Eine Pause auf unbestimmte Zeit kann alles bedeuten. Bei Herrenmagazin führt sie zum Wissen um die eigene Begrenztheit und zur Rückgewinnung alter Stärke – nachzuhören auf ihrem fünften Album Du hast hier nichts verloren. Wir sprachen mit Frontmann Deniz Jaspersen vor ihrem Konzert in Hannover.
Am Ende, nach den letzten Tönen des Atzelgift-Hits Lnrbg, tut er es dann doch: Der Schweiß tropft von der Decke. Herrenmagazin haben somit ihr selbst ausgerufenes Ziel erreicht. Erschöpft, aber sichtlich zufrieden verlassen Sänger und Gitarrist Deniz Jaspersen, Gitarrist Torben Leske, Bassist Paul Konopacka und Schlagzeuger Rasmus Engler die Bühne des ausverkauften Chez Heinz. Es ist das zweite Konzert ihrer Mai-Tour und das erste nach der bislang größten Show der Bandgeschichte in der Hamburger Markthalle. Spätestens jetzt sollte es allen klar sein: Herrenmagazin sind wieder zurück.
Noch neun Jahre zuvor ist die Zukunft von Herrenmagazin mehr als fraglich. Ende Januar 2016, nur wenige Monate nach der Veröffentlichung ihres vierten Albums Sippenhaft, kündigt die Band in einem Facebook-Post eine Pause auf unbestimmte Zeit an. Keine Angabe von Gründen, keine Erklärung, nur das Versprechen, dass es sich nicht um eine Auflösung handele, sondern nur um das Bestreben, sich aus den „Aalreusen des Rock-Buisness“ herauswinden zu wollen. Was das genau bedeutet, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand – und vor allem nicht wie lange das dauern soll. „Wir haben zwischen 2006 und 2015 überall gespielt und alles mitgenommen, was so ging. Das hat uns natürlich ganz schön aufgerieben und wir waren an einem Punkt, wo es nicht mehr ging, weil es auch vor der finanziellen Situation der einzelnen Bandmitgliedern nicht mehr zu rechtfertigen war. Wir konnten zwar immer auf einem hohen Niveau touren und es war auch immer alles gut, aber in dem Moment waren wir an unterschiedlichen Orten im Leben und das war nicht mehr so richtig vereinbar. Und dann haben wir gesagt: Wenn wir Freunde bleiben wollen, machen wir jetzt eine Pause“, blickt Jaspersen auf die Zeit zurück.
Nicht nur das Zwischenmenschliche zwingt sie zur Pause, auch ihr damals aktuelles Album Sippenhaft trägt seinen Teil dazu bei, das bis heute seinen Platz als hässliches Entlein der Band-Diskografie sicher hat. Atzelgift ist das schrammelige Indie-Punk-Debut, Das wird alles einmal dir gehören die Professionalisierung dessen, was zwei Jahre zuvor angedeutet wurde, Das Ergebnis wäre Stille schafft den Spagat zwischen Szene-Glaubwürdigkeit und Pop. Auf Sippenhaft hingegen kippt das Verhältnis deutlicher in Richtung Pop und hinterlässt Fans, Kritiker*innen und die Band selber ratlos. Bezeichnend: Beim Konzert in Hannover findet sich kein Song des Albums auf der Setlist. Auch im Reflektor-Podcast von Tocotronic-Bassist Jan Müller bezeichnet Jaspersen Sippenhaft in der Rückschau als schwieriges Album, während dessen Entstehung er die Band an einen Rand geführt habe. „Ich denke, das lässt sich ganz gut daran erläutern, wie meine Situation oder auch Torbens Situation damals war. Torben hatte zu dem Zeitpunkt sein erstes Kind bekommen und ein Haus gekauft und da gab es ein bisschen Probleme. Und auf der anderen Seite stand ich, von Ambitionen zerfressen und die ganze Zeit am pushen. Torben war komplett zerrissen davon“, ergänzt Jaspersen vor der Show in Hannover – und fügt hinzu: „Heute versteh ich es, weil ich selbst auch Kinder habe, dass es sehr unfair war von mir, so viel zu verlangen. Das war nicht so schlau, das weiß ich heute. Aber das wusste ich damals nicht, weil ich unbedingt Erfolg wollte, muss ich ganz ehrlich sagen. Das hat uns nicht gutgetan.“
Soweit zur Pause, bleibt die Frage: Warum gibt es jetzt doch ein neues Herrenmagazin-Album? Es existieren zwei Antworten, in einer davon spielt Sippenhaft ebenfalls eine entscheidende Rolle: „Ich muss auch sagen, dass wir alle unzufrieden waren mit der letzten Platte und uns gedacht haben: Das kann so nicht das Ende sein. Wir wollten nochmal eine Platte machen, die die Fans mit der Band versöhnt und die auch die Band mit sich versöhnt.“ Die andere Antwort lautet: Freundschaft. Nach der Verkündung, dass Herrenmagazin für unbestimmte Zeit auf Eis liegen, habe es laut Jaspersen nicht lange gedauert, bis sich die vier Mitglieder gegenseitig vermissten hätten. „Uns war es insgeheim immer klar, dass wir nochmal was machen, die Frage war nur wann“, so der Musiker. Groß überzeugt werden musste also niemand, und als dann auch noch die Kinder groß genug, alle Nebentätigkeiten – Jaspersen veröffentlicht Kindermusik, Leske und Konopacka toben sich bei Trixsi aus, Engler schreibt gemeinsam mit Jan Müller den Roman Vorglühen – abgeschlossen sind, treffen sich die vier zum ersten Mal wieder im Proberaum, schreiben an neuem Material, arbeiten aber auch bereits bestehende Ideen weiter aus. Die ersten beiden neuen Songs, die entstehen, sind Alter Debütant und Wütende Gespenster. Beide stehen exemplarisch für Du hast hier nichts verloren, mit dem Herrenmagazin die Klaviere, die Streicher, all den überflüssigen Ballast von Sippenhaft, über Bord werfen und sich auf das konzentrieren, was die Band seit ihrer Gründung ausmacht: Eingängiger, gitarrenlastiger Indierock, der sich weder anbiedert noch die große Geste scheut. Kein zweites Atzelgift, insgesamt angenehm nostalgiefrei, angenehm ambitionslos, versammelt das neue Album elf gute Songs, und zeigt eine Band, die endlich wieder weiß, was sie will: Zusammen Songs schreiben, zusammen unterwegs sein.
Dabei hilft, dass Jaspersen die Schreibblockade, die ihn nach dem Ende von Herrenmagazin fest im Griff hat, pünktlich zum Songwriting-Prozess wieder loswird und auch Gitarrist Torben Leske mit zahlreichen Ideen um die Ecke kommt. Während etwa Alter Debütant schnell entsteht, durchlaufen andere Songs mit der Zeit eine Metamorphose, wie die erste Vorabsingle Fragment: „Der Text war schon fertig, aber es gab eine ganz andere Musik, die uns aber nicht so gekickt hat. Da wir ein anderes Lied aber auch nicht hinbekommen haben, brauchten wir noch unbedingt einen weiteren Song, weshalb ich die Musik nochmal umgeschrieben habe.“ Eine große Stütze ist Klez.e-Frontmann Tobias Siebert, den Jaspersen als „einfach der Produzent für Herrenmagazin“ bezeichnet. „Er verbindet sehr viele Dinge, die den unterschiedlichen Leuten wichtig sind, zum Beispiel: Ich bin ja das Popschwein in der Band. Ich mag es gern fett und laut und dick und das kann er. Trotzdem versteht er wo Rasmus herkommt, der in den Untiefen der Subkultur beheimatet ist – und genau das bringt er alles unter einen Hut.“
Jaspersen und Engler sind auch diejenigen, die sich für einen nicht unwichtigen Teil im Herrenmagazin-Kosmos verantwortlich zeigen: den Texten. Neben Einzelarbeit am Schreibtisch, treffen sich die beiden auch zum gemeinsamen Arbeiten, so einsteht das bereits erwähnte Wütende Gespenster, ein Abschiedslied für den 2024 verstorbenen Egotronic-Sänger und Bassisten Torsun Burkhardt, in Kooperation. Wie ist es zusammen einen Songtext zu schreiben? Ist es schwierig die richtigen Wörter zu finden, konkret vor dem Hintergrund, dass Trauer so ein individuelles Gefühl ist? Jaspersen findet eine eindeutige Antwort: „Nein. Ich bin extrem dankbar, wenn ich von Rasmus Hausaufgaben bekomme. Ich habe Schwierigkeiten damit, mich festzulegen. Wenn mir zum Beispiel jemand sagt: Schreibe mit diesen Akkorden ein Lied, dann hilft mir das. Weil mir dann die Entscheidung abgenommen wird.“ Insgesamt sei Texte schreiben mit den Jahren aber schwieriger geworden, auch wegen des Wegfallens einer für frühere Songs wichtige Inspirationsquelle: „Ich habe früher viel Inspiration in Liebesbeziehungen gefunden, ich bin jetzt aber mittlerweile seit vierzehn Jahren fest liiert und verheiratet, da ist jetzt nicht mehr so viel. Somit tue ich mich manchmal schwer damit, Dinge zu finden, aber es kommt immer wieder.“
Auf Du hast hier nichts verloren finden Engler und Jaspersen genug Themen – oder greifen in die Trickkiste und kleiden von ihnen oft besungenen Gefühl wie Orientierungslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung in neue Bilder. Der Hang zur Dramatik, die Nähe zum Pathos, die unironische Hinwendung zum Gefühl haben Herrenmagazin – bei Kritiker*innen, die ihnen nicht wohlgesonnen sind – den Ruf von traurigen, sich im Elend suhlenden, jungen Männern eingebracht. Dabei zeigen Songs wie der Quasi-Titeltrack Mit halbleeren Worten einerseits, dass Herrenmagazin den Umgang mit Worten hervorragend beherrschen, aber auch, dass der Albumtitel gar nicht so negativ gemeint sein muss, wie es im ersten klingt: „Und du träumst so gerne schief in einer Welt, die gerade denkt/Du fühlst dich hilflos und naiv/Wenn all der Zweifel dich bedrängt/Und vor dem ungläubigen Lachen/Flüchtest Du in Strategien/Du möchtest Menschen was bedeuten/Die deine Liebe nicht verdienen“. Du hast hier nichts verloren als Ansage an sich selbst, als ersten Akt der Befreiung, in dem auch eine gehörige Portion Selbstbewusstsein steckt. Anders ist es mit Kontext, dessen Leadzeile „Da ist so viel Musik in mir“ die Formatradio-Aufbruchsstimmung mit einem nachgeschobenen „Die mich nicht interessiert“ zerstört. Und die sich auf die weiter oben erwähnte Schreibblockade bezieht: „Das Lied handelt vom Anfang der Pause, als ich so zerfressen war von Ambitionen, dass ich überhaupt keine Musik mehr schreiben konnte. Ich habe mich hingesetzt, die Gitarre in die Hand genommen, nichts war mehr gut genug, alles war scheiße.“ Zwei Dinge sind es, die ihn schließlich aus der Blockade herausführen: Die Kindermusik, die ihm zeigt, ohne den Ballast des „Indie-Punk-Cool-Dings“ zur Impulsivität des Songschreibens zurückzufinden. Und das Wissen um die Zweidimensionalität von Musik. „Es gibt ja zwei Arten von Musik: Die Musik, die du hörst und die Musik, die du schreibst. Es gibt die Musik, die die Band Herrenmagazin in der Lage ist zu machen und es gibt Bands, die wir gut finden, die aber ganz weit weg sind von uns“, erklärt Jaspersen. „Aber man muss auch lernen: Ich werde nicht Bon Iver sein, ich bin nicht Bon Iver. So toll ich die Platten finde von dem, ich kann das nicht sein, ich werde das nicht sein. Damit muss ich mich arrangieren.“
Zum Grundverständnis von Herrenmagazin gehört auch, sich als politische Band zu verstehen, ohne auf plumpe Parolen zurückgreifen zu müssen. Vielmehr findet sich das politische Bewusstsein in fein kuratierten Splittern, die sie ihren Texten untermischen und die sich gerade wegen der Unmittelbarkeit unter die Haut bohren. „Wir haben uns nie versöhnt mit dem System/Keine Farben/Kein Emblem“ in Wütende Gespenster fällt auf, weil der dazugehörige Song kein Slogan-Smasher ist, sondern sich mit dem Verlust eines engen Freundes auseinandersetzt. Einfache politische Slogans, mit denen eh nur die eigene Blase erreicht werde und deren einzige Funktion es sei, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, interessieren ihn nicht, erklärt Jaspersen im Interview: „Wovon ich überhaupt nichts halte, ist dieses Bekehrten predigen. Also ein Konzert zu spielen, wo 2.000 Antifaschist*innen sind, und sagen: Jetzt heben wir alle mal Mittelfinger gegen die Nazis. Das ist so leicht. Das ist so leicht. Das ist uns zu blöd. Das ist unzureichend, wird immer unzureichend sein.“ Nachvollziehbar – aber die Frage darf erlaubt sein, ob in der heutigen Zeit, in der die Gleichgesinnten gefühlt immer weniger werden, ein Schulterklopfen von den richtigen Leuten für die richtige Leute auch eine positive, eine Mut spendende Wirkung haben kann? „Ich weiß, was du meinst. Ich habe da viel drüber nachgedacht“, beginnt Jaspersen. „Hoffnung geben ist wichtig. Das ist ein blinder Fleck in meinen Gedanken. Aber ich stehe zu meinem Gedanken und bin auch der Meinung, dass wir Recht haben. Aber es stimmt schon, dass man Hoffnung geben kann. Es hilft, wenn jemand sieht: Ich bin nicht allein.“ Hinzu komme die allbekannte Schwierigkeit eine überkomplizierte Realität in einen drei-Minuten-Popsong zu verarbeiten: „Ein Popsong kann die Welt nicht verändern, aber ein Popsong kann Menschen verändern. Die Toten Hosen haben mich verändert, klar. Insofern gebe ich dir Recht, aber auch da wieder: Es ist klar, dass nichts schwarz und weiß ist.“
Fehlt noch Ich bin für dich da, der letzte Song des Albums. Eine reduzierte Ballade, nur Gitarre, minimale Percussion und Jaspersens einfühlsamer Gesang, mit einem in dieser Form bei Herrenmagazin noch nie dagewesenen Gänsehautpotential. Auch, weil Jaspersen Metaphorik zugunsten einer einfachen, schnörkellosen Sprache zurückschraubt: „Ich bin für dich da/Egal wie oft wir uns verlieren/Ich bin für dich da/Solange dich das interessiert.“ Umso bemerkenswerter, da der Song eine lange Historie auf dem Buckel hat, die bis vor 2015 zurückgeht, noch bevor die Band den Entschluss fasst, sich zurückzuziehen. Während Herrenmagazin pausieren, nimmt Jaspersen eine Version von Ich bin für dich für sein Solo-Projekt auf, entscheidet sich anschließend aber die Solo-Sache einzustampfen. Die Arbeit an dem Song ist damit aber noch lange nicht beendet: Er nimmt eine neue Version mit anderer Instrumentierung auf, die ihn aber nicht komplett zufrieden stellt. Erst als ein anderer Song fürs Herrennmagzin-Album wegbricht, macht sich Jaspersen wieder an die Arbeit und spielt ihn schließlich in den letzten zwei Stunden der Aufnahmesession ein. „Das ist für mich ‚The Power Of Song‘. Das Lied hat sich durchgesetzt. Es ist ein gutes Lied. Es war immer ein gutes Lied. Es hat aber nie seinen Moment bekomme zu leuchten“, beschreibt er die Reise des Songs. „Schön, dass das Lied seinen Moment bekommen hat.“ Und den gebührenden Abschluss eines starken Albums bildet, mit dem Herrenmagazin beruhigt abtreten könnten. Wenn sie es denn wollen.