Wie weit darf sich eine Band weiterentwickeln, ohne sich von sich selbst zu entfremden? Ist man als Band ein Leben lang dem selben Genre verschrieben? Was genau ist überhaupt Weiterentwicklung?
Diese Fragen beherrschen im Jahre 2016 mehr denn je die Musikbranche, insbesondere das Metalcore-Genre. Of Mice & Men werden sich diese Fragen vermutlich selbst gestellt haben, als sie ihr neues Album ’’Cold World’’ geschrieben haben.
Of Mice & Men stehen für kalifornischen Metalcore, ihre Musik setzt sich aus häufig verwendeten Breakdowns, dem sehr rauen Screaming von Frontmann Austin Carlile und dem engelsgleichen Clean-Gesang von Bassist Aaron Pauley zusammen. Zumindest bis die Band am 09.09. ihr viertes Studioalbum ’’Cold World’’ veröffentlicht. Denn dann haben die US-Amerikaner einen großen Schritt gemacht. Weg vom Metalcore, hin zu, ja, zu was eigentlich?
Vor über zweieinhalb Jahren ist den fünf Bandmitgliedern mit ’’Restoring Force’’ der große Wurf gelungen. Platz 4 in den US Album-Charts, ausverkaufte Hallen, große Festivalslots und eine Live-DVD, die Ende Mai diesen Jahres veröffentlicht und in der O2 Academy Brixton in London vergangenes Jahr aufgenommen wurde.
Dass das Folgewerk nach so einem Meilenstein anders klingen wird, war vorauszusehen.
Bereits im Opener ’’Game of War’’ schaffen es Of Mice & Men, den Zuhörer zu überraschen. Negativ. Was mit tiefen, abwechselnden Basstönen vielversprechend beginnt, endet in einem vier Minuten langen Intro, das komplett clean gesungen ist und auf alle Eigenschaften eines Metal-Songs verzichtet. Nachdem man aus einem ersten Sekundenschlaf erwacht ist, folgt mit ’’The Lie’’ ein Song der guten alten Schule. Breakdowns, Screams, Clean-Gesang im Refrain und ein abschließender, leider viel zu kurz geratener Breakdown am Ende vom Song. In der ersten Hälfte des Albums folgen mit ’’Real’’, ’’Like a Ghost’’ und ’’Contagious’’ drei Songs, die zwar überzeugen können, sich aber nicht nach Of Mice & Men anhören. Frontmann und einziges erhaltenes Gründungsmitglied Austin Carlile verzichtet oft auf seine markanten Screams und versucht sich stattdessen an einer Art Sprechgesang sowie normalem Clean-Gesang. Das meistert er zwar einigermaßen, jedoch fällt die Wirkung im Vergleich zu seinen brachialen Screams stark ab. Phasenweise wirkt es sogar so, als wäre Carlile der Backgroundsänger und Bassist Pauley der Frontmann, der die Band seit sieben Jahren anführt.
Die erste starke Nummer folgt mit ’’Pain’’ leider erst an siebter Stelle. Der vorab veröffentlichte Song ist der mit Abstand härteste Song der Platte und wird dem ein oder anderen Konzertbesucher im Herbst sicherlich im Pit die ein oder anderen Schmerzen bereiten. Die folgenden Songs ’’The Hunger’’ und ’’Relentless’’ gehören ebenfalls zu den wenigen Highlights auf ’’Cold World’’. ’’Relentless’’ ist das positivste Beispiel für den neuen Stil von Of Mice & Men. Das groovige Gitarrenspiel und Austin Carlile’s Sprechgesang legen sich hier perfekt übereinander. Nach ein paar weiteren, mehr oder weniger belanglosen Songs ist das Album am Ende angekommen.
’’Cold World’’ ist mit Sicherheit kein schlechtes Album, es wurde jedoch schlicht und ergreifend von der falschen Band veröffentlicht. Of Mice & Men haben nach ihren Brettern ’’The Flood’’ und ’’Restoring Force’’ dem Metalcore gefühlt den Rücken gekehrt und probieren sich stattdessen eher an einem Mix aus Metal und Alternative Rock. Dieses Experiment ist leider schief gegangen. Es gibt unzählige Beispiele für eine positive Weiterentwicklung innerhalb des Metalcore-Genres. Parkway Drive haben mit ’’Ire’’ vergangenes Jahr ein Meisterwerk des modernen Metal abgeliefert, gerade weil sie sich weiterentwickelt haben, aber dennoch eine harte Band geblieben sind. Dies ist bei Of Mice & Men nicht der Fall.
Das nächste Album sollte zu den Wurzeln der Band zurückkehren, ansonsten hätte die Welt den Verlust eine der besten Metalcore-Bands der letzten Jahre zu bedauern. Hoffen wir, dass diese kalte Welt nicht eintreten wird!