Review: Turbostaat – Nachtbrot

Als wären 20 Jahre Turbostaat nicht Geschenk genug, legen die Nordlichter mit „Nachtbrot“ ein 21 Song starkes Live-Album voller Lieblingslieder oben drauf.

Am 07. Januar 1999 knapp unterm Dach fing das Kapitel Turbostaat an. Als Jan Windmeier, Rollo Santos, Marten Erbsen, Tobert Knopp und Peter Carstens im Speicher in Husum zum ersten Mal zusammen fanden, um – nach eigenen Angaben ohne Talent –  ihre Version von Deutschpunk aus ihren Instrumenten und Stimmbändern zu leiern, war sich keiner der Beteiligten den Auswirkungen dieses Zusammentreffens bewusst. „Rückblickend ist es leider nicht mehr zu beantworten, ob überhaupt jemand von uns zur ersten Probe erschienen wäre, wenn wir damals gewusst hätten, dass das automatisch bedeutet, für die nächsten zwei Jahre Verpflichtungen zu haben“, heißt es im Promo-Text. Gut, dass sie sich dafür entschieden haben. Ohne Turbostaat würde dem deutschen Punkrock neben einer Szenegröße und zahlreichen von ihnen inspirierten Bands mit klugen Texten und windschiefen Gitarren, vor allem eine der besten Live-Bands des Landes fehlen.

Aufgenommen bei drei aufeinanderfolgenden Abenden im Mai 2018 im Conne Island in Leipzig und von Moses Schneider mit einem kraftvollen wie dreckigen Sound versehen, gelingt „Nachtbrot“ etwas, an dem andere Live-Alben scheitern: Die Besonderheit und das Gefühl eines Konzerts für zu Hause greifbar zu machen. Man sieht sie vor sich – die von Händen getragenen Körper, die in die Luft gestreckten Fäuste und die geöffneten Münder, die Sänger Jan Windmeier jede Zeile entgegen schmettern, egal ob sie auf dem Debüt „Flamingo“ oder dem aktuellem Album „Abalonia“ zu finden ist. Die stimmige Tracklist umfasst beides: Die alten, rumpeligen Songs à la „Drei Ecken – ein Elvers“ und die komplexeren Abalonia-Stücke wie das knapp sechsminütige, bedrohlich wankende „Eisenmann“ und zeigt die Entwicklung einer Band auf, der das Deutschpunk-Korsett irgendwann zu eng wurde.

Dazwischen lauern die Hits: „Insel“, „Harm Rochel“, „Vormann Leiss“, … Mit „Kriechkotze“ von der Gießener Band Dellwo gibt es zudem eine gelungene Cover-Version zu entdecken. Viel geredet wird zwischen den Songs nicht, auf feierliche Geburtstagsreden wird verzichtet. Nach der Show verabschiedet sich Windmeier mit dem Satz, den er seit 20 Jahren benutzt, der nicht lang ist, die Verbundenheit zwischen Band und Fans aber besser auf den Punkt bringt als überschwängliche Liebesbekundungen: „Danke euch, dass wir das hier machen dürfen.“ Turbostaat meinen das ernst: Alle Gäste der drei Konzerte in Leipzig werden namentlich in dem 60-seitigen Fotoband, der der Vinyl-Version beiliegt, aufgeführt.

Nachtbrot

Label: 8null9
VÖ: 11.01.2019

Genre:
Deutschpunk, Post-Punk

Vergleichbar:
Captain Planet – Live in Berlin
Die Nerven – Live in Europa

Wertung: 13/15