Livereview: Siena Root, Musiktheater Rex Bensheim, 29.06.2017

Wer eine Zeitreise in die später 60er machen möchte, braucht keinen DeLorean, keine TARDIS und auch kein Schwarzes Loch. Um den Vibe und die Musik von damals zu erleben, muss man lediglich auf eine Show von Siena Root gehen. Bei den fünf Schweden ist vom Drumstick bis in die Haarspitzen alles auf gestern gestellt und die Bühne wird zum Fenster in die Vergangenheit. Diesen Blick konnten Rock-Fans letztens in Bensheim erhaschen, denn die Band war auf ihrer Tour im Musiktheater Rex zu Gast. Wir haben unseren Fluxkompensator deshalb mal zu Hause gelassen und uns die Show angesehen.

Nach entspanntem Einlass, ohne großes Anstehen, führt der erste Weg zum Merchandise. Neben T-Shirts und CDs bedecken vor allem Vinyls den prallgefüllten Gabentisch eines jeden Musikliebhabers. Schallplatten gehören ja heutzutage schon zum festen Repertoire der meisten Acts und dürfen bei einer Band wie Siena Root natürlich nicht fehlen. Zwischen den Tonträgern blitzen aber auch goldene und silberne Patches hervor, die sich durch Preis und schickes Aussehen als „no brainer“ erweisen. Der Kauf offenbart, dass die nette junge Dame hinter dem Tresen nicht nur den Merch verkauft, sondern auch Tourmanagerin der urigen Schweden ist. Obendrein ist sie äußerst gesprächig und hört auf den Namen Sima. Sie klagt über den Geiz der Fans, die sich während der Show für gefühlt 50€ Bier in den Kopf gießen und sie dann bei einer 15€-CD runterhandeln wollen. Doch nicht mit ihr. Die toughe Verkäuferin bleibt in solchen Fällen hart. Verhält man sich ihr gegenüber aber freundlich, zeigt sich eine ganz andere Seite: da bekommt man schon mal Sticker und eine Hula Hoop-Lehrstunde geschenkt. Den dafür notwendigen Reifen hat Sima stets im Gepäck – ein nicht gerade gewöhnlicher, aber umso spaßigerer Zeitvertreib auf Tour.

Foto by Jana KrugDie Hula-Hoop-Stunde wird – zum Glück – vom Intro der Band unterbrochen und die Flucht gelingt. Unter großem Jubel des nicht allzu großen Publikums betreten die Vintage-Rocker die Bühne und das geschmeidige Riff von „Tales of Independence“ ertönt. Der wuchtige Bassdrum-Sound schiebt das Riff nach vorne und spätestens mit Einsetzen der Orgel steigt die Stimmung unter den Zuschauern rapide an. Die ersten Soli von Gitarrist Matte Gustavsson und Orgelspieler Erik Pettersson lassen die Sonne über Bensheim aufgehen und ernten ekstatischen Beifall. Die Hammond kommt auch beim nächsten Song ,,Little Man“ ordentlich zum Einsatz und ergänzt den fetten Groove von Drums und Bass. Diese Welle aus kernigem Sound bringt auch ,,No Filter“ mit, der gerade erst als Single veröffentlicht wurde. Hört man das schöne Surren von Mattes dunkelroter Gibson und den eingängigen Refrain von Sänger Samuel Björö wundert einen diese Entscheidung überhaupt nicht.

Foto by Jana KrugEs folgt die erste Verschnaufpause mit einem harmonischen Orgel-Interlude, welches zugleich das Intro für „Words“ darstellt und von Bassist Sam Riffer fortgeführt wird. Der ältere Song ist deutlich härter als die Songs des aktuellen Albums ,,A Dream of Lasting Peace“, fügt sich mit dem Wechsel aus heavy Refrain und ruhigem Vers aber bestens in das Set der Nordmänner ein. Spätestens beim geshuffelten Endpart samt Orgelsolo rastet die Menge wieder aus. Die Jubelschreie werden von Song zu Song lauter und der Eindruck entsteht, es seien doppelt so viele Personen anwesend. So wird ,,Sundown“ schon bei seiner Ankündigung heftig bejubelt. Bei der ruhigen Nummer verschmilzt die kräftige Stimme von Samuel mit den warmen klängen von Bass, Gitarre und Orgel. Das rote und gelbe Bühnenlicht rundet die Atmosphäre großartig ab. Augen schließen und genießen ist angesagt. Spektakulär auch das unverkennbare Slide-Solo von Matte. Seine Gitarre spielt zudem die Hauptrolle in der nächten Nummer ,,The Piper Won’t Let You Stay“, wird jedoch im Höhepunkt des Songs von Eriks phänomenalem Hammond-Solo abgelöst.

Foto by Jana KrugEine Showeinlage der anderen Art liefert, wie könnte es anders sein, die gute Seele der Band Sima mit einem Hula-Hoop-Solo bei „We Are Them“. Auf den Applaus ist natürlich nicht lange zu warten. Doch auch die donnernden Drums und breiten Orgel-Sounds sind der Hit. Die folgenden, teils instrumentalen Stücke, verbreiten eine psychedelische Stimmung im Saal und die Crowd lässt sich, trotz ihres etwas höher angesiedelten Alters, vom Sound der fünf sichtlich mitreißen. Kein Wunder, liefert die Band auch ein derart geiles Sixties/Seventies-Feeling ab, dass der ein oder andere Zuschauer Jugend-Flashbacks bekommen müsste.

Foto by Jana KrugDrummer Love Forsberg bekommt mit einem kurzen Solo ebenfalls Gelegenheit, sein Können zu präsentieren und macht währenddessen sogar noch Ansagen. ,,Roots Rock Pioneers“ bringt die Menge schließlich total zum Ausrasten: der Track des vorletzten Albums „Pioneers“ beginnt mit einem klassischen Frage-Antwort-Spiel zwischen Gitarrist Matte und Organist Erik, bevor er mit viel Tempo und irrwitzigen Orgel-Gitarren-Licks durch die Lautsprecher ballert. In bester Deep Purple-Manier feuert Erik an den Tasten alles ab, was die Finger hergeben. Nach weiteren Stücken ist das reguläre Set der Schweden vorbei, doch die Menge holt die Herren mit ihrem ohrenbetäubenden Applaus zurück auf die Bühne. Als Dankeschön bekommt das Publikum das wunderbar melancholische ,,In My Kitchen“ und die Wahnsinnsnummer ,,Growing Underground“, bei der die Musiker nochmal alles aus sich herausholen. Geschafft und erkennbar begeistert verabschiedet sich die Band endgültig von der Bühne.

Obwohl keiner bei Siena Root die 60er und 70er ausreichend gut miterlebt haben dürfte, liefert die Band einen Sound, der authentischer nicht sein könnte. Bemerkenswert ist aber, dass nichts nachgespielt klingt: die Songs klingen stets sehr eigenständig und setzen den Stil von ,,damals“ mehr fort, als ihn zu kopieren. Das macht den entscheidenden Unterschied zu anderen Bands, die derzeit die Retro-Welle mit schwimmen. Vintage-Look und -Equipment sind dabei das i-Tüpfelchen auf dem Ganzen. Das Geheimnis der Band könnte an den verschiedenen Vorlieben der einzelnen Mitglieder liegen, wie Orgel-Spieler Erik nach der Show verrät: ,,der eine möchte eher Rock machen, der andere Jazz, der nächste Blues – das erzeugt Spannung im Sound. Jeder in der Band ist wie ein Kreis und die Schnittmenge, das ist dein Sound.“ Außerdem versuchen die Schweden den alten Sound stets weiterzuentwickeln, wie Erik erklärt. Ausgedehnte Touren und Support-Slots für Deep Purple beweisen den Erfolg dieses Vorgehens. ,,Wir sehen in jeder Stadt einen festen Kern an Leuten, die immer auf unsere Konzerte kommen. Aber es kommen auch immer neue Gesichter dazu“, so Erik.

© Fotos von Jana Krug