Livereview: The Hirsch Effekt + The Intersphere, Knust Hamburg, 12.12.2019

Zum Ende des Jahres durften sich Hamburger freuen: Sowohl das Artcore Trio The Hirsch Effekt als auch die Progrocker The Intersphere spielten vergangenen Donnerstag eine besondere Show im Knust. Der Abend, welcher von Fritz Cola gesponsort wurde, brachte sogar eine amüsante Bücherlesung mit sich.

Bevor die Konzerte losgehen startet Nils Wittrock mit einer Lesung seines Buches Wer jetzt noch umblättert ist selber schuld. Umgeben von einer Fanschar nimmt der The Hirsch Effekt Frontmann auf einem gemütlichen roten Sessel in einer Ecke des Knust Eingangsbereichs platz. Wittrock trägt im Laufe von 20 Minuten zwei unterhaltsame Kapitel vor. Ersteres handelt vom Bassisten Ilja Lappin und den Anfangstagen der Band, während sich das zweite mit der problemlastigen ersten Tour befasst. Bei vielerlei Anekdoten, wie etwa über Spitznamen wie „Brobot“ oder die einstige Haarpracht Lappins, hört man den Raum vermehrt Kichern unterdrücken. Wittrocks selbstironische Art kommt gut an und schafft binnen kürzester Zeit eine Wohnzimmeratmosphäre, bei der man fast vergisst, dass noch zwei klasse Konzerte folgen werden.

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Als erstes steigen The Intersphere in den Ring und beweisen schleunigst, dass sich ihre Soundbastelei im live noch besser schlägt als im Studio. Verhältnismäßig ruhig ist der Opener Don’t Think Twice nur ein Vorgeschmack, von dem, was noch kommen soll. Dennoch offenbart sich bereits hier die größte Stärke der Band, nämlich, dass alle Instrumentalisten absolute Profis sind. Moritz Müller schmettert im Verlaufe des einstündigen Sets so präzise wie technisch versiert auf sein Schlagzeug ein, was in absoluten Höhepunkten wie The Grand Delusion oder Secret Place von der jüngsten Platte kulminiert. Der Rest der Band versteht sich, außerweltlich atmosphärische Klänge zu schaffen, und diese in Deftones ähnlichen Liedern à la Out of Phase in den Vordergrund zu bringen. Auch der Sänger und Gitarrist Christoph Hessler strotzt nur so vor kreativen Ideen in seinem Gitarrenspiel, während seine Stimme dynamisch das i-Tüpfelchen hinzufügt.

Von altem Material gibt es lediglich Prodigy Composers zu hören, was bei der durch und durch großartigen Darbietung neuer Lieder aber auch keinen stören dürfte. So schnell wie der Spaß angefangen hat ist er auch schon vorbei, und es ist ein wenig ernüchternd zu wissen, dass das Quartett an diesem Abend nur eine Stunde spielen darf. Linger bildet einen schönen Abschluss und hinterlässt den Saal im Trance, was schon bald vorbei sein wird. Mit der Ankündigung der Arbeit an einem neuen Album verabschiedet sich die Band bis zum neuen Jahr.

Bei The Hirsch Effekt ist Stress angesagt, spätestens, wenn die Gruppe mit dem fingerflinken Lifnej erste Kiefer herunterklappen lässt. Obwohl der Sound während des ersten Songs noch etwas zu wünschen übrig lässt, springt der Funke beim Publikum trotzdem direkt über, und die Fans schreien lauthals den hymnischen Refrain mit. Wie zuvor bei The Intersphere heißt es auch hier, so viel wie nur in 60 Minuten möglich darbieten zu können. Die weit ausholenden Lieder, zu denen auch das darauffolgende Cotard zählt, erzählen jedes Mal eine Geschichte, die den Zuhörer mit auf eine Reise nimmt.

20191212_224705Zwischen schierer Brutalität und der Romantisierung von Dissonanz spielen The Hirsch Effekt vor allem mit dem menschlichen Empfinden von dem, was man als „schön“ bezeichnet. Ruhige Zwischenteile wie die im ausgeklügelten Xenophotopia sind sogar schon regelrecht verzaubernd und beruhigend, ehe man von Death Metal und einem Classic Rock Solo wieder aus allen Wolken gerissen wird. Es ist vermutlich dieser Kontrast und die zackigen Riffs, die The Hirsch Effekt für viele zu den nächsten The Dillinger Escape Plan küren. Was man aber oft vergisst ist der Fokus der Gruppe auf motivische Arbeit, die sich teils erst über Minuten hinweg entwickelt. Die ebenso harte wie mathematisch angelegte Natur der Songs spiegelt sich auch im Publikumsverhalten wider: Die einen ziehen es vor, auch im 9/13 Takt richtig zu headbangen, während andere einfach im Moshpit die Sau rauslassen wollen. Tardigrada, das mit Abstand kürzeste Lied des Abends, erfüllt genau diesen Zweck und leitet direkt in Berceuse über.

Auf dem Papier fragt man sich bei den Hannoveranern immer, wieso sie nur so wenig Lieder live spielen können. Ein Blick auf die Länge der einzelnen Werke beantwortet dies jedoch schnell: Die Durchschnittslänge liegt bei siebeneinhalb Minuten; Fanfavorit Mara macht es sich mit 11 Minuten sogar schon im ersten Drittel des Sets gemütlich. Dies evoziert das Gefühl, die Band würde noch gar nicht so lange spielen, als es dann vor dem 13-minütigen Epos Lysios auf einmal tschüss heißt. Was auch weitestgehend unbemerkt bleibt ist wie sportlich Wittrock sich trotz starker Erkältung und einem bald folgenden Stimmverlust durch die Performance kämpft. Als nach Lysios alles in Schutt und Asche liegt, und man sich nach einer Zugabe sehnt, erklärt der Frontmann, dass ein weiterer Song nicht drin sei. Wie auch bei The Intersphere langt dem Publikum aber am Ende das Versprechen einer längeren Show in der nahen Zukunft, und das Trio wird mit tosendem Beifall verabschiedet.

Insgesamt war das Event im angenehm vollen Knust ein Erfolg, bei dem zwei stilistisch total verschiedene Gruppen gezeigt haben, dass mitreißende Kompositionen keine Genregrenzen kennen. Wenn gleich es bei der im Vergleich zu sonstigen Konzerten kurzen Spielzeit beider Gruppen so scheint, als wolle man einfach so viele Lieder wie möglich ins Set packen, tut dies den Auftritten keinen Abbruch. Und mit dem Blick auf zwei neue Alben dieser hochkarätigen Bands kann das neue Jahrzehnt gar nicht schnell genug kommen.

Bilder und Artikel von Alexander Loeb