Das aus Sacramento stammende experimentelle HipHop-Projekt Death Grips veröffentlicht mit seinem sechsten Studioalbum „Year Of The Snitch“ eine einzigartige und erfrischende Klangerfahrung, die sich hörbar von früherem Material der Band unterscheidet.
Auch wenn es schier unmöglich ist, Death Grips einer Musikrichtung zuzuordnen, siedeln sich die ersten Erscheinungen wie bspw. „The Money Store“ oder „Exmilitary“ irgendwo zwischen industriellem Hip-Hop, Punk, Glitch-Pop und experimenteller, elektronischer Musik. Obwohl sich Death Grips in einer großen Bandbreite an Genres bewegen, haben sie ein distinktiv erkennbares Klangbild, das von Mc Rides aggressiver, animalischer, aber auch vielseitiger Sprachausgabe, Zach Hills wahnsinnig intensiver und berauschender Art Schlagzeug zu spielen und Flatlanders intuitiver und interessanter Benutzung von Samples und Produktionstechniken geprägt ist.
Auf „Year Of The Snitch“ paaren sich jene Charakteristiken mit unter anderem Proggressive Rock und Krautrock auf dem sehr eingängigen, aber auch unglaublich psychedelischem „Black Paint“. Textlich befasst sich der Song damit von Dunkelheit umhüllt zu sein und wirkt fast wie das „Paint It Black“ der Rolling Stones für die heutige Generation. Die von Ride im Pre-Chorus gerufenen „Heys“ klingen als kämen sie gerade aus einem AC/DC-Song. Der Opener „Death Grips Is Online“ klingt mit seinen bezaubernden, tranceartigen Synths und der treibenden Percussion nach einem Rave der 90er-Jahre und wirkt sofort berauschend. Die verwaschenen, erhebenden Akkorde in der Bridge lockern den Song gepaart mit der weiblichen Stimme gut auf, um im Chorus wieder in ein Chaos zu verfallen, das durch Mc Rides Kreischen einen leidenden Unterton bekommt. Auch die Scratches von DJ Swamp, welche sich über das gesamte Album erstrecken, fügen einiges an Persönlichkeit hinzu. Der Track „Flies“ fungiert klanglich als Gegenstück zu „Death Grips Is Online“ und überzeugt durch die sehr eigenartigen Synth-Arpeggios, den konstanten, abrupten Wechsel zwischen Rides gesprochener und gerufener Sprachausgabe und den verstörenden Text darüber wie Ride von Fliegen erbrochen wird.
Viele Songs wie zum Beispiel „Flies“ enden mit kleinen Interludes, welche die Songs miteinander verbinden und den schon vorhandenen kohäsiven Hörfluss deutlich unterstützen. „Linda’s In Custody“ ist nach drei sehr intensiven Songs ein treffend gesetzter Ruhepunkt, welcher durch Rides ruhige, aber im Mix sehr überwältigende, stimmliche Darbietung sehr klaustrophobisch wirkt. Auch hier zeigt sich wieder die perfektionistische Detailverliebtheit, die überall auf „Year Of The Snitch“ zu finden ist. Mit wiederholtem Hören der Platte lassen sich im Hintergrund schwebende Klänge, raffiniert gesetzte Samples und Stimmbearbeitungen erkennen. „The Horn Section“ kommt ohne Mc Rides Einsatz aus und überwältigt stattdessen mit Schlagzeugpassagen von Zach Hill, welche so hektisch, intuitiv und energiegeladen sind, dass sie den Zuhörer nicht loslassen. „HaHaHa“ und „Streaky“ erinnern eher an klassische Death-Grips-Songs, machen jedoch im Dance-lastigen Kontext des Albums Sinn und wirken deutlich verspielter und heller als der Rest der Platte.
„Shitshow“ ist der mit Abstand lauteste, schnellste und aggressivste Song des Albums. In knapp anderthalb Minuten machen Death Grips einen guten Job so punkig wie möglich zu klingen und werden dem Titel des Songs voll und ganz gerecht. „Dilemma“ überrascht mit Progressive-Rock-Elementen, wunderschön nostalgisch klingenden Synth-Leads und einem wirksamen, exzentrischen Chorus. Das einzige Manko des Albums ist der etwas fehl am Platz wirkende Track „Little Richard“. Zwar passen die flippigen Acid Synth-leads und der roboterhaft bearbeitete Gesang in das musikalische Thema des Albums, die einzelnen Elemente kommen jedoch nicht sonderlich kohäsiv zusammen und wirken an manchen Stellen wie ein uninteressantes Durcheinander. Mit „The Fear“ wagen sich Death Grips an Jazz und implementieren diese Ästhetik äußerst organisch und treffend. Der Song handelt von rudimentärer Angst und setzt dieses Thema klanglich einwandfrei um. Chromatische, angsterfüllende Pianomelodien und vor allem Mc Rides manipulierte Stimme und gepitchte Schreie machen den Song zu einem der furchterregendsten Songs, die die Formation je geschrieben hat.
Das „Outro“ ist ein etwa einmütiges, schlichtes Lo-fi-Gitarrenriff mit unterlegtem Schlagzeug, das zum finalen „Disappointed“ führt. Der freche und vor allem gleichgültige Gesang im Chorus klingt wie ein L auf der Stirn, das an alle Hörer geht, die von der Musik der Band enttäuscht sind. Death Grips interessieren sich nicht für die Meinungen von Menschen oder ihre Erscheinung im öffentlichen Leben. Mit einem abrupten, aber starkem und passendem Ende geht „Year of the Snitch“ als eines der fortschrittlichsten Alben in die Geschichte ein. Es ist ein Werk mit dem Potential, großen Einfluss auf die Entwicklung von experimenteller Rock-, HipHop- und elektronischer Musik in der Zukunft zu haben.
Label: Third Worlds
VÖ: 22.06.2018Genre: Experimental Hip-Hop
Vergleichbar:
Shabazz Palaces – „Back up“
Ho99o9 – „Dead Bodies in the Lake“Wertung: 14/15