Es gibt Bands, die weltweit zu den absoluten Superstars der Rockmusik gehören. Dazu gesellen sich einige Bands, die entweder in Nordamerika, Europa oder Australien eine große Fangemeinde haben. Und dann gibt es noch Billy Talent. Die kanadischen Punkrocker zählen in ihrer Heimat sowie in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den absoluten Giganten der modernen Rockmusik. Andere Länder haben das Quartett noch nicht so richtig wahrgenommen und nach einem großartigen Auftritt in der nahezu ausverkauften Frankfurter Festhalle kann man sich getrost fragen, woran das liegt.
Mit The Dirty Nil und Monster Truck haben sich Billy Talent zwei absolut unbekannte Bands als Support Acts herausgepickt. Den Anfang des Kanada-Trios machten The Dirty Nil. Zu einem elektronischen Hip-Hop Intro betrat die Band die Bühne, sodass man sich fragen durfte, was einen die nächste halbe Stunde denn erwarten würde. Die Antwort war Gute-Laune-Punk der Kategorie Hörenswert! Insbesondere Sänger und Gitarrist Luke Bentham zeigte mehr Bewegung auf der Bühne als manche Bands während einer gesamten Tour. Dabei kam das Trio total lässig rüber, ohne arrogant zu wirken. Mit einem überdimensionalen Kaugummi in seinem Mund versprühte der Frontmann eine selten gesehene Leichtigkeit. The Dirty Nil konnten definitiv überzeugen und werden mit Sicherheit nicht das letzte Mal mit ihrem Bubble Gum Punk in Deutschland zu Gast gewesen sein.
Monster Truck traten ihren Auftritt mit dem abgefahreneren Bandnamen an. Auch die zweite Band des Abends stürmte die Bühne zu einem ausgefalleneren Intro. Während einer Ansprache enterte das Quartett die Bühne um direkt ein erstes Rifffeuerwerk auf das Auditorium loszulassen. Monster Truck präsentierten den mehr als 10.000 Besuchern Rock’n’Roll der Neuzeit. Das Publikum ließ sich nach kurzer Aufwärmzeit zu ersten Moshpits hinreißen. Die Kanadier werden im Frühjahr auf eigene Headliner-Tour durch fünf deutsche Städte gehen. Wer auf Rock’n’Roll steht und eine noch jüngere Band entdecken möchte, kann einen Blick auf Monster Truck riskieren. Für die meisten Konzertbesucher blieb trotz zwei guten Vorbands eine unerträglich lange Wartezeit auf den Headliner des Abends. Doch das Warten sollte sich belohnen.
Die Uhr schlug bereits 22 Uhr, als das Licht erlosch und Gitarrist Ian D’Sa vor einen schwarzen Vorhang trat und das Riff von ’’Devil in a Midnight Mass’’ auf die gespannte Festhalle losließ. Der Vorhang fiel und die restlichen Bandmitglieder von Billy Talent kamen vor einem größeren Bühnenbild zum Vorschein. Das Publikum, das vorher eher gezähmt statt gefüttert wurde, bekam nun das große Stück Fleisch zugeworfen und verschlang es in einem Stück. Bereits nach einer Viertelstunde tropfte der Schweiß von der Decke und kein Stein der Festhalle war mehr dort wo er zu Konzertbeginn war. Bereits zu Beginn des Sets verprasste das kanadische Quartett Hits wie ’’This Suffering’’ oder ’’Rusted from the Rain’’ und so wurde das Konzert zu einer einzigen Hitparade. Das Publikum zeigte sich dabei absolut eskalationswütig und sogar zu ruhigeren Songs wie ’’Leave Them All Behind’’ wähnte man sich auf einer Hardcore-Show der Superlative. Doch nicht nur musikalisch konnte die Band absolut überzeugen. Frontmann Ben Kowalewicz traf mit seinen Ansagen genau die Stimmung der Fans. So widmete er einzelne Songs gewissen Menschen oder den beiden Vorgruppen. Zur Wahl Donald Trumps als US-Präsident zeigte er sich fassungslos. Vor genau einem halben Jahr bezeichnete Kowalewicz Trump als ,,most terrifying person on the planet’’ beim Auftritt der Band bei Rock am Ring. Nun forderte er die Menschen zum Zusammenhalt auf. Mal sehen, was er im Sommer zu sagen hat, wenn die Band für einige Festivalauftritte nach Deutschland kommen wird. Die richtigen Worte trifft der Sänger auf jeden Fall.
Auch auf den krankheitsbedingt abwesenden Aaron Solowoniuk kam der Frontmann zu sprechen. Der an MS-erkrankte Drummer wird bereits seit Beginn des Jahres von Alexisonfire-Schlagzeuger Jordan Hastings ersetzt. Billy Talent schwingen jedoch nicht nur große Worte, sie lassen auch große Taten sprechen. Von jedem verkauften Ticket der Europa-Tour geht ein Dollar an die Organisation F.U.MS, die sich mit dem Kampf gegen MS auseinandersetzt. Zurück zum musikalischen Teil. Ende Juli hat die Band mit ’’Afraid of Heights’’ ihr fünftes Studioalbum veröffentlicht. Mit sechs Songs fand’ das neueste Werk folgerichtig die größte Anerkennung in der Setlist. Die neuen Songs haben sich trotz weniger Punk- und mehr Rock-Anteilen sehr gut zu den alten Songs gesellt. Das Publikum feierte jeden Song, egal ob neu oder alt, ausgiebig. Die Anzahl der Circlepits dürfte zweistellig gewesen sein und sogar zu Ansprachen der Band rotierte der Schubskreis. Billy Talent setzten jedoch nicht nur auf bewährte Lieder. Mit ’’White Sparrows’’ fand’ auch eine absolute Live-Rarität einen Weg auf die Bühne. Zu den neuen Songs ’’Afraid of Heights’’ und ’’Louder Than the DJ’’ betraten Gitarrist Ian D’Sa und Bassist Jon Gallant die hinteren Bühnenplatten und schmetterten ihre Riffs und Akkorde von dort den Massen entgegen. Mit den bei Live-Auftritten längeren und noch großartigeren Versionen von ’’Devil on My Shoulder’’ und ’’Red Flag’’ verließen Billy Talent erstmalig die Bühne.
Das Konzert war jedoch noch lange nicht vorbei und so reichte die Zeit noch für drei Zugaben der Extraklasse: ’’Fallen Leaves’’, welches ein Crowdsurfer-Meer evozierte, ’’Try Honesty’’ und der äußerst gesellschaftskritische ’’Viking Death March’’ beendeten nach 95 intensiven Minuten ein Konzert der Extraklasse.
Billy Talent haben einmal mehr bewiesen, warum sie zur Oberliga der modernen Rockmusik gehören. Ein nahezu perfektes Konzert mit einem großartigen Publikum wird allen Beteiligten noch lange im Gedächtnis bleiben. Auch die sitzenden Konzertbesucher werden ihren Spaß gehabt haben, denn alle vier Musiker auf der Bühne haben eine hervorragende Live-Qualität abgeliefert. Dazu gesellt sich der Fakt, dass die Kanadier auf der aktuellen Tour jeden Abend eine andere Setlist spielen. Billy Talent sind aus ihrem Punk-Image zu einer großartigen Rock-Band hinausgewachsen und zählen zu den Headlinern der großen Festivals von morgen. Dass sich die Band von der Masse beeindruckt zeigte, ist ein Zeugnis der Bodenständigkeit der Kanadier. Verschwitzt, aber glücklich verließen tausende Konzertbesucher die Frankfurter Festhalle am zweiten Advent. Billy Talent, bitte beehrt uns zeitig wieder mit eurer Anwesenheit!
© Fotos von Joshua Lehmann