Hätte man es nicht besser gewusst, hätte man denken können, dass es sich bei Enter Shikari um eine introvertierte Jazz-Band handelt, so wie die Band und allen voran Frontmann Rou Reynolds die Bühne des Colos-Saals in Aschaffenburg betrat. Mit einem Glas Rotwein und mit schicken Hemden bekleidet, schlichen sie auf die Bühne. Was folgte, war hingegen nicht der Soundtrack für eine entspannte Weinprobe.
Mit Mallory Knox haben sich Enter Shikari Verstärkung aus ihrem Heimatland für ihre Europa-Tour an Land geholt. Die aus Cambridge stammende Alternative Rock Band konnte in ihrem knapp 40-minütigen Set den ausverkauften Club auf ihre Seite ziehen und verdiente sich so die zum Schluss auftauchenden Moshpits. Mit mehr Anleihen zum Pop als zum Hardcore-Genre lieferten die Briten mehr die Musik zu einem Ball als zu einer herzhaften Prügelei. Dies sollte jedoch später wettgemacht werden. Sänger Mikey Chapman zeigte sich sehr redefreudig und kündigte seine Band bereits einige Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe für die Zwillingsfestivals Rock am Ring und Rock im Park an. Den größten Ohrwurm servierte das Quintett mit ,,Better Off Without You’’ zum Schluss. Später sollte man Mallory Knox vereinzelt am Merchandise-Stand antreffen. Sympathische Truppe!
März 2007. Eine Newcomer-Band, benannt nach dem Boot des Verwandten eines Bandmitglieds sowie dem indoiranischen Wort für ,,Jäger’’, veröffentlicht ihr Debütalbum und landet mit einem wilden Mix aus Electro, Metal und Post-Hardcore einen Volltreffer, der Platz vier der britischen Albumcharts erreicht und mit ,,Sorry you’re not a winner’’ einen absoluten Klassiker hervorbringt.
Zehn Jahre später. Enter Shikari zählen 2017 zu den festen Größen im Alternative-Bereich und feiern das zehnjährige Jubiläum von ,,Take to the Skies’’, indem sie auf ,,Take to the Skies Ten Years Celebration’’-Tour gehen und ausschließlich kleinere Venues, größtenteils Clubs, bespielen. So auch am vergangenen Mittwochabend im bayerischen Aschaffenburg. Bereits bevor Enter Shikari die Bühne betraten, herrschte Euphorie im Publikum und alle am Umbau beteiligten Crew-Mitglieder wurden lautstark gefeiert. Als das Quartett gegen 21 Uhr die Bühne betrat, gab es endgültig kein Halten mehr. Mit ,,Enter Shikari’’, ,,Mothership’’, ,,Anything Can Happen In The Next Half Hour’’ und ,,Labyrinth’’ begeisterten Rou Reynolds & Co. von der ersten Minute an und ein Gänsehaut erzeugendes Nostalgie-Gefühl legte sich über den gesamten Raum.
,,Wir sind Enter Shikari und kommen vom Planeten Erde’’. So wie die Briten über die Bühne huschten, wäre es auch keine Überraschung gewesen, hätte man vier Außerirdische vor sich gehabt. Dass Enter Shikari keine One-Man-Show ist, stellten sie in ihrem Set unmissverständlich klar. Gitarrist Rory Clewlow reparierte eine kaputte Brille eines Zuschauers, Bassist Chris Batten bedankte sich bei Mallory Knox und Schlagzeuger Rob Rolfe wusste mit seiner humorvollen Gestik zu begeistern. Zwar nahm das komplette Debütalbum der Band einen Großteil des Sets ein, doch ausgewählte Songs aus späteren Bandjahren durften ebenfalls mitmischen, u.a. ,,Torn Apart’’ und ,,Anaesthetist’’, die auch ohne große LED-Leinwände perfekt funktionierten. ,,No Sssweat’’ evozierte den Circlepit des Abends, während ,,Return to Energiser’’ für staunende Gesichter sorgte, da Sänger Rou die äußerst schwierigen Screams am Anfang des Songs immer noch nahezu perfekt vortragen kann. Chapeau!
Enter Shikari sind neben ihren verwüstungsfreudigen Songs auch für ihre herzensbrechenden Balladen bekannt. Dazu gesellt sich auch das fast in Vergessenheit geratene ,,Adieu’’, das zum Abschluss des normalen Sets emotionale Töne anschlug und im Publikum durch eine sogenannte ,,Human Pyramid’’ gefeiert wurde. Spätestens an dieser Stelle dürfte jeder Fan im Publikum Gänsehaut gespürt haben. Ruhiger ging es mit ,,Redshift’’ auch im Zugabenblock weiter. Die tollen Bilder nahmen keinen Abbruch und so formte die Shikari Family das Zeichen der Band mit ihren Händen und hielten es der Band entgegen, was diese erwiderten. Das anschließende ,,Ok Time For Plan B’’ sorgte für eine letzte Eskalation im Pit, ehe Enter Shikari selbst alle Handbremsen lösten und zu ,,The Appeal & the Mindsweep II’’ alle letzten Reserven verbrauchten. Rou Reynolds ließ sich zu einem Gang durchs Publikum hinreißen und beendete die Show, indem er seine Gitarre an der Decke aufhängte, während Gitarrist Rory hingegen auf der Menge surfen ging. Was für ein fulminantes Finale!
Enter Shikari wissen sowohl in Arenen und Hallen als auch in kleinen Clubs zu begeistern. ,,Take to the Skies’’ ist ein Album für die Ewigkeit und wer den aktuellen Tour-Zyklus der kongenialen Briten verpasst, wird sich ärgern müssen, denn bislang wurde nur selten so viel Energie, Begeisterung, Leidenschaft und musikalische Genialität in 80 Minuten gesteckt. Dass sich die Künstler nach ihrer Show am Merchandise-Stand noch Zeit für ihre Fans nahmen, war das i-Tüpfelchen eines perfekten Abends.
© Fotos von Valentin Krach