Schon gewusst? ,,Das […] Rosentalviadukt, eine historische Eisenbahnbrücke auf der Main-Weser-Bahn, ist eine Steinbogenbrücke mit aufgefüllten Bögen aus rotem Sandstein und wurde vom Mainzer Architekten Peter Hochgesandt erbaut. Mit 24 Bögen überspannt sie in einer Höhe von 16 Metern das Usatal.“ Nicht? Tja, dann sollte man schleunigst I Saw Daylight auf Facebook folgen. Die fünf Ulmer verbreiten mit jedem Stop auf ihrer I Saw Fire-Tour spannende Infos wie die obige. Das Rosentalviadukt findet sich im hessischen Friedberg, wo die Gruppe auf ihrem vorletzten Tour-Tag gemeinsam mit Start A Fire im Junity zu Gast war. Als lokaler Support waren außerdem Tourist. und Burke mit am Start. Was der Abend Interessantes mit sich brachte, erfahrt ihr natürlich hier.
Mit Tourist. aus dem benachbarten Bad Nauheim macht der Lokalmatador den Anfang. Das zeigt sich auch an der Besucherzahl: von Anfang an reihen sich ordentlich Leute vor der nicht vorhandenen Bühne. Zum Dank starten die Hessen mit einer schnellen Punk-Nummer, die die Anwesenden direkt in erstes Freudentaumeln versetzt. Es folgen ruhigere, groovigere Songs, die mit viel Melodie eine melancholische Stimmung zaubern. Die Jungs liefern einen soliden, eingespielten Auftritt und Details wie Hall auf der Snare bei brachialen Parts machen ordentlich was her. Kein Wunder, dass die Band schon als Support von Defeater im Schlachthof Wiesbaden zeigen durfte, was sie drauf hat. Neben guten Songs und starker Performance werden auch politische Themen angesprochen, beispielsweise zur aktuellen Flüchtlingspolitik. Das Publikum klatscht solidarischen Beifall und wird mit temporeichen letzten Songs belohnt.
Nach der andächtigen Show von gerade geht bei Burke direkt die Sonne auf. Mit kraftvollen, teils mehrstimmigen Clean Vocals liefern die Mainzer freundlich fetzigen Pop-Punk. Dabei ist nicht nur Sound, sondern auch Laune der Band auf der sonnigen Seite: mit ihren Udo Walz- (der Star-Friseur mit der verstopften Nase, der auch gerne mal Telefonstreiche im Fernsehen spielt) und Beatles-Huldigungen beweist die Truppe ordentlich Humor. Das würde albern und unprofessionell wirken, wäre ihre musikalische Leistung nicht so stark. Gesang und sogar Trompeteneinlagen ziehen das Niveau nach oben. Merchandise vergessen? Schwamm drüber! Lange nicht geprobt? Kein Ding! Das kleine Publikum amüsiert sich jedenfalls bei jeder Anekdote. Als Krönung des letzten Songs, einer Ballade, sind die Seifenblasen, die vom Gitarristen verteilt werden, natürlich logische Konsequenz. Genauso, wie sein Bier vor dem letzten Trompeten-Part zu stürzen. Prosit.
Nun betritt der erste Tour-Act die ebenerdige Bühne. Start A Fire aus Stuttgart begegnen anfangs einer noch kleineren Crowd, da sich noch nicht alle im Saal wieder eingefunden haben. Dass das den Jungs nicht die Laune verderben kann, muss Gitarrist Sebastian mit einer Platzwunde am Kopf schmerzhaft beweisen. Sein Kollege am Bass hat ihm vor lauter Euphorie die Kopfplatte seiner ,,Axt“ an die Stirn gedroschen und so eine ordentlich blutende Schramme erzeugt. Kühn stürmt Bassist Mathias zum Verbandskasten und verpasst dem malträtierten Mitmusiker einen Look, auf den jeder Pharao neidisch geworden wäre. Show must go on. Die Gruppe liefert darauf eine rockige Nummer, die wie die anderen Songs von schnellen, rhythmisch komplexen Parts im Wechsel mit geraden Power-Grooves geprägt ist.
Egal ob melodische Gitarrenriffs oder wechselnde Gesangsparts zwischen Vokalist Jan und Drummer Alex, man hört den Herren die Erfahrung auf der Bühne und die vorangegangen Tour-Tage deutlich an. Die deutschen Texte der Band sind zwar ganz dem derzeitigen Trend entsprechend und keine Besonderheit mehr, doch stört sich das Ohr des Hörers so auch nicht daran. Durch das nur spärlich vorhandene Publikum hat Jan gut Platz sich während den Songs unter’s Volk zu mischen. An einigen Stellen wird er sodann stimmlich von den Tour-Freunden von I Saw Daylight fleißig unterstützt, die sämtliche Passagen auswendig können. Deren Sänger Eugen übernimmt sogar für einen halben Song das Mikrofon, bevor er den Job wieder dem eigentlichen Frontmann übergibt. Mit viel Elan spielen die Stuttgarter die letzten Stücke ihres Sets und geben die Bühne für ihre Tour-Kollegen frei.
Zartes, weißes Licht erfüllt die Bühne. An sämtlichen Gerätschaften und Stativen funkeln kleine LED-Lampen wie Sterne. In diese sanfte Atmosphäre bricht das erste, mächtige Stück von I Saw Daylight hinein. Über die wuchtigen Gitarrenriffs und donnernden Drums tönt die heisere Stimme von Frontmann Eugen. Heiser in doppelter Hinsicht: das nasskalte Aprilwetter hat dem Sänger in den letzten Tagen etwas zugesetzt und daher ist seine Stimme heute besonders verzerrt. Glücklicherweise bekommt er gesangliche Unterstützung von Gitarrist Kurt und Bassist Stefan, die mit hohen und tiefen Growls die restlichen Frequenzen des Gesangsspektrums abdecken. Auch die dröhnenden Interludes verschaffen Eugens Hals erholsame Minuten – und verbinden sich mit dem fahlen Licht zu einer geheimnisvollen Atmosphäre. Die Band setzt auf Kontraste, indem Schlagzeugerin Laura das Ausklingen des Zwischenspiels mit stampfenden Drums beendet. Hinzu kommen Wechsel zwischen schnellen und langsam Parts, gut getimte Breaks und treibende Übergänge. Start a Fire-Sänger Jan bekommt seine Revanche und ergreift abermals das Mikro. Keine Pause für Eugen – der schnappt sich kurzerhand das Mic seines Bandkollegen Kurt und stimmt mit ein. So herrscht viel Action auf der Bühne, was das kleine, aber feine Publikum sichtlich begeistert.
Die Stimmung im Saal stimmt, nicht zuletzt weil die Ulmer mit vielen Details zu überzeugen wissen. Sogar Drummerin Laura bekommt das Mikrofon vor’s Gesicht gehalten und schreit nebst Drumming aus voller Seele. Es folgen zwei neue Songs, welche auf der bald erscheinenden EP vorhanden sein werden und sich hörbar vom bisherigen Material abgrenzen: durch komplexere Arrangements und andere musikalische Einflüsse, woran auch der kürzlich in die Band eingestiegene Gitarrist Manuel beteiligt sein dürfte, macht das Songwriting der fünf einen deutlichen Sprung nach vorn. Komplett in ihr Spiel versunken spielen die Schwaben ihre letzten Songs. Das Set endet mit einer tief wummernden Rückkopplung und der Frontmann schleppt sich erschöpft von der Bühne, nachdem er noch den letzten Rest aus sich rausgeholt hat. Die Resonanzwelle klingt langsam ab und offenbart den Jubel des Publikums. Sauber!
Es gibt sie noch, diese bestimmten Hardcore-Punk-Shows: ein Jugendhaus, Bands mit tierisch viel Bock, viel Spaß und vor allem friedsame Verbundenheit. Allein die I Saw Fire-Tour hat bereits gezeigt, dass das nicht selbstverständlich ist. Beim Stopp in Berlin zum Beispiel sah die Welt ganz anders aus: dort wurde nur nach genauer Kontrolle Einlass gewährt, da der Club schon des Öfteren von rechten Schlägern in alter SA-Manier heimgesucht worden ist. In Friedberg war glücklicherweise der Name Programm. Für gute Stimmung haben natürlich vor allem die tollen Bands gesorgt, die trotz Genre-Verwandschaft unterschiedliche Elemente in ihren Songs verbunden und großartig präsentiert haben. I Saw Daylight und Start A Fire haben dabei bewiesen, dass man diese Newcomer im Auge behalten sollte.
© Fotos von Joost Küker