Interview mit I Saw Daylight

Aller Anfang ist schwer. Das wissen vor allem kleinere Bands wie I Saw Daylight. Die Ulmer kämpfen sich nun seit einigen Jahren erfolgreich durch den Dschungel der deutschen Hardcore- und Punk-Szene. Kürzlich hat das Quintett seine neue Platte „бессонный“ veröffentlicht, die wir für euch durchgehört haben. Wir haben uns mit Schlagzeugerin Laura und Bassist Stefan getroffen und darüber gesprochen, was es mit diesem Titel auf sich hat, wie die letzte Tour lief ist und was die „Szene“ sonst noch so an Herausforderungen mit sich bringt.

Shout Loud: Ihr habt im Oktober eure letzte Tour beendet, die euch durch halb Europa geführt hat. Wie lief die Tour im Großen und Ganzen und was waren eure persönlichen Highlights?

Stefan: Mein persönliches Highlight war zu sehen, dass Leute die Songs der neuen Platte schon mitgesungen haben. Manche waren echt sehr textsicher, obwohl die Platte zwei Wochen vor Tourstart rausgekommen ist. Das hat mich ziemlich beeindruckt und hätte ich auch so nicht gedacht.

Laura: Ich fand bei der Tour ganz cool, dass es eine schöne Mischung war. Wir waren in vielen Städten, wo wir Freunde haben, die wir schon länger nicht gesehen haben. Es war echt cool die wieder zu sehen und wir konnten fast zu wenig Zeit mit ihnen verbringen. Auf der anderen Seite haben wir an Orten gespielt, an denen wir vorher noch nie waren, zum Beispiel Budapest. Da waren wirklich Leute, die uns tatsächlich kannten, da sie vorher mal etwas online bestellt hatten und uns auf Facebook geschrieben haben, sie würden sich freuen, dass wir mal kommen. Das war echt super cool.

SL: Wo spielt ihr am liebsten?

Stefan: Jeder hat da seinen eigenen Favorit. Die Läden und die Menschen waren wirklich alle super toll. Aber ich glaube, Prag war für mich das Highlight, weil ich da unglaublich gern bin und vielleicht, weil bei mir die Show in Prag am besten lief [lacht].

Laura: Ich glaube, es wäre ein bisschen unfair den anderen gegenüber, wenn man eine Stadt oder Location speziell heraushebt. Wir haben uns nirgendwo nicht willkommen gefühlt. Uns ist es wichtig dankbar, freundlich und höflich zu sein und es nicht als selbstverständlich anzusehen, dass die Leute in ihrer Freizeit Bar machen, kochen, sich den Hintern aufreißen und den ganzen Tag mit uns abhängen. Es muss auch auf einer persönlichen Ebene passen, sonst war man das letzte mal da.

SL: Mit auf Tour war eure neue Platte. Stefan meinte, es hat euch überrascht, dass viele Leute schon mitgesungen haben. Wie wurde das neue Material generell angenommen und wieviel habt ihr davon schon vor der Release live gespielt?

Laura: Wir haben von sechs Songs zwei vorher schon live gespielt, aber das kennen dann natürlich nur die Leute, die auf den einzelnen Konzerten waren. Die Platte ist zwei Wochen vor Tourstart raus gekommen, die Songs haben wir aber Stück für Stück in den Wochen zuvor veröffentlicht. Generell wurde alles echt gut angenommen. Das Feedback nach der Show war eigentlich immer ausschließlich positiv. Da wir letztes Jahr zwei Besetzungswechsel hatten und die Platte so mit zwei neuen Personen geschrieben haben, war mir persönlich wichtig, dass es trotzdem noch I Saw Daylight ist und ich glaube, das hat funktioniert.

Stefan: Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass es die Leute ganz gut fanden und es vielleicht auch dem Zeitgeist entspricht, dass alles jetzt ein bisschen “rougher“ und härter geworden ist. Viele meinten, dass es ihnen gefällt wie es sich entwickelt, es aber trotzdem noch I Saw Daylight sei.

SL: Was könnt ihr über den Entstehungsprozess der EP erzählen? Hat sich durch den Besetzungswechsel etwas an eurer Arbeitsweise geändert?

Laura: Seit wir in dieser Besetzung sind kommt tatsächlich unser Gitarrist Manu, der neu bei uns ist, oft mit Ideen. Nach wie vor bringt sich aber jeder ein, unabhängig von seinem Instrument. Sogar unser Sänger Eugen, der die ganzen Texte und Vocal-Lines schreibt, bringt sich instrumental ein. Dadurch dauert es am Ende vielleicht etwas länger, aber jeder steht voll dahinter.

Stefan: Wir haben für uns einen Weg gefunden, wie das Songwriting gut funktioniert. Wenn Manu mit einer Idee kommt, probieren wir diese im Proberaum aus und sitzen nicht ewig lang vor dem Computer. Irgendwie entstehen die besseren Ideen im Proberaum, wenn man den Song laut spielt und miteinander interagiert.

SL: Sperrt ihr euch dann im Proberaum ein und schreibt alles in einem Guss oder entsteht das über mehrere Wochen und Monate hinweg?

Laura: Durch den Besetzungswechsel war es letztes Jahr etwas schwierig, da wir zwei mal die Herausforderung hatten jemand neues einzulernen, das alte Set zum laufen zu bekommen und nebenher noch Musik zu schreiben. Bis wir uns zu fünft gefunden hatten, hat sich das total lang gezogen. Daher haben wir von den Sachen, die wir im vorherigen Jahr geschrieben hatten, nur eineinhalb Songs verwendet. Der Rest entstand innerhalb kürzester Zeit.

Stefan: Wir sind keine Band, die sich im Proberaum einschließt und ein halbes Jahr an Arbeitsprozess in eine Platte steckt. Dazu spielen wir einfach zu gern live. Sobald jemand fragt, ob wir spielen wollen, sind wir sofort im Auto und fahren da hin. Würden wir das nicht so machen, hätten wir nie so viele tolle Menschen kennen lernen und Touren auf die Beine stellen können.

SL: Eure neue EP hat den sehr auffälligen Titel “бессонный“. Könnt ihr das alle aussprechen?

Stefan: [versucht sich an der Aussprache]

Laura: [lacht] Wir sprechen es alle irgendwie aus, aber meistens lacht Eugen uns dann aus (Eugen spricht russisch – Anm. d. Verf.). Die Idee war, nachdem der Titel der letzten EP “Cœur Solitaire“ auf französisch und der davor mit “Despair“ auf englisch war, das mit einer neuen Sprache weiter zu verfolgen. Auf kyrillisch sind wir gekommen, weil unser Sänger aus Kasachstan stammt. Wir haben dann etwas gesucht, das cool aussieht, gut klingt und inhaltlich passt und so sind wir gemeinsam auf den Titel gekommen.

SL: Auf deutsch heißt das ja “schlaflos“. Wie zieht sich diese Bedeutung durch die Platte?

Laura: In Eugens Texten geht es viel darum zu schlafen, zu träumen, in einer anderen Welt zu leben, am Ende aufzuwachen und alles zu realisieren. Das habe ich darunter zumindest verstanden. Das Bild des Schlafens und Träumens hat einfach gut gepasst. Dadurch, dass alles eher rastlos ist und es nicht wirklich ein Happy End gibt, passt “schlaflos“ eigentlich ganz gut.

Stefan: Es geht um einen Prozess, der jeden Tag von Neuem beginnt. Ein ständig gleicher Ablauf und die Rastlosigkeit, die damit einher geht. Der Schlaf, der manchmal heilt, manchmal vielleicht das Gegenteil bewirkt. Das ist das Thema der Platte und ich glaube, das hört man auch in den Texten.

SL: Eure Artworks sind ebenfalls immer sehr künstlerisch und toll gemacht. Wer zeichnet das für euch?

Laura: Das Artwork hat wieder die Jessica gemacht (Jessica Svartvit – Anm. d. Verf.). Sie hat bei uns früher Gitarre gespielt und ist Gründungsmitglied der Band. Leider musste sie vor fast zwei Jahren aus Zeitgründen mit der Musik aufhören, da sie das Tätowieren angefangen hat und in die Kunst ihre ganze Zeit reinstecken möchte. Es war uns aber immer wichtig, da wir immer noch miteinander verbunden sind, dass sie weiterhin unsere Sachen malt. Einerseits, weil wir es alle toll finden und auch Tätowierungen von ihr haben, andererseits weil es einfach für uns dazu gehört und ein Teil von I Saw Daylight ist.

Stefan: Design und Artwork sind genauso ein Teil von I Saw Daylight wie es die Musik ist. Das sind einfach wir.

SL: Wie ein Gesamtkunstwerk?

Laura: Es ist uns wichtig, dass es am Ende schlüssig und optisch ansprechend ist. Daher basteln wir auch viel selbst. Zum Beispiel T-Shirts, die wir mit Bleiche batiken oder unsere erste Release, die wie ein Geschenk mit Wachssiegel eingepackt war. Die Leute sollen sich unsere Sachen ins Regal stellen können und nicht nur digital bei Spotify anhören.

SL: Ihr macht generell sehr viel selbst und vertreibt auch eure Musik selbst. Erwägt ihr zukünftig über ein Label zu veröffentlichen?

Laura: Die letzten Releases haben wir teilweise mit D-I-Y-Labels zusammen rausgebracht. Das ist ein schwieriges Thema: einerseits machen wir nicht sehr kommerzielle Musik, andererseits ist ein Label auch mit viel Geld und Zeit verbunden, weshalb viele das nicht lange machen. Daher haben wir die neue Platte selbst raus gebracht, weil es uns wichtig war die EP jetzt zu veröffentlichen und sie nicht ewig lang in den Schrank zu stellen, während wir zwanghaft ein Label suchen. Lieber machen wir es dann selbst, anstatt dass wir uns irgendwie verstellen müssen, uns einer reinredet oder man sich irgend ein Alleinstellungsmerkmal überlegen muss.

Stefan: Wir sind aber keinem Label abgeneigt. Es gibt sehr viele tolle Labels in Deutschland, die einen unterstützen und einem dabei helfen, dass man genau das machen kann, was man will. Wenn man alles selbst raus bringt, gibt es unglaublich viel zu bedenken und es kostet sehr viel Zeit, die man dann nicht zum Musik machen hat. Ein bisschen Unterstützung wäre dabei einfach schön. Es geht gar nicht darum, dass man alles abgenommen haben will, sondern darum einen Partner zu finden, mit dem man sich absprechen kann, der noch andere Kontakte hat und das Spektrum erweitert.

SL: Welche negativen Erfahrungen habt ihr selbst schon gemacht, etwa mit einem Label oder einer Booking-Agentur?

Stefan: Man muss das nüchtern betrachten: die meisten Labels und Booking-Agenturen müssen einfach kommerziell arbeiten. Und wenn man mit dir als Band kein Geld verdienen kann, dann ist verständlich, dass die dich nicht nehmen können. Auf der anderen Seite ist mir aufgefallen, dass die Förderung junger Bands schon etwas nachgelassen hat. Vielleicht sollte man, unabhängig der Kosten, junge Bands fördern, damit auch mal etwas entsteht und nicht irgendwann Frustration eintritt.

Laura: Das einzig Negative, was wir mal erlebt haben, war das Feedback eines Labels, welches fast nur auf Marketing abzielte und nichts zur Musik gesagt hat. Wenn es nur darum geht, dass bestimmte Kanäle nicht bespielt werden oder wir zu wenig selbst machen und Einsatz zeigen würden, dann ist das nicht so cool. Vielen Bands geht es mittlerweile nur noch um Likes oder sie lassen den ganzen Tag ihre Musik zuhause auf Spotify laufen, nur um mehr “plays“ zu haben. Da frage ich mich, was das am Ende mit Musik zu tun hat.

SL: Habt ihr Vorschläge, was man an der derzeitigen Situation verbessern könnte, damit kleine und junge Bands es leichter haben Konzerte zu spielen und ihre Musik zu verbreiten?

Laura: Ich habe da keine Ansprüche, weil ich nicht der Meinung bin, dass uns jemand etwas schuldig wäre oder uns was schenken müsste. Bands sollten grundsätzlich dankbar sein, wenn jemand etwas für sie macht. Es gibt genug Bands, die immer nur wollen und fordern, denen man hilft und sie auf Konzerte mitnimmt, von denen aber nichts zurück kommt. Die denken, nach drei Konzerten in ihrer Heimatstadt, sie wären die größten Rockstars. Da wir seit Jahren selbst veranstalten, kennen wir auch die andere Seite und es macht wenig Spaß, wenn man ein Konzert für eine Band macht, die ohne “tschüss“ und “danke“ einfach abhaut.

SL: Ihr postet in den sozialen Netzwerken gerne Hintergrundwissen über den jeweiligen Veranstaltungsort, in dem ihr spielt. Wie ist diese Idee entstanden und woher nehmt ihr eure Infos?

Laura: Das hat sich zufällig ergeben. Wenn man eine Tour spielt und man jeden Tag schreibt “wir spielen heute hier, morgen da“, ist das irgendwie langweilig. Daher haben wir uns überlegt, einen Fun Fact dazu zu schreiben. Meistens ist das irgendwas zum öffentlichen Nahverkehr, denn unser Gitarrist Kurt interessiert sich dafür sehr [lacht]. Der sieht direkt, dass eine Straßenbahnspur keine Meterspurbahn ist sondern etwas breiter sein muss.

Stefan: Schön ist auch zu sehen, dass die veranstaltenden Personen sich über die Facts wundern und zum Beispiel nicht wussten, wie lang die Pferdestraßenbahn in der jeweiligen Stadt gefahren ist.

SL: Ihr erfüllt quasi auch einen Bildungsauftrag?

Laura: Richtig! Es ist uns sehr wichtig, dass die Leute etwas lernen [lacht].

Stefan: Vor allem zum öffentlichen Nahverkehr. Die müssen ja alle wieder gut heim kommen.

SL: In diesem Sinne: danke für das Gespräch und kommt gut nach Hause!