Livereview: Donots + Anti-Flag, Schlachthof Wiesbaden, 27.04.2019

Zum Tourfinale die doppelte Eskalation: Nach den mitunter größten eigenen Konzerten außerhalb Münsters in der Berliner Columbiahalle und dem Hamburger Mehr! Theater haben die Donots zu ihrem 25-jährigen Bandjubiläum den Wiesbadener Schlachthof gleich zweimal gefüllt.

98F3E6DD-C363-412B-A4B1-72A3F0B44C84

Nicht wenige Fans haben sowohl den Frühschoppe zur Mittagszeit als auch das reguläre Abendkonzert mitgenommen, Müdigkeit hat sich beim abendlichen Tourfinale jedoch keine eingestellt, weder vor als auf der Bühne. Dafür sorgen als gefühlter zweiter Hauptact und einzige Vorgruppe die US-Punk-Veteranen Anti-Flag, die erst vor einem halben Jahr für ihr eigenes Antifest im Schlachthof zu Gast gewesen sind und durch ein 40-minütiges Set rasen, das einer Best-of-Auswahl gleicht. Ganz egal, ob alte Songs wie Die For The Government und Fuck Police Brutality oder Songs vom aktuellen Album American Fall – der Schlachthof gleicht einem textsicheren Tollhaus. Für optische Verwirrung sorgen gleich zwei Background-Sänger – als wären Leadgitarrist Justin Sane, Bassist Chris #2 und Rhythmusgitarrist Chris Head nicht genug Musiker, um den Gesang zu stemmen. Die Auftritte Anti-Flags mit perfekt einstudierten Ansagen und dem immer zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Wechsel des Schlagzeugs ins Publikum halten zwar das Energielevel und den Spaßfaktor am Limit, lassen allerdings wenig Raum für Spontaneitäten zu. Spontan wird es allerdings gelegentlich im Anschluss.

5CDEFEF4-E042-4622-9F74-CDCA7BFEA828

Im Interview vor der Show bestätigt Gitarrist Guido Knollmann unsere These, dass man die Diskographie seiner Band in drei Phasen unterteilen könne. Während die erste Phase von der Bandgründung bis 2004 andauert, beginnt die zweite Phase 2008 mit dem Comebackalbum Coma Chameleon und wird 2015 von der dritten Phase mit dem ersten deutschsprachigen Album Karacho abgelöst. Auch wenn die Shows zum 25-jährigen Bandjubiläum einen Gesamtüberblick über das Schaffen der Donots geben sollen, entspringt die Hälfte der Songauswahl aus der dritten Phase, und tatsächlich sind es auch die deutschsprachigen Songs, die heute Abend für die größten Mosh- und Circlepits sorgen, mit der Ausnahme von Calling, der bereits nach dem eröffnenden Ich mach nicht mehr mit folgt. Spontaneität Nummer eins: Lena ist wieder da – wer? Lena, leidenschaftlicher Donots-Fan, war vor einigen Monaten bei einem Konzert ihrer Lieblingsband derart besoffen, dass sie den Donots eine Kiste Merchandise voller Bandshirts geklaut hat und erst auf dem Heimweg realisiert hat, was sie da eigentlich angerichtet hat. Mit der einhergehenden Einsicht hat sie die Kiste zurückgeschickt und sich nun mit einem gebastelten Schild im Schlachthof zurückgemeldet. Frontmann Ingo Knollmann lässt sich natürlich nicht die Gelegenheit entgehen, Lena einen Circlepit starten zu lassen, nur um alle Besucher dabei aufzufordern, auf ihre Wertsachen aufzupassen.

12093AF5-5EE8-415A-9ED8-EF5C91A91746

Spontaneität Nummer zwei: Nach einigen leidenschaftlichen Fanzurufen wird mal eben Blitzkrieg Bop in einer ,,Ingo, let’s go“-Version gecovert, bevor mit der geplanten Liveshow fortgefahren wird. Natürlich darf auch der neue Song Scheißegal nicht fehlen und im Zugabenblock werden zudem die Fans der ersten Stunden mit We’re Not Gonna Take It (im Original von den Twisted Sisters) befriedigt. Fehlt eigentlich nur noch, dass im finalen So Long auf einmal Frank Turner auf der Bühne auftaucht, doch der ist gerade selbst in den USA auf Tour. Natürlich wäre So Long der perfekte Abschluss einer perfekten Show, doch nach fast zwei Stunden lassen sich die Donots noch dazu hinreißen, einen Penn-Pit zu starten: Während sich das gesamte Publikum auf den Boden legt, klettert das Quintett aus Ibbenbüren über den Wellenbrecher zu diesem und stimmt eine akustische Version von Good-bye Routine an. Doch auch das war noch nicht das Ende: Mehrmals ruft Ingo Knollmann während des Sets dazu auf, noch den Gang ins benachbarte Kesselhaus zu wagen, um mit der Band weiter zu feiern. Irgendwo ist bestimmt noch jemand am Tanzen.

© Fotos von Valentin Krach