem Frank Turner & The Sleeping Souls und Muff Potter ihre jeweiligen Konzerte in der Halle des Wiesbadener Schlachthofs innerhalb kürzester Zeit ausverkaufen konnten, haben der britische Songwriter und die deutsche Punkband eine gemeinsame Zusatzshow im Kulturpark der hessischen Landeshauptstadt gespielt – und zusätzlich einige Freunde eingeladen.
Stell dir vor, du spielst auf einem riesigen Open-Air-Gelände – und niemand geht hin. Was sich nach leichter Übertreibung anhört, dürfte sich bei Tim Vantol, Elfmorgen und Schmutzki so oder in ähnlicher Weise in den Köpfen abgespielt haben. Nachdem gestern erst Bon Iver die Kapazität des Kulturparks von 10.000 Besuchern nahezu ausgelastet hat, finden heute nur ungefähr 2.500 Besucher den Weg hinter die Halle des Schlachthofs. Das ist natürlich eine mehr als anständige Zahl, bei den drei Support-Acts verteilen sich die Menschen allerdings großzügig auf das gesamte Gelände, weswegen es unmittelbar vor der Bühne relativ leer wirkt. Das ist besonders bei Niederländer Vantol schade, denn dem Singer/Songwriter ist seine Freude über den heutigen Auftritt dank humorvoller Ansagen anzumerken und mit ein wenig Anlaufzeit schafft er es dann doch, das Publikum etwas mitzureißen und zu ersten Singalongs zu motivieren. Was eben noch klar und differenziert aus den Boxen ertönt ist, wird im Anschluss bei den Frankfurtern Elfmorgen zu einem einzigen Soundbrei. Das lässt den eigentlich mitreißenden Deutschpunk des Trios etwas amateurhaft wirken, die Message gegen Brauner Bär & Co. kommt aber trotzdem an.
Der soundtechnische Ausfall soll heute allerdings die Ausnahme bleiben, denn auch wenn der Deutschpunk von Schmutzki eher in die Kategorie ,,Nicht ernst zu nehmen“ fällt, stimmt hier immerhin die auditive Komponente. Kann man sich zudem für den Spaßpunk des Trios aus Stuttgart begeistern, wird man Zeuge eines humorvollen und losgelösten Auftritts – mit Querverweisen an NOFX und Bon Jovi.
Während im Februar noch weit über 2.000 Leute nur für Muff Potter den Schlachthof aufgesucht haben, sieht das bei vergleichbaren Besucherzahlen heute deutlich anders aus. Natürlich wird in den vorderen Reihen gepogt, getanzt und euphorisch mitgesungen – allerdings in überschaubarem Maße. Dabei macht das Quartett aus dem westfälischen Rheine bis auf vereinzelt lustlos wirkende Bühneninteraktionen eigentlich alles richtig: Muff Potter haben bis auf 100 Kilo all ihre Hits im Gepäck und wie schon im Frühjahr erzählt Frontmann Thorsten ,,Nagel“ Nagelschmidt zwischen den unnachahmlichen Songs Anekdoten aus der langjährigen Bandgeschichte. Diese hat sie nun zum 14. Mal in die Räumlichkeiten des Schlachthofs verschlagen. Wie es nach den weiteren Festivalshows und den beiden Konzerten im Vorprogramm von Hot Water Music im November mit der Band weitergeht, steht aktuell noch immer in den Sternen. Muff Potter haben allerdings gezeigt, dass sie immer noch relevant sind und eine Bereicherung für die hiesige Punk-Szene darstellen.
Der Schlachthof ist mit seinem großzügigen Außenbereich mittlerweile in den Sommermonaten zu einem Treffpunkt verschiedener Subkulturen und zu einem Schauplatz verschiedener sportlicher Aktivitäten geworden. Neben dem Beachvolleyball-Feld gehört inzwischen auch der jährlich betriebene Sommerpark mit diversen Aqua-Attraktionen zum festen Inventar des Geländes, parallel zum heutigen OpenAir finden zudem die zweiten deutschen Sign-Spinning-Meisterschaften statt. Für einen kurzen Moment findet die außergewöhnliche Sportart Einzug in die Punk-Szene, wenn der alte und der neue deutsche Meister im Sign Spinning ihr Können auf der Bühne im Kulturpark unter Beweis stellen. Danach ist allerdings für 70 Minuten Vollgas Folk-Punk angesagt.
Schon beim eröffnenden Get Better kann man registrieren, dass ein Großteil der Konzertbesucher vor allem für Frank Turner und dessen Begleitband The Sleeping Souls angereist ist. Unmittelbar vor der Bühne herrscht leichtes Gedränge, welches sich endlich in schwitzigen Moshpits entlädt. Überhaupt scheint es so, als hätte Turner jegliche musikalische Hemmungen beiseite gelegt: Der Brite spielt sich durch ein 17 Songs starkes Set, welches zwar auch Platz für Balladen lässt, diese aber so geschickt einstreut, dass lieber lautstark mitgesungen wird anstatt zwischen vielen punkigen Stücken zu verschnaufen. Der Brite gibt sich bei seinen Ansagen als herzenswarm und humorvoll, erkundigt sich nach dem Wohlergehen seiner Fans und nutzt noch nicht einmal die Gelegenheit, die Werbetrommel für sein kommendes achtes Album No Man’s Land, welches am 16. August erscheint, zu rühren: Weder erwähnt Turner den baldigen Release noch integriert er einen der Songs im Set. Neu in der Band ist dagegen Crewmitglied Cahir, welcher den regulären Bassisten Tarrant Anderson vertritt, da dieser auf die Ankunft seines ersten Sprösslings wartet. Lange warten müssen Turners deutsche Fans hingegen wohl nicht auf seine Rückkehr in die hiesigen Clubs, denn nach eigener Aussage darf man für das Frühjahr 2020 eine neue Tour erwarten. Ganz egal wie das neue Album ausfällt: Frank Turners humorvoller Umgang mit dem neuen Bandmitglied, seine Publikumsnähe und soziale Art machen ihn zu einem von rar gesäten Vorbildern in der Musiklandschaft. Da ist es fast egal, wie er seine Setlist zusammenstellt.
© Fotos von Valentin Krach