Das Trebur Open Air ist eine Mischung aus Familienfestival, Dorfjugendtreff und dreitägiger Pool-Party mit Bands, die man eigentlich von den ganz großen Bühnen kennt. Vom 26. bis 28. Juli waren wir in den hessischen Feldern dabei!
Der erste Tag des Musikfestivals ist sehr bunt gemischt: Zwischen Freibadaktivitäten, Flunkyball und dem Bühnenprogramm ab 16 Uhr hat man reichlich Beschäftigung. Auf dem Campingplatz eröffnet sogar um 14 Uhr schon die Ballerband, die ein wenig wie die rheinhessische Version von Dillinger Escape Plan klingt, und in feschen Badeutensilien auftritt. Die Performance lässt viele Augenbrauen zucken und zeichnet sich nicht durch großartigen Sound aus, macht aber mächtig Spaß. Ein wenig dunkler lassen es 8kids zugehen. Das Quartett aus Darmstadt ist neuerdings mit einem Bassisten am Start, was die Livequalitäten der Gruppe enorm steigert. Hatte man vergangenen Oktober beispielsweise im Wiesbadener Schlachthof noch 40% des Geschehens vom Band laufen, ist der Sound nun homogener und der Auftritt ausgereifter. Sänger Jonas Jakob hüpft und flitzt über die Bühne, während der Rest der Band eher in sich gekehrt wirkt und somit die dynmischen Schwankungen der Gruppe gut einfängt. Die kleinere, gegenüber gelegene Haselnussbühne trumpft anschließend mit einem außergewöhnlichen Act, nämlich Mister Me. Das Projekt um Micha Meißner kritisiert schwerwiegend Geschlechterklischees (Pink und Blau) und das große Thema Versöhnung. Die ernsten, durchdachten Texte werden von schillernden Klavierleads und einer insgesamt gelungenen Begleitung der Band kontrastiert. Mister Me bedankt sich mehrfach für das Publikum und verspricht, mit seiner Musik in Deutschland noch lange auf dem Radar zu bleiben.
DeWolff aus Holland drehen im Gegensatz dazu voll auf und lassen ihren Psychedelic Rock für sich sprechen. Das heißt: Extensive Gitarrensoli, lange Haare, Hammondorgel und Riffs bis zum geht nicht mehr. Der Auftritt ist geprägt von motivierenden Aufrufen zum Tanzen und eines konstanten Gefühls, das Rock uns immer bleiben wird. Wenn gleich diese Stimmung während des Auftritts in der Lage ist, das musikalische Geschehen zu tragen, ist das Set (abgesehen von einem überraschenden Schlagzeugsolo) eher flach als abwechslungsreich gestaltet. Dies hält das Treburer Publikum jedoch nicht vom kräftigen Feiern ab. Der im wahrsten Sinne des Wortes ruhigste Auftritt des Tages kommt später von HOPE, denen es leider ein wenig an Lautstärke fehlt. Aus diesem Grund ist es hier leicht, das Geschehen als Hintergrundmusik abzustempeln. Richtig ist es jedoch, zu betonen, dass die Gruppe auf spannende Art und Weise mit Synthelementen, Samples und verhallten Gitarren arbeitet. Wenn dieser zu hören ist, ist der Gesang Christine Börsch-Supans gleichermaßen einladend und rau (siehe Drop Your Knives).
Jedenfalls wirkt das Geschehen wesentlich authentischer als beim Headliner des Abends: Die Pop-Veteranen Mia. (ja, es gibt sie noch) stützen sich auf fette Beats, magere Hooks und braves Fernsehgartengeklatsche eines sonst eher stillstehenden Publikums. Die Band hat sichtlich Spaß auf der Bühne, und Frontfrau Mieze Katz grinst bis über beide Wangen. Die nach vorne lenkenden Lieder Verrückt oder Mausen nutzen stumpfe Beats aus, damit auch jeder tanzt (!). Leider ist bei Tanz der Moleküle nicht viel von Bewegung zu sehen, und dass der Hit schlecht gealtert ist, muss man nicht erklären. Der Rest des Sets hinkt an zwei wichtigen Punkten, nämlich der Tatsache, dass fast niemand auch nur einen Song richtig kennt und, dass die durchproduzierten elektronischen Tracks leider das durchschnittliche Songwriting nicht überschatten können. Schade, ‚o sole Mia. Der wahre Headliner des Tages ist anschließend Jamie Lenman. Nur zu zweit bringen der freundliche Engländer und sein Kumpane – mit roten Hosenträgern gebührend dem neuen Album Shuffle – eine enorme Wucht auf die kleine Haselnussbühne, was bei Hell in a fast car beginnt und mit Mississippi aufhört. Die 50 Minuten sind gefüllt von Lenmans Deutschkenntnissen, die er häufig zum besten gibt („fantastisch, wunderbar, das war sehr gut,“ …), große Ansagen bleiben aber außen vor. Wieso auch? Wer Jamie Lenman live erlebt, hat auch so genug Spaß. Es dauert nur wenige Minuten, bis der erste Pogopit ausbricht, und neben seinen eigenen Liedern auch altes Material seiner Ex-Band Reuben abgefeiert wird. Der Höhepunkt des Auftritts ist das aufgedrehte, kurze Popeye, bei dem beide Mitglieder ihre Instrumente in hastigen Breakdowns musikalisch zermetzeln. Weltklasse ist das nicht nur für alte Fans, sondern auch neue Zuschauer, die den Auftritt mit tosendem Applaus beehren.
Im Anschluss knüpfen weiterhin The Baboon Show als auch Elfmorgen mit zwei starken Shows an. The Baboon Show überzeugen mit einem Feuerwerk aus Grunge, Folk und wunderbar kratzigem Gesang, das in Same Old Same Old seinen Zenit findet. Elfmorgen beenden den Freitag ungewöhnlicherweise, statt das Festival abzuschließen. Auch ihr Auftritt wird von den bereits eingefleischten Elfmorgen Fans trotz leider miserablem Sound extrem abgefeiert. Doch die Show von Elfmorgen lebt sowieso von der Liveenergie und dem Spaßfaktor, die die Gruppe allemal an den Tag legen (Kapitän).
Der britische Singer-Songwriter Keir samt Band legen ein unfassbar mitreißendes Konzert hin. Jeder Sekunde ist ein Vergnügen. Es ist elektrisch zitternder Pop, gepaart mit souligen Elementen und einer Stimme, die in schwindelerregende Höhen kommt. Dieser androgyne Künstler bringt eine unverwechselbaren Stil und Energie auf die Bühne. Großes können wir von ihm erwarten, er hat es in sich. Einzig an seiner Performance muss er noch feilen. An wilden Drehungen und Tanzschritten erfreuen wir uns sehr, doch zieht er seine Jacke gefühlte 64 Mal an- und – zu performativen Zwecken auch gerne theatralisch im wilden Bogen – aus.
Im Vergleich dazu wirken Therapy?, die ihre besten Jahre in den 90ern erlebten, wie eine eingerostete Bande Iren, die es nicht mehr schaffen einen souveränen Eindruck auf das Publikum zu machen.Es kommt direkt zu einem Ausfall der Technik, sobald der erste Auftakt erklingt. Das ist natürlich nicht die Schuld der Band, doch dieser unglückliche Zufall nimmt der Band samt Publikum direkt allen Wind aus den Tönen. Die Menge lichtet sich nach wenigen Minuten, denn es ist einfach nicht wirklich berauschend, was sich da auf der Hauptbühne ereignet. Irgendwie improvisiert, aber nicht auf die gute Weise.
Die Nacht auf dem Zeltplatz wird jäh unterbrochen, laute Durchsagen erschallen. Die Evakuierung treibt Füße durch den Matsch in Richtung Parkplatz oder Turnhalle. Nach zwei Stunden wird der Acker wieder geöffnet.
Gern gesehene Gäste des Trebur Open Airs sind Fjørt. Das Trio aus Aachen zählte bereits 2016 zum Line-up des Festivals, statt der damals aktuellen Platte Kontakt trägt das aktuellste Werk der Post-Hardcore-Gruppe mittlerweile den Titel Couleur. Während 22 Monate nach Erscheinen von Kontakt bereits Couleur das Licht der Welt erblickt hat, ist 20 Monate nach der Veröffentlichung des dritten Albums noch kein Nachfolger in Sicht. Fjørt müssen es aber auch nicht so eilig haben, schließlich haben sie mit Couleur den vorläufigen Höhepunkt ihres Schaffens erreicht. Das schlägt sich auch in der Auswahl der heutigen Setlist nieder, welche nach einem drückenden Riff mit dem mächtigen Eden beginnt und durch den Kontakt-Track Lichterloh abgeschlossen wird. Dazwischen gibt es viele Höhepunkte wie den Anti-Nazi-Brecher Paroli, die leicht umgewandelte Version von Couleursowie das stampfende Südwärts. Ummantelt wird der stürmische Post-Hardcore der Westfalen durch politische und gesellschaftskritische Ansagen von Bassist David Frings, der kurz zuvor noch mit Adam Angst auf der Bühne gestanden hat. So eindringlich und wuchtig wie Fjørt sprechen nur wenige deutschsprachige Bands die Probleme in unserem Land an, weswegen Album Nummer vier nicht schnell genug kommen kann.
Some Sprouts aus Regensburg bringen uns guten Indierock aus dem Süden. Der Sound erinnert an Vampire Weekend, mit dominanter E-Gitarre und einer Stimme, die auf Englisch ihre Liebe beteuert. Jugendlich unverbraucht und doch nicht naiv, sondern tanzbar und leichtfüßig. Some Sprouts sind ganz klar Teil einer jungen Generation deutscher Indiebands, die dieses Genre neu für sich definieren.
Die Headliner FIL BO RIVA sind fantastisch. Immer, wenn man denkt, es könne nicht besser werden, kommt der nächste Song. Die musikalische Umsetzung ist makellos, ohne dabei steril zu werden. Von den vielen englischsprachigen Indie-Bands unterscheiden sie sich vor allem durch Qualität. So simpel dieses Rezept „Sie können’s halt einfach“ klingen mag, es stimmt. FIL BO RIVA sind so auf einer musikalischen Wellenlänge, als ob sie seit Jahren gemeinsam meditieren und musizieren würden. Ganz besonders ist auch, dass die Konzerte auf der Hauptbühne am Sonntag durch die Dolmetscherin Laura M. Schwengber in Gebärdensprache übersetzt werden. Musik auch für Gehörlose erlebbar zu machen, ist das diesjährige Ziel.
Moop Mama kennt man, da sie gefühlt auf jeder Festivalbühne des Landes, die etwas auf sich hält, standen. Kein müde herumlungerndes Paar Füße kann ruhig bleiben, früher oder später hüpfen sie. Mit solider Festivalarbeit liefert die zehnköpfige köpfige Band aus München ab. Sie bieten musikalisch den perfekten Abschluss, um dieses Wochenende zu besiegeln.
Der wehmütige Blick schweift noch ein letztes Mal über alle Stände und Bühnen. Der Geruch nach Schwimmbad und Feld begleitet uns noch ein wenig weiter. Das TOA hat es mal wieder geschafft, ein kleines Universum über ein Wochenende zu erschaffen. Voller berauschender Künstler und mit einem wunderbaren Konzept. Ein Festival und ein Schwimmbad sind einfach eine göttliche Kombination. Für viele ist das Treber Open Air eine Herzensangelegenheit und das fühlt man auch. Lieben Dank, an alle ehrenamtlichen Mitwirkenden, die arbeiten, während wir feiern!
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Alex Loeb und Jonathan Schütz entstanden.
© Fotos von Valentin Krach