24/7 Diva Heaven – „Ihr wisst schon, dass Nevermind Nirvanas zweites Album war“

Trotz oder wegen der Pandemie gelingt 24/7 Diva Heaven 2021 mit Stress und ihren Schnittstellen-Sound zwischen Grunge, Punk und Noise ein Achtungserfolg, der auch mit Gift nicht abreißen wird. Wie die neue Platte entstanden ist, wie die Band mit der steigenden Erwartungshaltung umgeht und wie es zum Feature mit Beatsteaks-Sänger Arnim Teuteborg-Weiss gekommen ist, erzählt Bassistin Karoline Paschedag im Interview.

Aber von vorne: 2020 erscheint das erste musikalische Lebenszeichen von Paschedag, Schlagzeugerin Marie Westphal sowie Sängerin und Gitarristin Katharina Ott-Alavi, die fünf Song starke EP Superslide, mit denen der Grundbaustein für den Sound gelegt wird, den sie auch heute noch spielen: Deutlich hörbare Nirvana-Sozialisation, mit der Energie des Punks, der dissonanten Zerstörungswut von Noise ausgestattet, und Texte, die sich an den gesellschaftlichen Missständen abarbeiten. Also dementsprechend auch in Schlagweite zu Riot-Grrrl-Bands wie Team Dresch, L7 oder Hole. Oder um es mit 24/7 Diva Heavens Spotify-Beschreibung zu sagen: BERLIN BASED BUTTER MELTIN‘ ROCK. Ein Jahr nach Superslide folgt mit Stress das Debut im Albumformat, das den 24/7 Diva Heaven-Stein erst so richtig ins Rollen bringt: wohlwollende Rezensionen in der Musikpresse, Cover-Stories, Auftritte beim WDR-Rockpalast, Konzerte mit Dream Wife und, darum wird es später noch gehen, den Beatsteaks – beste Voraussetzungen also, um sich in den Köpfen von Musikliebhaber*innen festzusetzen. „Viele haben sich dazu entschieden, in der Pandemie nichts rauszubringen. Vielleicht hatten dann so kleinere Bands bisschen Glück, dass es nicht diesen Overload gab“, liefert Paschedag eine mögliche Erklärung.

Irgendwann sind alle Konzerte zu Stress gespielt und die Arbeit an einem neuen Album steht an. Das schwierige zweite Album, ein Mythos, der sich durch die Musikgeschichte zieht, und auch vor 24/7 Diva Heaven nicht Halt macht. Nicht, weil die Band sich selbst unter Druck setzt, sondern vor allem, weil er von außen an die Band herangetragen wird, mit nicht gerade drucknehmenden Vergleichen. „Das erste Album kann ja jeder machen, aber ihr wisst schon, dass Nevermind Nirvana zweites Album war“, ist etwa ein Satz, den sie hören, wie die Bassistin lachend erzählt. Dabei startet der Songwritingprozess zu Gift entspannt, auch „weil man ein paar Kniffe und Tricks dann doch schon kannte, man hat das schonmal gemacht, wusste irgendwie, auf was es einen selber ankommt und hatte sich irgendwie eingespielt.“ Auch wenn es die bereits angesprochene Erwartungshaltung von außen gibt, die der Band nach und nach bewusst wird, schaffen es die Drei sich auf sich selbst zu konzentrieren: „Ich glaube, wir haben es uns nicht zu sehr zu Herzen genommen und einfach unser Ding gemacht, und ist ja auch gut geworden.“ Ist es, und gewissermaßen die logische Konsequenz aus Stress: Weiterentwicklung im Songwriting, trotzdem unverkennbar 24/7 Diva Heaven, mit allen Ecken und Kanten. Abgesehen davon, durchzieht seit Bandgründung ohnehin ein gewisser Pop-Appeal die Songs, dem sie auf Gift in Form von eingängigen Melodien mehr Raum geben. Konkrete Vorstellung davon, wie das neue Album klingen soll, existieren nicht, eher sind die Fortschritte im Songwriting der langjährigen Übung und dem Umstand geschuldet, mit der erste Platte nun eine Vergleichsmöglichkeit zu haben. „Aufgenommen ist es bei derselben Person, die Stress aufgenommen hat, bei René Hofmann in Darmstadt. Wir haben dieses Mal gesagt: Was würde uns im Vergleich zu der Platte vorher passen: Wollen wir, dass der Gesang mehr eingebettet ist? Wollen wir einen prägnanteren Bass haben? (…) Und haben dann aber auch noch für uns geguckt und gesammelt, was wir für Referenzen haben, was man halt so hört“, so Paschedag. „Zum Beispiel fanden wir immer gut, wenn bei Idles Schlagzeug und Bass nach vorne gehen, sowas haben wir gesammelt. Aber am Ende ist es doch wieder mehr in die Richtung gegangen, wie Stress war, als es eigentlich ursprünglich mal klang. Am Ende standen wir so da: Mhhh, ist eigentlich gar nicht mehr so anders. Aber wenn man das hört, ist gut zu wissen. Wir haben uns schon Gedanken gemacht, aber wir mochten auch wie Stress klang. Also ist es auch nicht verkehrt, wenn man da noch die Verwandtschaft hört.“ Einige Stücke von Gift spielt die Band schon länger live, das älteste schätzt sie auf anderthalb Jahre, andere schreibt die Bands mit Hinblick auf ein mögliches zweites Album. „Einmal haben wir uns letztes Jahr ein verlängertes Bandwochenende in Brandenburg gebucht, das ist so ein ausgebauter Hof (…), und da waren wir dann drei Tage und waren ein bisschen kreativ. Da sind, glaube ich, auch zwei Songs entstanden, so im Grundgerüst, Face Down und Crown Of Creation.“ Generell ist das Songwriting ein Gemeinschaftsprozess, auch wenn das Hauptriff meistens von Gitarristin und Sängerin Katharina Ott-Alavi stammt. Für die Texte ist Ott-Alavi alleine zuständig, und bekommt laut Karo von ihren Bandkolleginnen freie Hand: „Was die Inhalte betrifft, waren wir noch nie in der Situation, uns einmischen zu müssen. Also sie hat noch nie etwas geschrieben, wo ich gedacht habe: Boah, da stehe ich aber nicht dahinter, das ist irgendwie doof oder so. Das wird wahrscheinlich auch nicht passieren, wir haben ja schon die gleiche Grundhaltung, daher inhaltlich würde ich mich nicht einmischen, es sei denn, sie fragt gezielt.“ Erst entsteht die Musik, dann der Text, was im Proberaum zu interessanten Szenen führen kann: „Das ist ganz süß, weil sie sich oft dann erstmal die Melodien überlegt und die Rhythmik, und dann in so Fantasysprache erstmal bei den Proben singt, bisschen so wie Damo Suzuki, es klingt so, als wäre es englisch, aber es ist nicht englisch. Man kriegt schon eine ganz gute Idee davon, was es werden könnte, und dann guckt sie auch, wo welcher Vokal passt. Muss schon interessant sein in Katharina Ott-Alavi.“

Aber wie klingen die Songs von Gift denn jetzt konkret? Fangen wir an mit These Days, dem Song mit Beatsteaks-Sänger Arnim Teuteborg-Weiss. Beim Schreiben des Songs kommt die Idee auf neben der von Ott-Alavi noch eine weitere Stimme einzubauen. Unabhängig voneinander kommen Ott-Alavi und Paschedag auf dieselbe Idee: Warum nicht Arnim von den Beatsteaks fragen? Mit denen stehen sie seit gemeinsamen Shows sowieso lose in Kontakt. Dass es nicht bei dem Hirngespinst bleibt, dafür sorgt auch ein zufälliges Aufeinandertreffen der beiden Bands: „Wir waren bei Idles und ich bin irgendwann kurz rausgegangen und hab dort die Beatsteaks getroffen und dann stand ich da und hab mich mit Arnim unterhalten und hatte auch schon drei Sekt drin und hab gesagt: ‚Du, weißt du was, ich frag dich jetzt einfach mal: Wir haben da diesen Song, was sachste?‘ Und er so: ‚Ja, klingt voll geil, schick mal lang und dann gucken wir mal‘“. Eine passende Wahl – zum einen, weil die beiden Stimmen hervorragend miteinander harmonieren, zum anderen, weil der Song auch ohne Feature eine gehörige Portion Beatsteaks abbekommen hat, also über ein gehöriges Maß an Hitpotential verfügt. Wer sich fragt, ob 24/7 Diva Heaven auch in größerem Rahmen funktionieren könnten, bekommt hier einen möglichen Fingerzeig. Wenn These Days die eingängige Seite der Band widerspiegelt, steht die Leistungsgesellschaft-Absage Rat Race für die brachiale, L.O.V.E. Forever für die hardcore-punkige und Crown Of Creation in der Tradition von Everyman, also eines Songs, der das Tempo drosselt und stattdessen auf Melodien als Aufmerksamkeitsgewinnungsmaßnahme setzt. Ein weiteres Highlight ist der Titeltrack, der reduziert mit Ott-Alavis Stimme, Gitarre und dezenten Klaviertönen beginnt, und, um eine weitere Nirvana-Analogie zu bemühen, einen Something In The Way-Moment kreiert, also starke Emotion mit ganz wenigen Mittel hervorruft, wie es Sängerin Ott-Alavi im Reflektor-Podcast formuliert. Im Refrain schwillt Gift dann zur großen Hymne an und lässt im letzten Drittel des Songs den Riot-Grrrl-Geist wieder aufleben. „So drink my poisoned blood/That’s crawling up my spine/I’m laughing while I cry/This pretty, sick, sad life/I hold my head up high/In the misleading sky/I see it in your face/This sad life I embrace“, heißt es im Refrain und unterstreicht damit, wofür 24/7 Diva Heaven auch stehen: Musik als Katharsis, als Ohnmachtsbewältigung. Musik, die wachrüttelt und in den Arm nimmt, die aus einer subjektiven Empfindung heraus entsteht, aber zu einer kollektiven werden kann und damit auch auf Platte symbolisiert, was auf Konzerten erfahrbar wird: Gemeinschaft als Lösungsstrategie gegen den ganzen Scheiß auf der Welt, Gemeinschaft abseits von nationaler Identität. Ein Bubble-Moment, der nach Ende des Konzerts wieder in sich zusammenfällt, ja vielleicht, aber auch über diese anderthalb Stunden hinaus Mut und Kraft spenden kann, selbst wenn danach wieder der Alltag wartet: „Ich muss mir bewusst machen, dass es nicht immer der Moment sein kann, wenn man mit seinen Leuten in einen Konzertraum steht. (…) Bevor wir hier das Zoom-Meeting gestartet haben, habe ich mir eine sechs Minuten Zusammenfassung von der Donald Trump Rede im Madison Square Garten angeguckt und habe gedacht: Ach du scheisse. Es gibt halt schon genug abgefucktes Zeug in der Welt.“

Den überraschendsten Moment heben sich 24/7 Diva Heaven für Nothing Lasts Forever, den letzten Song des Albums auf, der nicht viel mehr braucht als Klavier und Ott-Alavis Stimme. Ein Song, der das Album mit einem Ausrufezeichen beendet, ohne dafür aggressiv oder schnell sein zu müssen. Ein Ausrufezeichen, verdeutlicht er einmal mehr, dass 24/7 Diva Heaven nicht in Genre-Schubladen denken, sondern ihrer Intuition vertrauen. Ein Ausrufezeichen, das nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass das Verlassen der musikalischen Komfortzone dennoch mit Unsicherheiten verknüpft ist und dementsprechend Mut erfordert. Besonders für Ott-Alavi, von der die initiale Idee stammt, war es zunächst nicht einfach den Song, den Klavier-Song, wie er bandintern genannt wird, den anderen vorzustellen. „Sie hat so ein riesiges Geheimnis um diesen Song gemacht. Aber das ist für sie ja auch verständlich, weil es für sie was ganz anderes ist. Für sie ist es ja auch irgendwie nackt, sie kann sich hinter keiner Gitarre verstecken, hinter keiner Band, keinem Bumms. Es ist einfach nur Klavier und ihre Stimme (…). Aber ich finds super, mir gefällt es als Abschluss total gut.“ Dafür spricht auch, dass die Band bislang keine überraschten Reaktionen bekommen hat: „Irgendwie scheint sich das gut einzubetten, wenn die Leute da nicht irritiert sind oder es komisch finden.“

24/7 Diva Heaven prangern nicht nur in ihren Texten gesellschaftliche Missstände an, sondern werden auch selbst aktiv. So haben sie etwa 2019 das Berliner Kollektiv GRRRL-NOISY mitgegründet, das Jam-Sessions für FLINTA*-Musiker*innen sowie Festivals organisiert und damit wichtige Vernetzungsarbeit leistet. Aktuell pausiert das Kollektiv leider – einmal, weil es keinen passenden Raum zur Durchführung gibt, aber auch weil das nötige Geld fehlt. „Seit CDU-Regierung in Berlin sind relativ viele Fördermittel gestrichen und ja, kein Antrag hat einen Zuschuss bekommen, deshalb ist das nicht tragbar leider.“ Im Dezember 2023 spielen 24/7 Diva Heaven gemeinsam mit der Bremer Punkband Team Scheisse sechs Konzerte unter dem Titel FLINTA Winta. Shows, zu denen ausschließlich FLINTA*s Zutritt bekommen, also Frauen, Lesben, intergeschlechtlichen, nichtbinären, trans und agender Personen. Die Initiative kommt von Team Scheisse, aber 24/7 Diva Heaven müssen nicht lange überlegen und sind dabei. „Für uns ist das weniger relevant als für Team Scheisse, da wir keine Probleme mit T-Shirt freien Vollprollos in der ersten Reihe haben, die nur rumschubsen und FLINTA*s keinen Raum geben oder die rumgrabtschen oder besoffen einfach unangenehm sind, das kommt bei uns eigentlich nicht vor. Aber Team Scheisse haben ein sehr großes Problem damit auf ihren Shows. Zumindest gehabt. Ich weiß nicht, wie es momentan so ist. Ich kann mir auch vorstellen, dass durch die Nummer die ein oder andere Person auch gesagt hat: ‚Tschau Leute, ihr seht mich nicht wieder‘“. Viel wichtiger als die Reaktion beleidigter Cis-Männer ist die Reaktion derjenigen, die bei den Konzerten dabei waren, und die durch die Bank positiv aufgefallen sind. „Die Konzerte waren mega, die Leuten haben sich total bedankt, haben gesagt, sie haben noch nie geiler ein Konzert genossen. Es war wirklich herrlich, hat voll viel Spaß gemacht.“

Wie nimmt Karo die Repräsentation von FLINTA*s im Musik-Business, sei es vor der Bühne als Zuschauer*in, hinter der Bühne als beispielsweise Techniker*in oder auf der Bühne als Künstler*in wahr? „Techniker*innen muss ich sagen sind immer noch eine Seltenheit. In den Clubs, in denen man ankommt, keine Ahnung, ob da jemals eine FLINTA*-Person am Mischpult stand oder das Licht gemacht hat, also das ist definitiv super unterrepräsentiert.“ Besser sähe es bei FLINTA*-Bands aus, allerdings abhängig davon in welchen Blasen man sich bewege. Denn wer einen jährlichen Blick auf das Rock am Ring-Line-Up wirft, weiß: Bei den großen Festivals kann von einer 50/50 Verteilung keine Rede sein. „Da könnte schon noch was passieren, da könnte es schon noch einen Push geben“, fasst Paschedag zusammen. Um die Frage nach der Repräsentation von FLINTA* im Publikum zu beantworten, stellt sie zwei eigene Konzerterlebnisse vor: ein positives, ein negatives. „Interessanterweise, ich war im August bei KORN. Ich war so ein richtig krasser KORN-Fan als Jugendliche und war mit ein paar Freundinnen da. Das war super krass, denn das war das erste Mal, dass mir aufgefallen ist, dass das Publikum wirklich 50/50 FLINTA* und männlich gelesene Personen ist. Super viele kleine Mädchen mit ihren Daddys. (…) Und das hat mich schon überrascht. Und auch froh gemacht, fand ich schon auch geil, schön zu sehen“, so die Musikerin. „Dann wiederum war ich bei Body Count, und das war eine Vollkatastrophe. (…). ICE-T war auch eine Vollkatastrophe, da habe ich gedacht: Einmal und nie wieder. Schade eigentlich. Aber das Publikum waren halt 80% Männer …“ Dann doch lieber 24/7 Diva Heaven.