Review: Olympya – Auto

Auto ist das Debütalbum der Hamburger Band Olympya, deren Kern aus Marcus (der einigen als Pierre Sonality bekannt sein dürfte), Andi und Lucas besteht. Dass Olympya aber vielmehr Teamsport als Trio sind, wird spätestens bei einem Blick auf die Instagram-Seite der Band klar: Dort präsentiert sich „Team Olympya“ seit August 2020 maximal sympathisch und stellt dort unter anderem seine Mitglieder vor: Neben dem genannten Bandkern gehören dazu noch mindestens acht andere Menschen, von der Managerin Lena über „Pianistin und Synthesizer-Tastenfrau“ Aro bis hin zu Produzent Jurik. Ein Band- und Albumprojekt als Teamsport also. Wie gelingt und vor allem wie klingt so etwas?

Eines kann an dieser Stelle schonmal verraten werden: Auto ist definitiv kein Genrealbum – außer man würde hier und heute offiziell das „Olympya-Genre“ ausrufen. Das wäre dann aber auch die einzig akzeptable „ein-Genre-Antwort“. Auf dem Debüt der Band findet sich alles von NDW, Punk und Wave, HipHop und Pop. Hört man die insgesamt elf Tracks des Albums von vorne bis hinten durch, wird einem definitiv nicht langweilig, das sei an dieser Stelle versprochen.

Los geht es mit dem wavigen Berlin – ein Song, der sich wie ein „trip down memory lane“ an eine Jugendliebe und einen Sommer in Berlin anfühlt. Ich will ehrlich sein: Mich ganz persönlich hat der Song leider nicht wirklich abgeholt, weshalb ich froh war, dass es im Anschluss völlig anders weitergeht: Und zwar mit Ostseeträume. Der Song ist eine Parodie auf alte, weiße Männer, die sich in der Fantasie einer Ostseeinsel als „weißer Kolonie“ verrennen: „Und sie träumen kreidebleich im Paradies Ostseeträume einer weißen Kolonie/ Und dort träumen alte Greise ganz senil Ostseeträume/ Eine geheime Fantasie“. Diese Träumerei entgleitet ihnen allerdings vollends, als sie feststellen, dass sie vor lauter Sonnenbaden nun farblich deutlich besser zu ihrer Ideologie passen: „Alte braune Männer wollen nach Hause zurück, da hat der liebe Gott ihnen ein Schlauchboot geschickt/ Alte braune Männer vor der Küste vor Germanien, doch keiner nimmt sie auf, weil sie als Flüchtlinge kamen (hahahaha)“.

Weiter geht es mit einer Reihe von drei der insgesamt vier Songs, die Olympya in Antizipation auf ihr Debütalbum seit August 2020 veröffentlicht haben: Tabletten, Crash Test Dummies und Drohne. Alle drei Songs haben gemeinsam, dass sie erstens mit sehr guten Videos daherkommen und zweitens extrem eingängig sind – wenn sie auch thematisch nicht unterschiedlicher sein könnten: In Tabletten arbeitet sich die Band an einer verlorenen Beziehung ab, in Crash Test Dummies geht es um eine ungesunde Obsession. Drohne kritisiert wiederum den teils proklamierten Videospielcharakter von Drohnenangriffen (man erinnere sich nur an die ein oder andere vergangene Bundeswehr-Rekrutierungskampagne). Das vierte Vorab-Release ist Rocky – ein Song über einen Jungen, der mit Mobbing kämpft, dem es aber gelingt, Kraft aus der Kunstfigur Rocky zu schöpfen: „Aber jetzt lern‘ ich von den Besten mich zur Wehr zu setzen/ Die Methoden des Sylvester Stallone“.

Zwei meiner persönlichen Highlights auf Auto sind die Songs Deine Schwester und Die Kohle meiner Eltern. Ersterer ist ein waschechter Punksong, in dem die Band ziemlich deutlich zum Ausdruck bringt, dass es ein – ja, wie sagt man so schön – wahrer „deal breaker“ ist, wenn die Angebetete sich plötzlich für eine Karriere bei der Polizei entscheidet: „Was ist nur aus ihr geworden?/ Gestern wollte sie noch jeder/ Heute trägt sie einen Orden, Gummiknüppel, Lack und Leder/ Und ich hab‘ von ihr geträumt, wollte täglich mit ihr sein/ Heute geh ich auf die Demo und dann schlägt sie auf mich ein“. Und weil der so schön ist, hier auch noch der Refrain: „Deine Schwester ist jetzt bei der Polizei/ Deine Schwester – ich bin in ihrer Kriminalkartei“. Auch der Text von Die Kohle meiner Eltern in Kombination mit den Gitarrensounds und dem stakkatoartigen Sprachgesang ist einfach pures Gold: „Sie wollen mich begleiten und sie hängen bei mir an/ Das Geld von meinen Alten hat sie abhängig gemacht/ Wenn ich lache, lachen alle/ Wenn ich weine, weinen sie auch/ Wenn ich falle, fallen alle/ Doch mich fängt nur eines auf: Die Kohle meiner Eltern“ heißt es im ersten Teil des Songs. Die Kohle meiner Eltern zerlegt auf unglaublich kluge und lustige Art und Weise ein durch Geld entstehendes Machtverhältnis im privaten Umfeld. Ein weiterer lyrischer Favorit: „Mutti ich will feiern gehen, noch ein Fuffi ist doch kein Problem/ Bin umringt von guten Freunden, die auf deine Scheine zählen“.

Zu Beginn dieser Review habe ich mich gefragt, wie ein Album als Teamprojekt klingt. Die Antwort nach elf Olympya-Songs ist: Wild. Musikalisch lässt sich die Platte wohl am besten durch Wörter wie „Wundertüte“ oder „Konfettikanone“ beschreiben: Immer wenn man denkt, man hätte den Sound der Band verstanden, kommen die Hamburger mit etwas völlig anderem um die Ecke – einen roten Faden gibt es nicht. Dass viele unterschiedliche Personen am Album mitgemischt haben, hört man definitiv heraus. Das wird nicht jeder/jedem gefallen. In meinen Augen ist das aber keine Schwäche, sondern viel mehr ein Alleinstellungsmerkmal der Platte.

Lyrisch bilden sich auf dem Album mehrere Themenstränge heraus: Viele Songs sind mit einer ordentlichen Portion Nostalgie aufgeladen und reflektieren (zumindest teilweise) die Jugend der Bandmitglieder in den 90er Jahren (Berlin, Rocky, Teenage Pizza Horrorfilm, Schulhof). Andere sind mit mehr oder weniger klaren politischen respektive sozialkritischen Statements  gespickt und regen den/die geneigte Hörer*in zum Nachdenken an (Ostseeträume, Drohne, Deine Schwester, Die Kohle meiner Eltern). Auch arbeiten sich Olympya in einigen Songs an Themen rund um vergangene Beziehungen (Berlin, Tabletten) ab.

Von letzterem bin ich persönlich zwar kein wahnsinnig großer Fan, das ist aber auch gar nicht so schlimm. Denn eines merkt man Olympya in jeder Faser ihres Debütalbums an: Die Band hat einfach wahnsinnig Bock auf das, was sie macht. Und dazu gehört auch, sich frei von jeglichen Genregrenzen und sonstiges Schubladen zu bewegen. Herausgekommen ist ein mehr als abwechslungsreiches Album, das ich wirklich wahnsinnig gerne so bald wie möglich live hören möchte und dass den/die Hörer*in in freudiger Erwartung darauf zurücklässt, was Olympya in der Zukunft von sich hören lassen.

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Label: Audiolith Records
VÖ: 26.02.2021

Genre: NDW, Pop, Punk

Vergleichbar:
Madsen – Wo es beginnt
Odd Couple – Universum Duo

Wertung:
10/15