Review: Frank Turner – No Man‘s Land

Erst vor 15 Monaten probierte sich Frank Turner mit seinem siebten Album Be More Kind am Pop. Eigentlich wollte der Singer/Songwriter als Nachfolger von Positive Songs For Negative People ein Konzeptalbum über vergessene Frauen der Geschichte veröffentlichen – dieses reicht der Brite nun nach.

Normalerweise nutzen Künstler sämtlicher Genres Konzerte vor der unmittelbaren Veröffentlichung einer neuen Platte als wichtige Promotion-Plattform – nicht aber Frank Turner. Weder integriert er bei seiner OpenAir-Doppel-Headliner-Show mit Muff Potter im Wiesbadener Kulturpark als auch bei Festivalauftritten wie auf dem Rocco del Schlacko einen der 13 neuen Songs in seinem Set, noch erwähnt er No Man’s Land bei einer seiner zahlreichen Ansagen. Dafür hat sich Turner eine andere Veröffentlichungsstrategie überlegt: Seit Anfang Juli veröffentlicht er wöchentlich einen neuen Song aus dem Album, jeweils begleitet von einer eigenen Podcast-Folge, die allesamt unter dem Titel Tales From No Man’s Land erscheinen und den Songs zahlreiche Hintergrundinfos beiheften.

Auf seinem achten Album zeigt sich Turner aber nicht nur aufgrund der Songinhalte als Feminist. Anstatt mit seiner Begleitband The Sleeping Souls aufzunehmen, greift er stattdessen auf eine komplett weibliche Besetzung zurück, mit der er nach dem poppigen Be More Kind zwar wieder mehr zu seinem folkigen Singer/Songwriter-Punk zurückkehrt, aber auch Raum für Experimente lässt. Dabei passt Turner seinen Sound auch den Geschichten an, die er erzählt. Nica und die Geschichte von der jazzbegeisterten Nica Rothschild, die in der Free-French-Bewegung des Zweiten Weltkrieges gekämpft hat, ist in leisem Jazz eingebettet, die erste Single-Auskopplung Sister Rosetta integriert sogar Gitarrenspuren von der besungenen Rosetta Tharpe, die als ,,Godmother Of Rock’n’Roll“ bekannt ist.

Zudem besinnt sich Turner nicht nur auf die mitteleuropäische und amerikanische Kultur, sondern erzählt auch die Geschichten der byzantinischen Prinzessin Kassiani (The Hymn Of Kassiani) und der ägyptischen Feministin Huda Sha’arawi (The Lioness). Für das finale Rosemary Jane hat Turner dagegen nicht die Geschichtsbücher aufgeschlagen, sondern errichtet seiner Mutter, die jahrelang unter emotionalem Missbrauch von Turners Vater gelitten hat, ein musikalisches Denkmal: ,,It’s Mothering Sunday, and the headlines should say/ That we’ll never forget it, the remarkable way/ That you took all that pain on your shoulders/ And put it away, sweet Rosemary Jane“. No Man’s Land ist zwar nicht Turners mitreißendstes Album, dafür aber sein bislang wichtigstes Statement in gesellschaftlichen Zeiten, in denen Frauen in vielen Ländern noch immer keine vollwertige Gleichberechtigung erfahren.

No Man's Land

Label: Xtra Mile Recordings/Polydor Records
VÖ: 16.08.2019

Genre: Singer/Songwriter, Folkpunk

Vergleichbar:
Dave Hause – Kick
Tim Vantol – Burning Desires

Wertung:
11/15