Livereview: Stick To Your Guns + Support, Posthalle Würzburg

Wir leben in einer Zeit, in der alles im Umbruch ist. Man werfe nur einen Blick in die Medien und sehe, was gerade in der Welt passiert. Es sind Tage wie diese, in denen der Hardcore so unüberhörbar ist wie je zuvor. Vergangenen Samstag haben Stick to Your Guns und drei Mitstreiter in Würzburg eine Tour beendet, die eine wichtigere Message nicht haben könnte. Wir waren vor Ort und berichten.

Watch Them Fade

Es war Punkt sieben Uhr, als die ersten Besucher in die Posthalle stürmten, um sich neben einem guten Platz auch begehrtes Merchandise zu sichern, welches aufgrund von hoher Nachfrage bei manchen Bands schon ausverkauft war. Doch wer sich zu lange bei den Tshirts aufhielt, verpasste die Local Opener Watch Them Fade, welche mit ihrem Melodic Metalcore die wohl größten Ausreißer in Sachen Genre waren. Aufgeregt wirkend präsentierten die Würzburger ein kurzes Set, das trotz guter Bühnenpräsenz der Band die Masse nur geringfügig anheizen konnte. Musikalisch als auch gesanglich gesehen bediente sich das Quintett mehrerer Melodic-Death-Anleihen, die in der Quintessenz überzeugten. Leider bot der selten verwendete Clean Gesang des Sängers Christoph Aggou Anlass zur Unzufriedenheit, da die intendierten Melodien nicht gegen die brutale Gitarrenwand ankämpfen konnten und teils unsicher klangen.
Dennoch sind Watch Them Fade eine Band, die nach oben strebt und zu beobachten ist!

„Ich weiß, die Halle ist groß, aber das ist immer noch eine verdammte Hardcore Show!“ Wer braucht schon Intros? Wolf Down sind der lebende Beweis dafür, dass es auch ohne geht. Ohne viel Gehabe ging es direkt los mit „Against the Grain“. Ehe man sich versah verwandelte sich die Halle in eine gigantische Hardcore Party mit Fans, die den Roundhouse Kick von Chuck Norris perfektioniert haben. Wo vor einigen Minuten noch leeres Parkett war, tobte nun ein wütender Mob, der sich die Seele aus dem Leib schrie – kurz und knapp: es ging mächtig rund. Furchterregende Violent-Dancer dominierten den Schauplatz, der sich dem Auge bot. So nahmen es viele auch in Kauf, Tritte und Schläge zu kassieren, was bei solchen Bands sozusagen Gang und Gäbe ist. Es war der Ausdruck der Wut einer Generation, die mit dem Status Quo der Gesellschaft so gar nicht einverstanden ist.

Wolf Down

Sänger Dave gönnte sich zwischen den kurzen, energetischen Songs keine Pausen, sondern erklärte die Bedeutung ihrer zensurlos kritischen Musik, während er mehrfach dem Publikum als auch den anderen Bands, mit denen er einen engen Bund geschlossen hatte, dankte. Beim Kracher „Conspire“ marschierte nämlich kein anderer als Jesse Barnett von Stick to Your Guns auf die Bühne und trug seinen Teil zum Lied bei. Dies ging so schnell, dass man sich zuerst gar nicht sicher sein konnte, was gerade passierte, da parallel das wohl härteste Moshpit des Abends ausbrach. Mit einer starken Version von „Stray from the Path“ schlossen die Ruhrpott Jungs ihr wuchtiges Set gekonnt ab und hinterließen ein Schlachtfeld an verschwitzten Fans und verschüttetem Bier. Wolf Down sind keine Band. Sie sind eine Bewegung, der früher oder später keiner mehr im Weg stehen wird.

Counterparts

Nachdem die Messlatte auf ein ungeheures Niveau angehoben wurde, betraten Counterparts die Bühne. „Stillborn“, das zugleich erste Lied des neuesten Albums „Tragedy Will Find Us“, kam in der warmgetanzten Menge besonders gut an und lieferte ein Beispiel dafür, wie viel gute Gruppen der Hardcore heute bietet. Musikalisch als auch textlich war die Performance der Kanadier ergreifend und mit lautem Jubeln belohnt. Traurigerweise fehlte es dem zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeknockten Publikum an nötiger Energie, sodass die Musik seitens der Menge eher stillstehend aufgenommen wurde. Dies war aber keinem zu verübeln, da fünf Bands an einem Abend nun mal nicht das unanstrengendste Erlebnis sind. So muss betont werden, dass das Quintett auf gar keinen Fall unter den Scheffel gekehrt werden darf, denn jedes Lied funktionierte eigenständig und wusste, den Zuhörer zu beeindrucken – wenn auch ohne harte Tritte.

Das Stray From the Path Banner aufgehängt, die Instrumente gecheckt, die Umbaupause vorbei – alles musste schnell gehen. Im Laufe des Abends kamen einem die Pausen zwischen den Gruppen zunehmend kürzer vor. Nach gefühlten 15 Minuten ertönte es dann: Ein wildes Kreischen der Gitarre von Tom Williams. Ohrenbetäubend als auch faszinierend imitierte der Gitarrist eine Sirene, die er mit einer Loop Station aufnahm und immer wieder als Live Sample einsetzte. „The New Gods“ gab nur einen kleinen Vorgeschmack auf das restliche starke Programm; die technischen Gimmicks der Gruppe sind bei Weitem nur eine Facette ihres unverkennbaren Klangs. Der makellose Groove, mit dem die Band an ihr Handwerk ging, konnte nur noch vom Auftreten des Sängers Andrew Dijorio übertrumpft werden. „HOW CAN YOU JUSTIFY ALL THE LIVES YOU’VE FUCKED UP?“ ertönte es aus den Lautsprechern, bevor die offensichtlich erholte Menge zu wildem Pogen ansetzte. Erfrischend war hierbei, dass die Einzelkämpfer verschwunden waren und somit entspannter zur Band getanzt werden konnte.

Stray from the Path

Entspannt ist jedoch die Musik von Stray keineswegs: Sei es Brutalität der Amerikanischen Polizei, Pädophilie, Kapitalismus oder die NSA – die Jungs sind wirklich angepisst und zeigen es auch. Die Texte wurden nur so ausgespuckt wie Gift, dass man schnellstens loswerden möchte. Der enorme Groove der gesamten Band untermalte hierbei die Energie überaus prächtig und katalysierte den Funken der Wut, der sofort auf den Zuschauer überspringen konnte. Obwohl es so wirkte, als hätte der Großteil des Publikums die Gruppe nicht gekannt, so konnte man es nicht vermeiden, sofort in den Bann der New Yorker gezogen zu werden. Der emotionale Höhepunkt wurde erreicht, als Sänger Drew zum „Crowdsurfing for Paris“ aufforderte, nachdem er auf die Tendenz der Menschen, solche Ereignisse zu vergessen, aufmerksam gemacht hatte. Viele mögen Stray mit Rage Against the Machine vergleichen, aber die Texte und Musik beweisen, dass es sich hierbei nicht nur um irgendeine Beta Version einer längst veralteten Gruppe handelt. Es gibt kaum eine Band heutzutage, die ihre Meinung zu aktuellen Missständen in der Welt so unverblümt ehrlich präsentiert wie sie. Abschließend bretterte “First World Problem Child” gnadenlos hinfort mit absurdem Riffing und schnellen Doubletime Rapeinlagen, bei denen man sich fragte, wann Drew denn wohl Zeit zum Atmen fand. Alles in allem ist das Quartett live eine absolute Wucht, was das Hören der CD im Vergleich schwer macht. Hut ab!

Stick to your Guns-1

Man wollte es kaum glauben, doch die eigentlichen Headliner des Abends hatten noch gar nicht gespielt! Zwischen ausgelaugten Fans und der Flucht zum Wasserhahn bahnte sich die Angst an, die Höhepunkte des Konzerts seien bereits erreicht. Tja, falsch gedacht.
Die kennzeichnende Stimme Jiddu Krishnamurtis erklang, merklich zusammengesetzt aus Soundstücken der zwei neuesten Alben von Stick to Your Guns. Das Licht erhellte sich, die Hi-Hat gab den Takt vor, es ging los. Einen passenderen Anfang hätte man nicht wählen können, denn als „It Starts With Me“ angestimmt wurde war zweifelsohne klar, dass hier etwas Großes auf der Bühne geschehen würde. Hymnenähnlich und durchweg emotional schafften es die Musiker um den redegewandten Sänger Jesse Barnett, das Publikum von der ersten Sekunde an in der Hand zu haben. Im fließenden Übergang zu „Against Them All“ wurde weiterhin deutlich, wie gut sich jedes Album in einer Live Show aneinanderreihen lässt. Die enorme Wucht der Band lässt sich auch live nicht abstreiten, so sprangen dauerhaft beide Gitarristen und Bassist wild umher und motivierten jeden Zuschauer zur Bewegung. Der Raum bebte, weit und breit keine Smartphones oder stillstehende Zuhörer zu sehen.

Stick to your Guns

Man könnte nun jeden einzelnen Song aufzählen und analysieren. Fakt ist jedoch, dass Stick to Your Guns im Laufe des Abends keinen Anlass zur Enttäuschung geliefert haben, da jeder Trommelschlag, jeder Scream und jede sonstige Note auf den Punkt gespielt wurde. Der eine Song ohrwurmlastiger und eingängiger als der nächste, authentisch und hart – so in etwa lässt sich das Material der Gruppe live wahrnehmen.
Doch zwischen all den gekonnt brachialen Liedern der Setlist glänzten besonders „We Still Believe“ und das zu Tränen rührende „Left You Behind“ welches Barnett alleine, getränkt in rotem Licht mit einer Gitarre darbot. Nach einer wilden Version von „Amber“ wurden auch Fans des älteren Materials zufriedengestellt, ehe die Band die Bühne verließ. Das wohl Schönste an dem Konzert war auch die Tatsache, dass sich Mitglieder aller Bands während des Abbaus am Merchandise Stand aufhielten und sich nicht zu schade waren, sich mit allen Fans zu unterhalten, solange diese es wollten.

Was bleibt noch zu erwähnen? Mit dieser Bandkonstellation könnten selbst die härtesten Kritiker wenige Anhaltspunkte finden, den Gruppen nicht das zuzusprechen, was sie sind: Nette Menschen. Enge Freunde, die zusammen die Welt bereisen und dabei nicht den Boden unter den Füßen verloren haben.
„You should be thankful for your scene, we don’t have this in the US.“ In einer Welt, in der zunehmend die Message eines Liedes in den Hintergrund gerät muss man sagen: Ja Jesse, das sind wir in der Tat. Danke.

© Fotos von Joshua Lehmann