Ganze zwei Alben haben Architects in den letzten beiden Pandemiejahren veröffentlicht. Klar, dass jene in dieser Zeit nicht gebührend betourt werden konnten, doch die Wartezeit hat sich gelohnt: starker Support und eine diverse Setlist bringen auf ihrer ersten europäischen Headline-Tour seit 2019 aktuell große deutsche Hallen zum Beben.
Für den Tourauftakt in der knapp 5000 Menschen fassenden Frankfurter Jahrhunderthalle waren fast alle Tickets im Vorverkauf abgesetzt worden, und das sicherlich nicht nur für den Headliner. Auch während der ersten Support-Band Sleep Token ist schon kaum mehr ein Durchkommen zum vorderen Teil der Menge möglich, wenn man nicht pünktlich erscheint. Zurecht, wie sich herausstellt, denn das britische Ambient-Metal-Kollektiv rund um Sänger Vessel bringt bereits zu diesem Zeitpunkt schon eine Stimmung auf die Bühne, die ohne religiöse Metaphern kaum zu beschreiben ist. Es braucht keine Ansprache von Vessel, keine Plattitüden ans Publikum, jede*r Anwesende ist sich ohne Worte im Klaren, dass man gerade etwas Besonderes erlebt. Nach der Live-Prämiere des am selbigen Tag erschienenen Chokehold folgen Alkaline und Hypnosis vom aktuellen Album This Place Will Become Your Tomb. Spätestens während The Love You Want hat jede zuschauende Person Gänsehaut, ehe das viel zu kurze Set mit Higher und The Offering beendet wird. Die mysteriös-düstere, aber dennoch emotionale Bühnenpräsenz von Vessel und seiner vollständig maskierten Bandkolleg*innen sorgt dabei für eine Einstimmung auf die folgenden Bands, wie sie wohl kaum zu überbieten ist. Es bleibt nur zu hoffen, dass Sleep Token ihre eigens als solche umschriebenen Rituale bald auch erstmalig als Headliner auf das europäische Festland bringen. Nach einigen Minuten Pause betreten dann recht zügig Northlane die Bühne. Trotz des starken Kontrastes in Musikstimmung und Interaktion mit dem Publikum fühlt sich das nicht wie ein Stilbruch, sondern wie eine gelungene atmosphärische Veränderung an. Aus den ersten drei Songs, die alle dem aktuellen Album Obsidian entstammen, sticht vor allem Echo Chamber heraus, bei dessen Ankündigung Frontmann Marcus Bridge mit gewohntem Humor das Publikum bittet, die Tanzschuhe auszupacken. Das mit einem simplen, improvisiert klingenden Synthesizer-Intro angespielte 4D und vor allem der Szeneklassiker Quantum Flux erfüllen danach die Wünsche langjähriger Fans nach älterem Material, ehe mit Clockwork das neueste Album noch einmal sehr gelungen beworben wird. Bloodline und Talking Heads beenden das Set der australischen Metalcore-Größe, welches insgesamt mit viel Enthusiasmus und Bewegung in der Menge gefeiert wird.
An der Hinterwand der Bühne befindet sich eine große Videoleinwand, und als diese um Punkt 21 Uhr zum ersten mal für mehr als den Namen der spielenden Band utilisiert wird, beginnt auch gleichzeitig das Set von Architects mit dem vom Tonband eingespielten Do You Dream Of Armageddon?, welches ohne viele Worte gleich in Black Lungs übergeht. Es ist von Beginn an offensichtlich, dass das Metalcore-Quintett sich auch als Headliner auf Bühnen dieser Größe mittlerweile bestens eingelebt hat. Auch das bei Veröffentlichung bei Bestandsfans durchaus kontroversere, an Arena-Rock erinnernde Material der letzten beiden Alben passt gut in die weitläufige Jahrhunderthalle. Zuvor wurde auf Social Media angekündigt, dass auch Fans des älteren Metalcore-Bandkatalogs von der Setlist nicht enttäuscht werden sollen und mit Modern Misery kommt die Band aus Brighton dem auch schon beim zweiten Song nach. Es entstehen große Schubs-Pits in der mehr oder weniger bühnennahen Menge, die sich erst ein paar Songs später wieder etwas entspannter gestalten werden. Dem Livedebüt von Be Very Afraid schließt sich nahtlos mit These Colours Don’t Run der älteste Song des Abends an, dessen ikonischer Breakdown auch den letzten Getränkebecher in Pit-Nähe entleert.
In seiner ersten ausführlichen Wortmeldung kündigt Sam Carter nach einigen Willkommensgrüßen dann an, einige Songs vom neuesten Album The Classic Symptoms Of A Broken Spirit spielen zu wollen, was den anwesenden Konzertgäst*innen nicht missfällt. Deep Fake und Tear Gas sind dabei durchaus ein Kontrast zum Eingangsprogramm, aber etwas anderes ist auf einer Architects-Tour im Jahr 2023 auch nicht zu erwarten. Die inzwischen doch deutlich gereiften und routinierten Metalcore-Veteranen schaffen es, das durchaus diverse Publikum trotz Genrewechsel nicht zu ermüden, denn auch die ganz neue Platte klingt live merklich eindrucksvoller als vor der heimischen Stereoanlage. Doch damit noch lange nicht genug des neuen Materials, denn wie eingangs erwähnt wurde auch das Vorgängeralbum For Those That Wish To Exist diesseits des Ärmelkanals noch nicht betourt. Die mit ganzen acht Songs am meisten vertretene Platte des Abends bekommt nun auch ihr eigenes Segment. Impermanence, Meteor, Discourse Is Dead sowie ein politisches Statement Carters zur aktuellen Gesellschaftssituation fegen im Anschluss an eine weitere Ansprache über das Frankfurter Publikum hinweg. Carter selbst merkt man vor allem im letzten Song an, dass seine Growls sich auch auf der Bühne weiterhin mehr als sehen lassen können.
Eine längere Widmung an eine langjährige Anhängerin der Band, die die erste Headline-Show der Band in Frankfurt einstig vor knapp 100 Menschen bereits verfolgt hatte, entlädt sich in Folge mit viel Wucht im religionskritischen Broken Cross. Nach dem zwölften Song Little Wonder und knapp einer Stunde Spielzeit reibt sich dann so manche anwesende Person verwundert die Augen, denn Carter kündigt an, dass erst die erste Hälfte der Setlist gespielt wurde – natürlich zu ohrenbetäubendem Jubel. Nach A New Moral Low Ground, welcher der wohl härteste Song des neusten Albums ist, bietet sich während Dead Butterflies eine sehr nötige Verschnaufpause, wenn man nicht zu den Leuten gehört, die Carters Aufforderung nachkommen, die eigenen Freund*innen auf die Schulter zu nehmen. Dies könnte übrigens eine zuvor unbekannte Person sein, denn während des zuvor erwähnten Statements bittet Carter, sich einer bisher unbekannten Konzertbesucher*in vorzustellen, was für einige rührende Szenarien in der Menge sorgt. Royal Beggars und das vielumjubelte A Match Made In Heaven schließen auch dieses Segment des Konzerts gelungen ab, im Anschluss an welches jedes Bandmitglied außer Carter die Bühne verlässt.
Wer sich mit Architects irgendwann schon einmal auseinander gesetzt hat, weiß um die tragische Bandgeschichte rund um das verstorbene Herzstück der Band Tom Searle, der 2016 seinem Krebsleiden erlag. Nach einer rührenden Widmung an diesen betritt Touring-Mitglied Ryan Burnett – welchen Carter übrigens als vollwertiges Bandmitglied vorstellt – mit einer Akustikgitarre die Bühne. Die beiden geben zu zweit in einem sehr emotionalen Zusammenspiel einen Teil von Memento Mori und A Wasted Hymn, letzteren in der Version, die erstmals im Pandemie-Livestream aus der Royal Albert Hall zu hören war, zum besten. Im rührendsten Monolog des Abends über seine eigene mentale Gesundheit verdrückt dann nicht nur Carter ein paar Tränen, die er nicht hinter seinem Einweg-Teebecher zu verstecken versucht. Burn Down My House wird akustisch angespielt und in der Studioversion fortgeführt, während Carter lachend über das E-Piano Burnetts stolpert, bevor Hereafter und natürlich Doomsday den regulären Teil der Setlist beenden.
Wer mitgezählt hat, weiß nach der Ansprache in der Mitte des Sets, dass noch drei Songs fehlen, die Zugabe ist also nicht verwunderlich. Welchen Song präsentieren Architects nach kurzer Bühnenpause der nach mehr als zwanzig Songs nach Setbeginn deutlich ausgelaugten Menge? Natürlich den brachialen Albumopener Nihilist von All Our Gods Have Abandoned Us, welcher den müden Beinen des Publikums ein letztes Mal Leben einhaucht. Mit When We Were Young und dem abschließenden Animals entlässt die Band das Publikum schließlich mit einem warmen Gefühl in der Brust in die kalte Frankfurter Nacht, nach einem Abend, dessen Besuch sich wirklich mehr als ausgezahlt hat. Architects hieven sich auch dank des exzellenten Supports und der Setlist in Überlänge mit dieser Tournee auf ein weiteres, bisher unerreichtes Niveau. Es bleibt kein Zweifel daran, dass die Briten auch weiterhin nicht nur genrewechselbedingt über die Grenzen des Metalcore hinauswachsen werden.
© Fotos von Valentin Krach