Wettereinbruch, Reisewarnung, Starkwind – der Abend des 12. September hatte in Österreich im Vergleich zum Sommer einiges an Veränderung zu bieten. So ist die Festivalsaison nun auch offiziell beendet und die ersten Touren bespielen wieder die Indoor-Konzertvenues im deutschsprachigen Raum. Eines der ersten großen Events ist Northlane samt französischem Vorband-Ensemble: wir waren für euch beim ersten Tourstop in Wien-Simmering vor Ort.
Die Simm City füllt sich an diesem Abend recht gemächlich, bis mit ten56 die erste Band die Bühne betritt. In typischer Core-Manier brüllt Frontmann Aaron Matts (Ex-Betraying The Martyrs) nur eine kurze Begrüßungsfloskel ins Mikrophon, bevor beim Set-Opener Saiko wütendes Gitarrengeschredder mit kratzigen Vocalparts in Einklang gebracht wird. Dieses Muster wird sich durch den gesamten Auftritt der Band ziehen, leider auch in Kombination mit einem stark blechernen Sound, der sich – etwas vorweg genommen – später am Abend gar nicht mehr finden wird. Zu Diazepam gibt es eine weitere Überraschung, denn der vormalige Novelists-Frontmann Mattéo Gelsomino kommt für sein Feature auf die Bühne und wertet den Auftritt des sonst etwas unsicher wirkenden Quintetts enorm auf. Abgesehen von einem kurzen technischen Problem, welches der Band etwa fünf Minuten Stagetime raubt, spielen die Pariser ihre insgesamt sieben Songs fassende Setlist dann ohne Probleme herunter und bewegen sich währenddessen teilweise synchronisiert in Crabcore-Manier von der Vertikale in die Horizontale. Ein etwas schräger Auftritt, der im Publikum aber durchaus Anklang findet, vor allem wenn Matts die Menge auffordert, für einen Song ein rein weiblich gelesenes Pit zu eröffnen, Twostep zu tanzen oder aneinander Gewalt auszuüben. Hervorzuheben ist auch die Bühnenpräsenz des Bassisten Steeves Hostin, der sichtlichen Spaß daran hat, wieder eine größere Bühne zu bespielen, was selbst eine erst halb gefüllte Venue durchaus mitreißen kann.
Die darauffolgende Umbaupause ist in Rekordzeit beendet und sobald die ersten Akkorde erklingen, wird klar, dass der mittelmäßige Sound nur ein temporäres Problem war, denn alles was Novelists auf die Bühne bringen klingt den ganzen Auftritt durch herausragend abgemischt. Das gilt besonders für den Klargesang der neuen Frontsängerin Camille Contreras, welcher schon nach wenigen Sekunden die inzwischen deutlich gefülltere Venue erhellt. Sowohl auf Songs, die bereits mit ihr aufgenommen wurden wie Prisoner als auch auf vergleichsweise älteren Songs wie dem Opener Lost Cause fügt sich die Vocalistin hervorragend in das Gesamtgefüge des Quintetts ein und es fällt nicht auf, dass sie erst seit Kurzem ein Teil der Band ist. Mitgebracht haben die Französ:innen statt einem Banner eine Art Leuchtreklame, die ihren Namen trägt und das Bühnenbild mit leicht dystopischer Farbgebung stimmig ergänzt. Während der Performance bewegt sich Contreras durchgehend elegant über die Bühne und interagiert mit dem Publikum, während die Saiteninstrumentalisten sichtlich Spaß daran haben, eine Show zu bieten – sie spielen Rücken an Rücken, sie spielen mit gegenseitig überkreuzten Armen, sie spielen am Boden liegend. Die mit acht Songs gefüllte Setlist gestaltet sich sehr kurzweilig und ist ein gelungener Gesamtauftritt, das Ganze wirkt sehr routiniert und stimmig. Nach dem Set-Closer Turn It Up hat man fast das Gefühl, gerade schon einen Main-Act gesehen zu haben.
Doch dieser kommt erst nach einer weiteren Umbaupause: anstelle des Novelists-Leuchtbanners ist in Windeseile eine ganze LED-Bühnenausstattung aufgebaut, die für größere Stages als die 800 Fans fassende Simm City gedacht wirkt. Umso imposanter wirkt die Lichtshow, welche die nächsten knapp 75 Minuten begleiten wird. Mit den ersten Synthesizer-Akkorden betritt dann das vierköpfige Gespann von Northlane nach und nach die Bühne. Das verlängerte Intro von Carbonized geht schließlich in die Studioversion über und Marcus Bridge brüllt ohne Begrüßung die ersten Passagen ins Mikrophon, holt jene dann aber während der Bridge zügig nach. Ein paar ermutigende Worte später herrscht während Intuition dann auch erstmals Bewegung in der Menge, und nicht nur dem ein oder anderen Fan sondern auch dem Frontmann wird relativ schnell warm, denn er wirft noch während des Songs seine Jacke kurzerhand zur Seite. Die Outfits der anderen Bandmitglieder bleiben währenddessen deutlich konstanter – bis auf Leadgitarrist Josh Smith haben alle ihr Gesicht auf gewisse Art und Weise verhüllt, Controller- und Gitarrenbeauftragter Jon Deiley trägt zusätzlich eine futuristisch anmutende, rote Ein-Augen-Brille. Winston McCalls Part auf Miasma von der neuen EP Mirror’s Edge wird leider nur vom Band eingespielt und klingt dabei etwas unabgestimmt auf den Rest des Sounds, der abgesehen davon hervorragend ist.
Mit dem durch ein einminütiges Synthesizer-Intro angeteasten 4D folgt dann das erste ganz große Highlight: Bridge klingt wie gewohnt fast besser als auf der Albumversion und weiß das Publikum in eine Mischung aus Trance und Emotion zu versetzen. Mit Highlights wollen die Australier dann nicht mehr sparen, das nahtlos aus dem Schlussakkord von 4D startende Talking Heads reißt auch die letzte durch die Vorminuten melancholisch gewordene Konzertgänger:in aus dem Ruhezustand. Deiley bleibt während des gesamten Auftritts recht stoisch, während Smith sich durchaus etwas über die Bühne bewegt. Kraft – leider wieder mit Feature vom Band – ist vergleichsweise schon fast eine Ruhepause vor dem Alien-Klassiker Bloodline, den vermutlich jede:r in der fast ausverkauften Simm City mitschreit. Es folgt ein kurzes Shoutout an die Vorbands und Dante, explizit auch als ein neuerer Song angekündigt beendet schließlich die erste Hälfte der Setlist. Bridge ist beim Outro des Songs dabei allein auf der Bühne und sorgt auch hier für einen ruhigeren und bewegenderen Moment, nachdem er zuvor mehrmals Crowd-Interaction eingefordert hatte.
Eine kurze Umbaupause später geht es dann weiter mit Echo Chamber. Deiley nimmt seine Doppelrolle dabei sehr aktiv, aber dennoch behäbig wahr. Teilweise ist er mal einen Song nur mit dem Controller beschäftigt, während Clarity zum Beispiel jongliert er aber das Synthesizer-Bedienen mit dem Vollzeitjob Gitarrist. Bridge kündigt im Anschluss etwas „Old Shit“ an, es folgt ein Medley aus Worldeater, Dispossession und Jinn. Wer auf den damaligen Durchbruchssong Quantum Flux gehofft hat, wird leider enttäuscht, dieser war bereits bei der Nordamerikatour im Frühsommer von der Setlist verschwunden – es sei der Band 11 Jahre nach Veröffentlichung und dutzende Releases später aber verziehen. Mit dem folgenden Solar hat die Band dann tatsächlich jedes ihrer Studioalben außer Node zumindest mit einem Medley-Teil abgedeckt, eine Stage Hand schwenkt während des Songs ein Mikrophon durch den Fotograben über das Publikum hinweg. Mirror’s Edge wird von Bridge nochmals als der Titelsong der neuen EP angekündigt, die damit auch komplett durchgespielt wurde. Müde wird allerdings niemand, denn Afterimage und besonders Clockwork sorgen nochmal für die größte Wall of Death des Abends – natürlich unter anheizender Mithilfe von Bridge. Nova wird schließlich als letzter Song angekündigt, doch ohne Zugabe verlassen die Australier die Bühne natürlich nicht. Citizen ist ein gelungener Abschluss der Show und es bleibt zu hoffen, dass Northlane ihr noch nicht angekündigtes nächstes Album auch in unseren Breitengraden wieder ausführlich betouren werden.
© Fotos von Arlind Hoti