Livereview: Pierce The Veil + Support, Frankfurt Batschkapp, 20.11.2016

Pizza, Skateboards und verkehrte Baseballkappen – es braucht keine komplexen Beschreibungen, um den Esprit des Pop-Punk zu erklären. Pierce The Veil verkörpern eine mehr oder weniger witzige, mexikanische Ausprägung dieses Genres und versprechen live vor Allem eins: Spaß. In einer erstaunlich leeren Batschkapp haben uns die Kalifornier gezeigt, wie man Herzen bricht und danach wieder zusammenfügt.

CreeperMit nur drei EPs, einem Albumtermin für 2017 und rasantem Anstieg in ihrer Popularität zählen Creeper zu den wohl gefragtesten Newcomern des letzten Jahres. Ihre Musik bezeichnen sie selbst als „Horror Punk“ – und wenn man genau hinhört, erkennt man Anleihen von den späten 2000ern (My Chemical Romance lässt grüßen!). Dennoch ist alles an der Band frisch. Mit Patches auf ihren Rücken rechtfertigt das Sextett, wieso sie sich als der Creeper Cult ausgeben. Uniformen, eine freche Punk Attitüde als auch die nötige Portion Weirdness kumulieren sich in dem, was da auf der Bühne steht. Rockige Riffs treffen auf treibende Schlagzeug Rhythmen; die Band scheint in ihrer kurzen Spielzeit gegen die Zeit ankämpfen zu wollen und kosten ihren Slot vollkommen aus. Sänger Will Gould zieht mit Lederjacke, langen schwarzen Haaren und einprägsamem Gesang gekonnt den 70s Look ab und unterhält das wachsende Publikum mit den vorwärtsgerichteten Liedern seiner Band. Schaut man sich einmal den Song „Black Mass“ auf Youtube an, sind da einerseits schwarz angezogene Bandmitglieder, schaurige Geister als auch ein dunkler Raum zu sehen. Creeper erwecken den Emo wieder zum Leben und hauchen ihm im Zuge ihrer todgesinnten Texte neues Leben ein. Die Band rockt, was das Zeug hält, und scheint sich nicht drum zu scheren, was andere davon halten. Wir freuen uns auf das erste Album und den weiteren Weg der Briten!

letlive.-2Das musikalische Niveau steigt daraufhin noch weiter an: letlive. stehen für ehrliche Texte, Sozialkritik als auch die wohl wildeste Bühnenperformance, die man je gesehen hat. Mit Renegade 68′ zerlegen die Jungs die Bühne bereits in Schutt und Asche, während das Publikum sowohl verstört als auch unterhalten dem Spektakel folgt. Das ist jetzt nicht übertrieben, denn was Jason Aalon da auf der Bühne fabriziert, lässt die Action Stunts in Bond Filmen dagegen wie einen Witz aussehen. Das Mikrofon wird durch die Gegend geschleudert, Verstärker zum Boogie Boarding benutzt, Schlagzeug Becken mit dem Mikrofon gespielt – es gibt nichts, wovor er Angst hat. Der wohl furchtloseste Sänger der Welt handelt aber bekanntermaßen aus reinem Instinkt und plant nichts von dem, was er tut (mehr dazu bald in unserem Interview!). Dennoch fragt er mal vorsichtshalber vor dem Vollgas Brett „That Fear Fever“, ob man ihn denn beim Stagediving auffangen würde. Die Setlist liefert bei der Formation, die wohl nirgends richtig einzuordnen ist, eine gesunde (wenngleich aggressive) Mischung aus alten und neuen Liedern. Stücke des neuesten Albums „If I’m the Devil…“ kommen ein wenig getragener daher, vermitteln aber dafür wichtige Kommentare zu den Missständen der heutigen Zeit. Von Polizeigewalt gegen Schwarze („Reluctantly Dead“) hin zu einem emotionalen Song über seine Mutter („Muther“) vermittelt Aalon an diesem Abend das wohl breiteste Spektrum an Gefühlen zwischen Frustration, Liebe und Verzweiflung.

letlive„Foreign Cab Rides“ shuffelt lässig vor sich hin und offenbart, wie an vielen anderen Stellen auch, das äußerst groovige Schlagzeugspiel des Drummers Loniel Robinson. Die Felle werden gestreichelt und dann wieder bis zum Maximum malträtiert, der Gesichtsausdruck bleibt konstant der gleiche. Robinson zeigt immense Spielfreude an dem, was er tut und liefert gleichzeitig den wohl präzisesten Job der Szene ab. Generell wird schnell klar, dass die Band sich nicht vor Experimenten scheut: seien es kleinere Jams auf der Bühne, während Jason Ansprachen hält oder gar verquere Übergänge innerhalb der Lieder – letlive. stecken Schweiß und Blut in jeden Ton, der von ihnen zu hören ist. Der abschließende Song „Good Mourning, America“ packt nochmal alles an schmerzlichen Kommentaren zur Polizeigewalt aus, das es gibt. Die Texte Aalons strotzen vor Poesie und berühren einen jeden, der dazu bereit ist, sich mit diesen zu befassen. Es ist an der Zeit, dass letlive. endlich die Anerkennung bekommen, die ihnen zusteht!

PTV-1Ladies and Gentlemen, nun zum Hauptprogramm! Pierce the Veil bringen auf ihrer aktuellen Tour eine ganze Menge an Gags und Bühnenproduktion mit: LED Leuchten an den ansonsten weißen Verstärkern baden den Raum in grünem Licht, als die Band aus Kalifornien sich auf den Weg macht, ihren Mexicore auf die Bühne zu bringen. „Dive In“ lässt, dem Namen getreu, den Zuschauer ohne viel Vorwarnung direkt eintauchen in den spaßigen Mix, den die Jungs zusammenschustern. Sänger Vic Fuentes überzeugt mit seiner Stimme und schnellen Fingerfertigkeit an der Gitarre, während fünf gewaltige Düsen Dampf in den Raum katapultieren. Das einzige, was das ganze Geschehen ein wenig lindert, ist die fehlende Action im Publikum. Mit einer doch sehr jungen Zielgruppe ist von jeglicher Bewegung nicht zu sprechen. Das ist der Band aber vollkommen egal: mit einer Songauswahl, die gefühlt nur die besten Lieder beinhaltet lässt sich die Band genau so feiern, als es eine ausverkaufte Arena wäre. Mit einer nur zur Hälfte gefüllten Batschkapp entspricht das zwar nicht der Realität, bereitet jedoch eine intime Wohnzimmeratmosphäre. „Hell Above“ bringt die härtesten Seiten der Band zum Vorschein und lässt den Raum bis zur Ekstase springen. Hierbei hilft auch der sehr differenzierte Sound der Batschkapp, der jeden Schlag so sauber wie es geht ins Trommelfell reinhämmert.

PTV-2Die Show stehlen tut jedoch Bassist Jaime Preciado. Die Grinsebacke strahlt eine solche Freude aus, dass man sogar lächeln würde, selbst wenn dieser gerade eine Todesdrohung aussprechen würde. Auch seine Screams überliefert er mit breitem Grinsen, was im Verlauf des Abends zu hellem Funkeln in den Augen der Fans führt. In der Ballade „Song for Isabelle“ kratzt die Gruppe an der Grenze des Kitschs, als sie einen Fan auf die Bühne holt und Vic Fuentes seine Liebe bekennt. Die Manier, in der das ganze geschieht, ist jedoch viel zu witzig, um ernst genommen zu werden. Der richtige emotionale Höhepunkt findet sich jedoch im Akustik Lied „Kissing in Cars“, für welches leises Besteck zur Hand genommen wird und das Quartett sich gediegen auf der Bühne hinsetzt. Tränen fließen in hohem Maße und die passionierten Fans singen lauthals jedes Wort mit, als ginge es um Leben und Tod. Ein weiteres Highlight ist auch das Feature mit letlive. Sänger Jason im sieben Minuten Kracher „Tangled in the Great Escape“. Die bekanntermaßen verbrüderten Bands performen miteinander mit vollstem Stolz und werden mit lautem Applaus gefeiert, ehe der Abschlusssong „Hold On Till May“ noch einmal auf die Tränendrüse drückt. Im Zugabenblock reizen Pierce the Veil mit „Circles“ ihre Pop-Punk Facette aus und laden zum fröhlichen Singalong ein. Die letzte Zugabe „King for a Day“ zeigt hingegen, wie sehr sich die Band mit mit der Produktion dieses unglaublich guten Songs ins Bein geschossen hat: Auf CD tritt hier noch Sleeping With Sirens Sänger Kellin Quinn ans Mikrofon und duelliert sich mit Vic Fuentes in bestialischen Screams. Man merkt der Band an, dass es ihr schwer fällt, das live umzusetzen, aber Preciado füllt diese Lücke zum Glück mit Erfolg. Dampf, grelles Licht und jede Menge Freude schließen das Set ab – der Auftritt ist eine ganz scharfe Salsa.

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Der Abend in der Batschkapp bleibt trotz geringer Besucherzahl äußerst positiv in Erinnerung. Das Konzert fühlt sich alles in Allem wie eine riesige Feier verschiedener Stilrichtungen an da alle drei Bands, egal, wie verschieden, für ihre Musik leben und es unbedingt wert sind, live angesehen zu werden. Das Argument, sich nur die Hauptband anzusehen, sollte damit erstmal entkräftet sein – ihr verpasst was!