Livereview: Nine Inch Nails + Support, Zitadelle Spandau Berlin, 02.07.2018

Die hohe Kunst genießt man bekanntlich in seltenen, aber intensiven Zügen. So ist es immer erfreulich, wenn Nine Inch Nails den Weg nach Europa finden. Vier Jahre ist es her, seit die Tour zum letzten Album „Hesitation Marks“ Reznor und co. nach Berlin verschlagen hat. Das Ergebnis findet ihr hier.

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Mit einem frühen Einlass lädt die Zitadelle Spandau am Montagabend auf das schöne Konzertgelände ein. Besonders positiv fällt hier auch der Sitzbereich auf, der sich neben der Bühne perfekt zum Ausruhen mit Cocktails anbietet. Der Support Act entspannt jedoch wohl eher nicht: Vatican Shadow alias Dominick Fernow pumpt volle dreißig Minuten lang harte Bässe auf das Publikum mit eher schlechtem Ergebnis ein. Die Basis für seinen Auftritt bilden ein Minimal House Beat, welcher im Laufe des Sets weiter variiert wird, begleitet von einer angepissten Attitüde, die Fernow dazu drängt, seine Zuschauer eindringlich anzuschreien. Der sich selbstfeiernde DJ wirkt hierbei ein wenig wie ein Grundschulkind welches möchte, dass jeder alles gut findet, was es macht, da es sonst seine Feinde verprügelt. Zweifellos hat die resultierende Musik ordentlich Wums, aber das reicht eben noch nicht, um ein Publikum für sich zu gewinnen. Mit ihm entgegengereckten Mittelfingern und einem mörderischen Blick verlässt Fernow nach 30 Minuten die Bühne und liefert guten Gesprächsstoff für die Umbaupause.

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Wenn gleich die Stimmung nach diesem etwas unpassenden Opener ein wenig gedämpft ist, knüpfen Nine Inch Nails energetisch an das an, was sie 2014 bereits bewiesen haben: Ihre außerordentlichen Livequalitäten. Die Setlist ist von Liedern der EP-Trilogie gespickt und mit „Branches/Bones“ reißt Reznor sein Publikum von Beginn an mit ins Chaos. Noch rauer als auf der Aufnahme wird das Klangspektrum in der Zitadelle differenziert aber wuchtig um einige Nuancen erweitert. Die Band klingt optimal abgemischt, wodurch die Folgesongs „Wish“ und „Less Than“ noch stärker klingen. Grundsätzlich scheinen Nine Inch Nails bei ihrer Songauswahl wenig falsch machen zu können, was womöglich der Grund für eine von Show zu Show alternierende Setlist sein könnte. Absolute Knüller wie „March of the Pigs“ oder auch „Reptile“ aus der „The Downward Spiral“ Ära bereiten direkt zum ersten Drittel des Abends zwei Leckerbissen, und das Publikum in der ausverkauften Zitadelle dankt es mit staubigen Moshpits.

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Aber auch die neuen Lieder fügen sich gekonnt in die Liveshow ein: „The Lovers“ hypnotisiert das Publikum und wird von einer Camcorderaufnahme Reznors unterstützt, die dieser mysteriös in sein Mikrofon hält.
Reznor präsentiert danach drei Stücke des „Bad Witch“ Albums hintereinander, wobei Gitarrist Robin Finck für „Shit Mirror“ den Hauptgesang beisteuert. Neuzugang Atticus Ross versinkt zwar konzentriert hinter seinem Keyboard, wenn das Ergebnis aber solch ausgefeilte Sounds sind, ist das leicht zu verschmerzen. Alles in allem ist die Band unglaublich on point – jeder Einsatz sitzt, der Sound ist ausbalanciert und die Lichtshow stützt das Geschehen, wie zum Beispiel im aufbauenden „Copy of A“. Auch zwei Cover von Joy Division und David Bowie finden ihren Weg zur Zitadelle, wobei ersteres mit seiner positiven Aura einen starken Kontrast zum eindringlichen Industrialgehämmer, das „I’m Afraid of Americans“ ist, bildet. Ganz nach Routine der letzten Jahre leiten die zwei Hüpfhymnen „The Hand That Feeds“ und das mit drei Gitarren vorgetragene „Head Like A Hole“ das Ende des Abends ein. Obwohl das Konzert bis hierhin makellos gewesen ist, ist es ein wenig deprimierend, wenn nach nur 70 Minuten die Bühne zum ersten Mal verlassen wird, ehe Liverarität „Even Deeper“ von „The Fragile“ und das allseits bekannte „Hurt“ den Abschluss des Abends bilden.

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Wenn man bei Nine Inch Nails Kritik abgeben will sollte man sich vorher bewusst machen, dass diese sich auf einem unglaublich hohem Niveau abspielt. Alleine die zu kurze Spielzeit versauern einen Abend, der ansonsten mit Leichtigkeit zu den absoluten Konzerthighlights von 2018 hätte zählen können. Mit einem überdimensionalen Liedkatalog und erstklassigen Musikern ist Trent Reznor auch 2018 noch immer in der ersten Liga, wenn es um die Umsetzung komplexer Ideen auf der Bühne geht. Man kann also nur hoffen, dass die Nine Inch Nails sich nicht wieder vier Jahre Zeit lassen, ehe sie uns mit neuen Auftritten beglücken. Nur eines noch: beim nächsten Mal keinen DJ, bitte?

© Fotos von Jonathan Schütz