Livereview: Silverstein / Memphis May Fire + Support, Frankfurt Sankt Peter, 19.11.2016

Viele geniale Touren mit guten Bands sind meistens in den Staaten oder dort, wo man eben genau nicht ist. Das ist der Gedanke, der hinter der Rise Up Tour steht, die im Moment in Deutschland ihre Kreise zieht. Mit abwechselnden Headlinern liefert diese ein Paket von Metal- bis Emocore ab und bietet nicht weniger als vier Bands, die ordentlich Wind machen. Wir haben uns die Show in dem Jugendzentrum Sankt Peter angeschaut und berichten.

Like Moths to FlamesDie erste Band des Abends ist Like Moths to Flames. Ihr Set ist mit nur 27 Minuten Spielzeit stark komprimiert und liefert keine Zeit für lange Reden. Stattdessen konzentriert sich die Band um Sänger Chris Roetter auf eine solide Performance und lässt sich gebührend feiern in der Kirche, die sich langsam füllt. Die US-Amerikaner reizen in ihrer Musik sowohl live wie auch auf Platte die Kraft des Drop Tunings bis ins Unermessliche aus. Ein Breakdown jagt den nächsten, als würden diese Fangen spielen. Die Spielfreude ist den Jungs förmlich ins Gesicht geschrieben und das Publikum dankt es ihnen mit ersten Ansätzen, die Masse zu bewegen. Insgesamt muss man aber leider sagen, dass die Songs, verglichen betrachtet, allesamt ähnliche Strukturen aufweisen, die man so schon zu oft gehört hat. Es fehlt der Eigencharakter, der sie von einer guten zu einer innovativen Band macht, die sich nicht nur auf Breakdowns verlassen muss. Ein spaßiges Live Erlebnis sind sie jedoch ohne Frage, und komplexes Songwriting soll wohl bekanntlich im Moshpit noch nie von großer Bedeutung gewesen sein.

The Devil Wears PradaWeiter geht es mit The Devil Wears Prada. Die doch sehr kleine Bühne lässt das ganze Geschehen ein wenig wie einen Proberaum wirken, da jeder der stehenden fünf Musiker um einen eigenen Platz kämpfen muss – zwei sperrige Keyboards helfen hierbei nicht sonderlich! Vielleicht ist das der Grund, warum Schreihals Mike Hranica direkt beim zweiten Song die Bühne verlässt, um sich im Fotograben auszutoben, da hat man ja wenigstens genug Freiraum. Wie berserk prügelt er hierbei auf die Wand ein, als hätte sie ihm Unrecht getan. Amüsant ist das allemal, wenngleich das Szenario von einem leider unterirdisch schlechten Sound überschattet wird. Facetten und Effektspielereien gehen vollkommen unter und verhindern, dass man viel mehr als Schlagzeug und einen Hauch von Hranicas Stimme zu hören bekommt. Mike versucht im Laufe des Auftritts, gegen die lauten Schallwellen anzukämpfen und opfert dabei seine Stimme, die sich in seinen Ansagen erschreckend zerstört anhört. Erst bei den letzten Songs ist von einem differenzierten Klangbild zu sprechen. Hier überzeugen letztendlich die Schlagzeugkünste von Aushilfsdrummer Guiseppe Capolupo, der komplexe Grooves mit Bravur meistert. Viel vom neuen Album „Praise Poison“ wird nicht gespielt, was einerseits schade, andererseits in 30 Minuten auch unmöglich ist bei einem Albumkatalog von sieben CDs. Am Ende des Auftritts bleibt leider ein fader Beisgeschmack, da nicht viel von der eigentlich interessanten Musik herübergekommen ist.

Memphis May FireVorhang auf für die Coheadliner des Abends. Je nach Bekanntheitsgrad werden auf der Tour die Slots der Bands getauscht, heute landen Memphis May Fire an dritter Stelle. Das unfassbar tighte Zusammenspiel der christlichen Metalcore Formation überzeugt von Beginn an und wird nur noch von Matty Mullins‚ Gesang getoppt: Der Rotschopf überliefert die mit Abstand beste gesangliche Leistung des Abends, indem er jeden Ton trifft und live noch besser klingt als auf Platte. Das muss man erstmal nachmachen. Keine Backing Tracks, keine Gimmicks – Mullins rockt dem Publikum die Socken weg innerhalb der vierzig Minuten, die leider im Flug vergehen. Die Schweißdrüsen kommen spätestens jetzt zum Einsatz: Live Kracher wie das Lied „Prove Me Right“, die mittlerweile schon einen gewissen Kultstatus im Set erreicht haben, werden mit feinster Präzision vorgetragen und ballern dem Zuschauer förmlich das Hirn weg. Genau diese Energie spiegelt sich auch im Publikum wider in einer Masse, die unnachgiebig mit den Fäusten ringt und den Boden erbeben lässt. Auch ältere Songs wie „The Sinner“ haben ihre Zeit im Rampenlicht und evozieren die wohl härtesten Pits des Abends. Der Sound der Texaner hat sich über die Jahre hinweg zwar ohne gravierende Entwicklungen durchgesetzt, sucht aber bis zum heutigen Tage seinesgleichen. Memphis May Fire sind außerdem schon längst an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr beweisen müssen, wie stark sie live spielen können. Kein Tempowechsel kann sie aus der Fassung bringen. Wir sind begeistert!

SilversteinEs geht wild weiter mit den Headlinern des Abends: Silverstein nehmen uns mit auf eine unerwartete Reise und wirken spielfreudiger, als je zuvor. „We’re gonna switch up the setlist every day for this tour.“ Sänger Shane Told hält sein Versprechen einer spontanen Setlist und deckt an diesem Abend eine Bandbreite ab, die die gesamte Karriere der Gruppe umfasst. Vom Klassiker „My Heroine“ im Zugabenblock bis hin zu der aktuellsten Single „Ghost“ ist, zumindest gefühlt, alles gesagt. Einen besonders großen Anteil des Abends nimmt jedoch das Album „A Shipwreck in the Sand“ ein, was in einer Wall of Death gipfelt, die von vorne nach hinten statt seitlich aufgemacht wird. Zum kratzigen Riff von „I am the Arsonist“ werden die wilden Bestien der Fanwelt aufeinander losgelassen und tanzen, was das Zeug hält. „Stand Amid the Roar“ vom gleichnamigen Album stellt, wie viele andere Songs auch, die Stärke von Shane Tolds Stimme dar. Herausgerotzte Screams paaren sich mit engelsgleicher, sanfter Melodieführung, so wie es sich manch andere Band aus dem Genre sehnlichst wünscht. Die Auswahl der Lieder ist hier sehr von den harten Stücken dominiert, für Pausen oder gar Balladen bleibt nur wenig Zeit. Da freut es das Publikum umso mehr, als Gitarrist Paul Rousseau nach der Hälfte des Sets alleine mit einer Gitarre den Herzensbrecher „Arrivals“ erklingen lässt. Ein weiterer Gänsehaut Moment ist auch „Toronto“: in seiner ungekürzten Version offenbart es die wohl zerbrechlichsten als auch schönsten Seiten der Band, als Told mit der Akustikgitarre bestückt den Raum besingt und nach der Hälfte von dem Rest des Quintetts ergänzt wird. Silverstein beenden nach einer Stunde und fünfzehn Minuten ein wildes Set, welches zu den besten gehört, die sie je gespielt haben. Die Rise Up Tour lohnt sich also vor Allem für die, die Raritäten live hören wollen und nicht genug von der Band bekommen können!

Die Location Sankt Peter ist optimal für solche Konzerte – mit günstigen Getränkepreisen, netter Security als auch viel Platz für Merchandise gilt diese Konzerthalle als Geheimtipp, den jeder für sich entdecken sollte! Mit zwei äußerst guten Coheadlinern und einem soliden Warm Up freuen wir uns schon auf das nächste Mal, wenn Silverstein den großen Teich überqueren!

© Fotos von Joshua Lehmann