In den USA bewegt sich was. Spätestens seit dem 2014 veröffentlichten Album „I Am King“ haben Code Orange sowohl für Furore, Zwiespalt als auch so manche blutende Nase gesorgt. Nun ist es an der Zeit, die Progression ihrer Musik erneut zur Schau zu stellen. Wir rezensieren für euch das brutale aber vielfältige Album „Forever“ Stück für Stück!
Es erklingt die Predigt zur Abendmesse – oder so ähnlich. Der Titeltrack der CD knüpft an den Vorgänger von 2014 an und liefert neben dissonanten Gitarren erneut einen wuchtigen, undurchsichtigen Mix, der den Zuhörer herausfordert. Wie bezeichnend der Sound der Band ist, ist kaum zu beschrieben, ohne diese selbst einmal gehört zu haben. „CODE ORANGE IS FOREVER“, tönt es laut, ehe der finale Doom-Breakdown den Zuhörer rausschmeißt und in das nächste Höllenfeuer schmeißt in Form von „Kill The Creator“: Hier hat das Chaos zum ersten Mal richtig die Überhand. Drummer Jami Morgan schreit sich die Seele zu abartig schnellen Punkbeats aus dem Leib, ehe er von Ambient-Geräuschen unterbrochen wird. Diese Start-Stopp-Technik des Songwritings als auch das fließende Wechseln von Tempi findet sich vermehrt auf dem neuesten Werk und schockt immer wieder. Der Verlauf des Liedes wirkt experimentell zusammengesetzt: Wo zuerst reine Prügelei herrscht, erklingen am epischen Ende Engelschöre und runden das Lied mit der Musik zum Betreten der Höllenpforten ab. Der Band gelingt hierbei aber erstaunlicherweise die Aufgabe, den Song zu einem Abenteuer statt einem verwirrenden Hirngespinst zu machen. Der dritte Song „Real“ spielt stark mit soundtechnischen Nuancen. So begegnet einem ein elektronisches Schlagzeug, was so auch von Trent Reznor hätte produziert sein können, ehe der reine Wahnsinn regiert. Insbesondere das eingestreute Flüstern sorgt für Gänsehaut und lässt einen direkt mal alle Türen und Fenster schließen. Bei diesem Lied fällt besonders die Kurzweiligkeit der neuen Ideen auf. Was hier innerhalb von 3 Minuten passiert, zeugt von größter Kreativität, die in diesem Genre leider nur rar gesät ist. „Real“ ist ein absoluter Anspieltipp!
Wie, die können singen? Ja, richtig gehört! Gitarristin und Sängerin Reba Meyers packt ihr Goldkehlchen aus und brilliert im anschließenden Grunge-Track mit dem wohl einzigen wiederkehrenden Chorus, den das Album zu bieten hat. Man möchte es nicht glauben, aber sogar DAS klappt außerordentlich gut. Die harte Seite der Musik ergibt sich hier vor allem aus den schleifenden, verbogenen Gitarrenriffs, die im genialen Solo ihre krasseste Ausprägung finden. Obwohl „Bleeding in the Blur“ fast nur aus Gesang statt Screams besteht, passt die vergleichsweise balladeske Seite der Band als kurze Verschnaufspause sehr gut in den Kontext der anderen Lieder. Mit „The Mud“ ist nämlich die Erholung auch erstmal wieder vorbei. Industrialsounds leiten das wohl unkonventionellste Produkt der CD ein, ehe alles auf Hardcore umschwenkt. Staccato-Beats und Klargesang prägen die erste Hälfte des Liedes und man beginnt schon fast, sich in Sicherheit zu wiegen. Plötzlich wird der natürliche Fluss unterbrochen und rauschende Leere füllt den Raum. Es sind diese Momente, in denen das Quartett den Zuhörer gekonnt auf den Arm nimmt. Denn anstatt das Lied hier halbgar zu beenden folgt nach einer halben Minute wirrer Geräusche der wohl heftigste Abschnitt des ganzen Albums. Beide Gitarren schmiegen sich mit Halbtondissonanz aneinander und reiben sich förmlich an ihrer Hässlichkeit, während sich die Doublebass vehement durch die verwirrenden Rhythmen kämpft. Dieser Klang, bei dem sich des Normalverbrauchers Fußnägel rückwärts schälen, beeindruckt und schockiert zugleich.
Die Kunst der Tempowechsel beherrscht die Band im Schlaf, was sich an anderer Stelle in „The New Reality“ zeigt. Code Orange gesellen sich nicht gern zu den Warmduschern, sondern ändern gerne mal kurzfristig das eigentliche Tempo, um in vollkommen andere Welten einzutauchen. Der betörende Dreierchoral der drei Screamer Meyers, Morgan und Balderose bekriegt sich dauerhaft um den besten Platz. Lieder wie dieses spiegeln auch das Bild des Arbeitsklimas der Band wider, bei dem vermutlich jeder seine Ideen einwirft und gewaltsam diese durchzusetzen versucht. Meistens entsteht dabei eine deftige Mélange aus sumpfigen Gitarren und unübersichtlichen Liedstrukturen. „Spy“ liefert hingegen komischerweise ein zugängliches Riff, um welches sich das ganze Lied dreht. Dennoch darf auch hier der destruktive Klang nicht fehlen und äußert sich im scheinbar spontanen Wechsel zu feurigen Punk Rhythmen, ehe die Band ihre unverwechselbaren Breakdowns mehrfach zur Geltung bringt. Der wohl härteste Song auf dem Album ist live demnach mit Vorsicht zu genießen! Das anschließende „Ugly“ bummelt vor sich hin und ist der scheinbar passendste Sound für das Verlaufen in einem menschenleeren Labyrinth. Überraschenderweise offenbart Jami Morgan neben seinen gewohnt kehligen Screams hier noch eine neue Komponente: Im Refrain singt er tatsächlich – und es klingt gut. Die raue Kraft seiner Stimme posaunt „live like a loser, die like a king“ heraus und besitzt eine derartige Coolness, dass man ins Schmunzeln gerät. Wie bei „Bleeding In the Blur“ werden hier klassischere Rockelemente aufgegriffen und in den grollenden Sound der Band eingeflochten. Code Orange scheinen sowohl softe als auch harte Musik einfach drauf zu haben und sind ganz gewiss keine Loser mehr.
„No One Is Untouchable“ stützt sich auf sich langsam in den Schädel einhämmernde Grooves, über die Jami Morgan in gewohnt aggressiver Manier sein Leid vertont. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Kombination von Schlagzeug und Gesang einfacher erscheint, als sie wirklich ist. Was hier teilweise technisch passiert, ist schwer umzusetzen und dennoch einprägsam gestaltet. Ein besonderes Rampenlicht darf der Sänger aber in „The Hurt Goes On“ genießen – minimalistisch gestaltet schwirren wummernde Klänge umher; das Lied scheint wie ein ewiger Monolog, der frequent von Stille und verstörenden Geräuschen unterbrochen wird. Hintenraus eröffnet sich jedoch ein unfassbar eingängiges Ende mit fast Disco-ähnlichem Schlagzeug, bei dem man sich das Kopfnicken einfach nicht mehr verkneifen kann. Das das Album abschließende „dream2“ rundet das Gesamtwerk unkonventionell ab – Reba Meyers singt zu spärlich vertretenem Schlagzeug und gruseligen Gitarrenmelodien so derartig schön, dass man nicht weiß, ob man diese Gefühle wirklich zulassen sollte bei einer Code Orange CD. Es sind diese Momente, in denen klar wird, dass die Band sich nie festlegen wird auf eine Richtung. Ihr Sound ist alles, was möglich ist.
Alles in allem haben Code Orange mit „Forever“ das musikalische Äquivalent eines modernen Klassikers geschaffen. Jeder Song steht für sich selbst und wirkt eigenständig im Rahmen des Klangs einer Band, die sich nie mit sich selbst zufrieden geben wird. Sowohl die erstklassige, detailreiche Produktion des Albums als auch die durchgängige Ungewissheit, was als Nächstes kommen mag, machen diese Veröffentlichung zu einer wirklich aufregenden. Die Prügelkonstellation lässt sich nicht gerne auf Komfortzonen ein, sondern erfindet sich lieber neu, statt sich auf veralteten Klängen auszuruhen. Code Orange is Forever.