Sie sind nicht nur Labelkollegen, sondern gehören auch beide der alternativen Szene der US-Westküste an: Trotz komplett verschiedener musikalischer Ausrichtungen haben Touché Amoré und Deafheaven für eine gemeinsame Tour den Weg nach Europa gefunden.
Als jeweils etablierte Bands mit einem Auge für spannende Newcomer-Acts dürfte die Wahl auf Portrayal Of Guilt als Vorband eine gemeinsame Konsens-Entscheidung gewesen sein, da Touché-Amoré-Frontmann Jeremy Bolm den Anheizer des Abends später in den höchsten Tönen lobt, während Deafheaven-Gitarrist Kerry McCoy den Auftritt seiner Band in einem Portrayal-Of-Guilt-Shirt absolviert. Portrayal Of Guilt selbst bekommen leider nicht die große Aufmerksamkeit, die den beiden Headliner-Bands später entgegengebracht wird, schaffen es aber dennoch, mit ihrem Black-Metal-Gekreische und Hardcore-Punk- bis Grindcore-Geknüppel Eindruck zu hinterlassen. Diese brachiale Mischung haben die Texaner auf bislang eine Platte, drei EPs und zwei Single-Veröffentlichungen gepresst, die allesamt zu nahezu gleichen Anteilen die Setlist ausmachen. Insgesamt fehlt es dem US-Trio aber noch etwas an Feinschliff, um es mit der musikalischen Klasse der folgenden Bands aufnehmen zu können.
Mit ihrem vierten und aktuellen Album Ordinary Corrupt Human Love haben Deafheaven ihren Post-Rock-Black-Metal wieder deutlich mehr ins Shoegaze-Licht getaucht, dass das Quintett nach dem dritten Album New Bermuda aber auch weiterhin in der Lage ist, harten Metal zu veröffentlichen, bewies nur sieben Monate nach der Veröffentlichung des aktuellen Albums die Single Black Brick, mit der die 2010 gegründete Band am heutigen Abend ihr rund einstündiges Set eröffnet. Schon im siebenminütigen Opener peitscht Frontmann George Clarke mit seinem Keifen die Instrumentalisten seiner Band nach vorne, für die Ästhetik sorgt er zudem auch noch, indem er seine klitschnassen langen Haare immer um seinen Kopf rotiert, wenn er gerade nicht damit beschäftigt ist, mit seiner Stimme die Hölle heraufzubeschwören. Den musikalischen Stil von Deafheaven haben seit dem bahnbrechenden Sunbather (2013) zahlreiche Bands kopiert, der Klasse des Originals sind aber nur Deafheaven wieder so nah gekommen. Diese neue Welle des Black Metals findet zudem auch in der optischen Komponente statt: Anstelle von Corpsepaints tragen die Mitglieder von Deafheaven lieber Sneaker, Jeans und T-Shirts. An der epochalen Länge der Musik hat sich dagegen nichts geändert: Gerade einmal sechs Songs ,,schaffen“ Deafheaven in einer Stunde.
Das sieht bei Touché Amoré dagegen schon wieder ganz anders aus: Sein elf Songs und 18 Minuten langes Debütalbum …To The Beat Of A Dead Horse spielt das Quintett aufgrund dessen zehnjährigem Jubiläum komplett und am Stück. Das ist vor allem absoluter Fanservice, der Band selbst und vor allem Jeremy Bolm ist aber auch anzumerken, wie sehr ihnen die Platte über die Jahre ans Herz gewachsen sein muss. Schon im zweiten Song Honest Sleep wirft sich Bolm auf das Publikum und während dieses ersten Konzertabschnitts lässt er das Mikrofon gleich mehrere Male auf dem Boden liegen, um zusammen mit den Fans die Texte in gleicher Lautstärke herauszuschreien. Im Anschluss folgen weitere 13 Songs, die sich nahezu gleichmäßig auf die anderen drei Alben verteilen. Zwischen das immer noch unglaublich emotionale Flowers And You und Palm Dreams schmiegt sich der erst kürzlich veröffentlichte neue Song Deflector – mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste Vorbote des noch unbetitelten fünften Albums, das im kommenden Jahr erscheinen soll, wie Bolm verrät. Dem Sänger ist der Drang, sich immer wieder ins Publikum begeben zu wollen, anzumerken, woran ihn allerdings die Schutzplanken zwischen der Bühne und dem Publikum hindern, was Bolm kurzerhand als ,,fucked up stage situation“ deklariert. Zwischen ihm und seinen Fans ist also eine Barriere, die brutal ehrlichen und emotionalen Texte Bolms lassen diese allerdings schnell vergessen.
Den herzzerreißendsten Song heben sich Touché Amoré bis zum Schluss auf: In Skyscraper errichtet Bolm seiner vor vier Jahren an Krebs verstorbenen Mutter ein lyrisches Denkmal, für das er auf seine ungewohnte Gesangsstimme zurückgreift. In der ersten und ruhigen Hälfte des Songs verstummen zudem die Stimmen aller Besucher, die bis dato in den vordersten Reihen die Texte Bolms lautstark mitgegrölt haben. Wohl auch in weiser Voraussicht, dass die Band im Anschluss für eine Zugabe auf die Bühne zurückkommt. ~ verkörpert wie kein zweiter Song die Trademark-Elemente der Band und ist bis heute der live meistgespielte Song von Touché Amoré.
© Fotos von Jonathan Schütz