Jennifer Rostock feiern ihr zehnjähriges Bandjubiläum mit der bislang größten Tour ihrer Karriere. Die mediale Aufmerksamkeit gilt am Tag der Show im ausverkauften Wiesbadener Schlachthof jedoch der Vorgruppe.
Die Blackout Problems haben nur wenige Stunden vor Konzertbeginn ihr zweites Album “Kaos“ angekündigt sowie den Titeltrack veröffentlicht. Am 15. Juni erscheint die Platte und logischerweise nutzt das Quartett die Gelegenheit, den “Holy“-Nachfolger zu bewerben. Auf der Setlist finden sich mit “How Are You Doing“, “Queen“, “Kaos“ und “Difference“ gleich vier neue Songs, die einen deutlich experimentelleren Klangteppich ausrollen als man es bislang von den Münchenern gewohnt war. Sänger und Gitarrist Mario Radetzky begibt sich im ersten Song ins Publikum und wiederholt dies im finalen “The City Won’t Sleep Tonight“ – jedoch auf der Menge. Dazwischen mogelt sich mit “Off/On“ ein ebenfalls noch relativ frischer Song, ihr Debütalbum ignorieren die Blackout Problems an diesem Abend gekonnt.
Pünktlich wie die Maurer beginnen Jennifer Rostock ihre Jubiläumsshow um Punkt 21 Uhr, lassen aber zunächst einmal Aufnahmen der zehnjährigen Bandgeschichte für sich sprechen. Mithilfe eines Beamers zeichnet die Band ihren Weg ins Jahr 2008 zurück, um sich im folgenden Programm vom Erscheinungsjahr des Debütalbums “Ins offene Messer“ chronologisch in die Gegenwart zu spielen. Sechs Alben hat die Gruppe um die charismatische Frontfrau Jennifer Weist bis heute veröffentlicht und für jeden Albumzyklus genehmigt sich das Quintett einen besonderen Schnaps – Jägermeister, Nussschnaps, Pfefferminzschnaps – die Anzahl der alkoholreichen Kurzgetränke gleicht der Wechsel des Outfits von Weist. War From A Harlots Mouth-Frontmann Nico Webers hält es eher schlicht und schreit in Jogginghose und Tanktop bei “Es war nicht alles schlecht“ und “Kaleidoskop“ dazwischen.
Auf Sido müssen Band und Publikum bei “Du willst mir an die Wäsche“ verzichten, dafür gibt es an anderer Stelle CO2-Kanonen, Konfetti und Flammenwerfer. Fairer Deal. Ruhige Töne lassen Jennifer Rostock in der Piano-Version von “Irgendwo anders“ sowie einer akustischen Auslegung von “Ich kann nicht mehr“ anklingen. Zu “Ein Schmerz und eine Kehle“ schwingt Weist die Regenbogenfahne und mit “Wir sind alle nicht von hier“ läutet die Formation die Ära des aktuellen Albums “Genau in diesem Ton ein“. Daraus präsentieren sie “Irgendwas ist immer“, “Deiche“ und “Wir waren hier“ – und natürlich “Hengstin“ als erste Zugabe. Ein starkes Konzert hätte an dieser Stelle ein perfektes Ende gefunden, wenn es die im vergangenen September erschienene “Worst Of Jennifer Rostock“ mit bislang unveröffentlichten Stücken nicht geben würde. Zum käsigen “Alles cool“ fährt Weist auf einem Hochbett durch das Publikum und bewirbt sich unfreiwillig für das RTL-Nachmittagsprogramm. Während “Haarspray“ in die gleiche Kerbe schlägt, setzen die Berliner mit “Die guten alten Zeiten“ hingegen einen versöhnlichen Schlusspunkt.
Jennifer Rostock haben sich seit ihrem Debütalbum 2008 zu einer der erfolgreichsten deutschen Rock-Bands gemausert. Was dem Quintett aus der Hauptstadt vereinzelt an musikalischer Finesse fehlt, gleicht es mit energiegeladenen Liveshows und einer richtigen politischen Einstellung aus. Man kann der Band nur zu ihrem Erfolg gratulieren und hoffen, dass sie sich nicht noch mehr dem Pop verschreibt. Das können andere machen.
© Fotos von Joshua Lehmann