Review: Thees Uhlmann – Junkies & Scientologen

Er hat fünf Jahre nicht gesungen und ist jetzt wieder da. Achtung, Spoiler: Das Warten hat sich gelohnt.

Thees Uhlmanns drittes Album war kein Selbstläufer. Sechs Jahre und eine bereits fertige, dann wieder verworfene Platte liegen zwischen #2 und Junkies und Scientologen, dessen konkreter Titel nach dem selbstbetitelten Debüt und dem schlicht #2 benannten Nachfolger nicht den einzigen Unterschied zu seinen beiden bisherigen Soloplatten darstellt. Er hat eine neue Band um sich geschart, zu der unter anderem Tomte-Keyboarder Simon Frontzek zählt. Auch Songtitel wie  Menschen ohne Angst wissen nicht wie man singt oder Immer wenn ich an dich denke, stirbt etwas in mir klingen mehr nach Tomte, als nach seinem Soloprojekt.

Seine musikalische Abstinenz lässt er in der an Foreigners Cold As Ice erinnernden Vorabsingle Ich habe fünf Jahre nicht gesungen Revue passieren. Da Schicksalsschläge auch vor deutschen Indie-Helden nicht Halt machen, handelt der Song ebenso vom Tod, einer zerbrochenen Beziehung und der Erkenntnis „Menschen wie ich bleiben besser allein“. Hemmoor bleibt Hemmoor und das Leben ist kein „Highway, sondern die B73“, auch Todesstraße genannt.
Das Private nach außen zu kehren, ohne dabei auf Sicherheitsabstand zum Hörer zu achten, ist bei Uhlmann, egal ob mit Tomte oder solo, Normalität. Während das Persönliche seines Solo-Debüts sich dadurch kennzeichnete, dass er hauptsächlich von sich sang, seiner Herkunft, seinem Aufwachsen, steht Junkies und Scientologen mit beiden Füßen im Hier und Jetzt. Uhlmann verknüpft seine persönlichen Gefühlswelten mit der popkulturellen Gegenwart, so bittet er Katy Perry zu seinem Label Grand Hotel Van Cleef zu kommen, erwähnt im selben Song Labelmitbegründer und Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch oder trauert in Avicii um den gleichnamigen schwedischen Electro-DJ, der 2018 verstarb.

Junkies und Scientologen ist ein in zwölf Kapitel eingeteilter Liebesbrief. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser an das Leben allgemein, die Rockmusik (100.000 Songs), Katrin Bauerfeind (Fünf Jahre nicht gesungen), Stephen King (Danke für die Angst) oder seinen Manager Rainer Ott (Junkies & Scientologen) adressiert ist. Im Titeltrack nimmt er vom Junkie über das Mädchen im Ramones-Shirt bis zum Vegetarier küssenden Schlachter alle in den Arm, die sich irgendwie verloren fühlen.
„Wenn Liebe ein Verbrechen ist/ stell mich vor Gericht“ (Immer wenn ich an dich denke, stirbt etwas in mir) mag ein bisschen zu viel des Gutes sein, aber was wäre das Leben ohne Liebe und ein Liebesbrief ohne Kitsch?
Wichtiger sind ohnehin kleine Wahrheiten wie „Das Leben ist vielleicht die Summe aus verpassten Chancen“ oder Ich bin der Fahrer, der die Mädchen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt, in dem Uhlmann seine Storytelling-Fähigkeiten unter Beweis stellt und nebenbei den Scheinwerfer auf die aufgepumpte, misogyne Deutschrap-Szene richtet.

Junkies und Scientologen ist ein Gitarrenalbum geworden, was keineswegs eine Rückkehr zum Schrammel-Indie von Tomte bedeutet, sondern eben nur, dass der Gitarre in den zwölf Songs eine Schlüsselposition zukommt: In nahezu allen Tracks fungiert sie als entscheidendes Motiv und sorgt in Avicii für „das beste Gitarrenriff der letzten 5 Jahre“ (Uhlmann). Die musikalische Detailverliebtheit, die man den Songs durchaus anhört, und der Trompeten-Gastauftritt von Sven Regener in Ein Satellit sendet leise können nicht darüber hinweg täuschen, dass der große Überraschungsmoment auf musikalischer Ebene ausbleibt. Bei einer textlich so gefühl- wie liebevollen, Hoffnung beschwörenden Platte, dessen Hören sich alleine schon wegen der letzten sieben Zeilen von Menschen ohne Angst, wissen nicht wie man singt lohnt, kann darüber getrost hinweggesehen werden.

Junkies & Scientologen

Label: Grand Hotel van Cleef/Indigo
VÖ: 20.09.2019

Genre: Indierock, Singer/Songwriter

Vergleichbar:
Kettcar – Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen
Element Of Crime – Mittelpunkt der Welt

Wertung:
11/15