Livereview: Thrice + Coheed And Cambria + Touché Amoré, Schlachthof Wiesbaden, 26.10.2022

Thrice, Coheed And Cambria und Touché Amoré – was will das alte Emo-Herz mehr?

Thrice

Klar, vor allem Thrice haben schon lange nichts mehr mit Emo am Hut, ebenso wie bei Coheed And Cambria lassen eingestreute alte Songs die Pumpe aber dennoch höher schlagen. Touché Amoré sind dagegen der lebende Beweis, dass emotional gelagerter Post-Hardcore auch irgendwie Emo ist. Nachdem die Band auf der gemeinsamen Tour mit Portrayal Of Guilt und Deafheaven vor drei Jahren noch als Headliner im Schlachthof aufgetreten ist, geben sie bei dieser unfassbaren Tour den Opener. Die US-Amerikaner betreten zum Skeeter-Davis-Klassiker The End Of The World die Bühne, bevor zahlreiche Fans schon beim eröffnenden Come Heroine Frontmann Jeremy Bolm das Wort aus dem Mund nehmen. Dass Bolm vor allem bei Auftritten seiner Band einen engen Draht zu seinen Fans pflegt, hat Tradition, und auch heute überlässt er den wenigen sehr lautstarken Leuten an einigen Stellen das Schreien seiner Texte. Der Sänger sucht zudem immer wieder die Nähe zum Publikum am Bühnenrand und es ist ihm anzumerken, dass er sich am liebsten in die Menge stürzen würde. Reminders widmet er schließlich den lautstarken Fans seiner Band, bevor sich bei ~ der erste ordentliche Moshpit formiert. Das wuchtige Limelight und Flowers And You beenden schließlich das halbstündige, acht Songs starke, bis auf ~ ausschließlich auf die jüngsten beiden Alben Stage Four und Lament zurückgreifende und viel zu kurze Set. Danach kündigt Bolm die Rückkehr der Band für den kommenden Sommer an – hoffentlich wieder als Headliner und in intimerer Atmosphäre.

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Nur eine Viertelstunde später ertönt der epische Prologue der 2018 eingeleiteten Vaxis-Ära von Coheed And Cambria. Bis auf das achte Album The Color Before The Sun (2015) erzählt die US-Band auf ihren Platten die fiktive Science-Fiction-Story The Amory Wars, mit Vaxis – Act I: The Unheavenly Creatures und Vaxis – Act II: A Window of the Waking Mind als jüngsten zusammengehörenden Abschnitten, die mit acht der elf Songs auch einen Großteil der Setlist ausmachen. Das Quartett überzeugt mit einem wuchtigen Sound und zahlreiche in die Halle projizierte Motive kreieren eine zur Geschichte der Platten passende Stimmung. Den Progressive-Emo-Rockern gelingen zudem mehrere Höhepunkte: nach einem etwas verhaltenen Start fährt Beautiful Losers an vierter Stelle den ersten starken Refrain auf, ehe Shoulders mit einem dicken Hardrock-Riff beginnt und in einem nicht minder guten Gitarrensolo mündet. Im Anschluss an das tanzbare A Disappearing Act sorgt das eröffnende Riff von In Keeping Secrets of Silent Earth: 3 für Jubel, bevor das geil poppige The Liars Club folgt. Für ihren bekanntesten Song Welcome Home greift Frontmann Claudio Sanchez schließlich zur zweiköpfigen Gitarre und performt mit dieser ein spektakuläres Solo auf seinem Kopf. Einzig im abschließenden Window Of The Waking Mind zieht sich der einstündige Auftritt der Band etwas hin.

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Das kann vom zehn Minuten längeren Auftritt von Thrice nicht gerade behauptet werden. Im Direktvergleich zu den vorherigen Auftritten, legt die ebenfalls aus den USA stammende Band beim zuvor schon guten Sound noch einmal eine Schippe drauf und auch Frontmann Dustin Kensrue gewinnt stimmtechnisch das Duell gegen Bolm und Sanchez. Im Gegensatz zu ihren Kollegen umfasst die Setlist des Quartetts zudem nahezu ihre gesamte Diskografie. Einzig das Debüt Identity Crisis sowie der zweite Teil von The Alchemy Index gehen leer aus. Nachdem Thrice ihr zweites Album The Illusion Of Safety auf ihrer bislang letzten Deutschland-Rutsche vor drei Jahren noch ausgespart hatten, spielen sie zum 20-jährigen Jubiläum der Platte auf dieser Tour The Red Death und Where Idols Once Stood. Insbesondere zum Thrash-Metal-Inferno Where Idols Once Stood tobt der Moshpit und beide Songs zeigen exemplarisch, was für eine herausragende Band Thrice bereits seit zwei Jahrzehnten sind.

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Das gilt auch für das aktuelle, mit fünf Songs ein Drittel der Setlist ausmachende Album Horizons / East, von dem sich insbesondere Scavengers und Summer Set Fire To The Rain  als wahre (Live-)Perlen entpuppen. Ihren vor einem Monat veröffentlichten neuen und das kommende Album Horizons / West anteasernden Song Open Your Eyes And Dream lassen Thrice sogar aus. Obwohl sie mit The Artist In The Ambulance und Black Honey ihre bekanntesten Songs bereits an dritter und vierter Stelle spielen, schaffen es Thrice, den Spannungsbogen bis zum Ende hochzuhalten. Das liegt an immer wieder eingestreuten Highlights wie Hurricane, der Urgewalt Firebreather oder dem himmlischen Anthology. Nach dem wunderschönen Beyond The Pines beschwört die einzige Zugabe The Earth Will Shake noch einmal den mitunter fulminantesten Livesound, den es im Post-Hardcore aktuell gibt. Der Dreikampf-Sieger heißt Thrice. Ganz ohne jedes Fotofinish.

© Fotos von Valentin Krach