Livereview: Stick To Your Guns + Support, Palladium Köln, 16.11.2019

Eine Hardcore-Show mit LED-Leinwänden, Konfettikanonen und weit über 3.000 Besuchern? Was sich nach einem feuchten Traum zahlreicher Kiddies in viel zu weiten Sporthosen und viel zu großen Tunneln anhört, wurde am vergangenen Samstag im prall gefüllten Kölner Palladium Realität.

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Für die zwei bislang größten Konzerte der 16-jährigen Karriere von Stick To Your Guns (das Zweite folgt am 23.11. im Leipziger Haus Auensee) war viel logistische Arbeit notwendig, denn die Vorgruppen Rotting OutDeez Nuts und Lionheart befinden sich eigentlich aktuell auf zwei verschiedenen Tourneen. Während Erstgenannte für ungefähr eine Woche zusammen mit Broken Teeth Europa abgrasen, sind Zweit- und Drittgenannte insgesamt zwei Wochen mit Kublai Khan, Obey The Brave und Fallbrawl in Europa unterwegs. Während Deez Nuts und Lionheart ihre neuen Alben erstmalig live in Europa präsentieren, haben Rotting Out ihr bislang letztes Album 2013 veröffentlicht. Deez Nuts haben seitdem ganze vier Platten auf den Markt gebracht, das aktuellste You Got Me Fucked Up erst Mitte Oktober. Folgerichtig liegt der Fokus der etwa 45-minütigen Show mit jeweils vier Songs auf dem mittlerweile sechsten Album der Band sowie dem 2008 veröffentlichten Debütalbum Stay True. Frontmann JJ Peters huscht wie eh und je mit Basecap und Hoodie über die Bühne, während er gezielt über den Hardcore Punk seiner Bandkollegen rappt. Damit haben sich die Australier in den vergangenen Jahren ein beachtenswertes Fanlager erspielt, wovon heute Abend natürlich auch einige Mitglieder anwesend sind, was man wunderbar an der hohen Tonfrequenz während Songs wie Band Of Brothers oder I Hustle Everyday feststellen kann.

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Während Stick To Your Guns insbesondere seit der Veröffentlichung ihres dritten Albums The Hope Division und dem dazugehörigen Song Amber stetigen Wachstum verzeichnen konnten, mussten sich Lionheart zwischendurch einmal auflösen, um dort anzukommen, wo sie heute stehen. Seit der Reunion Mitte 2017 hat das US-Quintett zwei Alben veröffentlicht, das neueste Valley Of Death erst einen Tag vor der heutigen Show. Ihren ebenfalls rund 45-minütigen Auftritt eröffnen Lionheart mit Cali Stomp und Vultures, danach folgen mit dem Titeltrack und Burn auch zwei Songs der neuen Platte. Diese beinhaltet auch den vorab veröffentlichten Song Rock Bottom mit Stick-To-Your-Guns-Frontmann Jesse Barnett, den Lionheart auch in dieser Version in der Mitte ihres Sets auf die Bühne bringen. Deez-Nuts-Sänger JJ Peters hüpft dagegen am Ende nochmal für ein kurzes Feature auf die Bühne. Vorher gibt es mit Du hast (Rammstein) und Fight For Your Right (Beastie Boys) zwei eher missglückte Cover, die wie der gesamte Auftritt offenlegen, dass der Hardcore von Lionheart mehr für den Kraftsport als für eine Therapie geeignet ist.

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2009 haben Stick To Your Guns ihre ersten Konzerte auf dem europäischen Festland gespielt, zehn Jahre später spielen sie zwei Shows von überdimensionalem Ausmaß für eine Hardcore-Band, die die beachtliche Karriere der Band würdigen und zeitgleich die Hardcore-Kultur zelebrieren sollen. Wie zuvor erwähnt, ist das Quintett aus Kalifornien mit jedem neuen Album, das es in diesem Jahrzehnt veröffentlicht hat, weiter gewachsen. Insbesondere 2017 und durch das sechste und vielleicht bis dato beste Album True View kamen neue Fans in Scharen. Von daher ist es mehr als logisch, dass Stick To Your Guns bei der Zusammenstellung der heutigen Setlist auf ihre ersten beiden Alben verzichtet haben. Bevor der fünfte Song und True View-Opener 3 Feet From Peace das Bühnenbild freigibt, gibt es zuvor nur Songs aus Diamond auf die Ohren, die das Publikum mit blanker Moshpit-Energie quittiert. Schon der Opener Against Them All verdeutlicht allerdings auch, dass es heute und generell bei Stick To Your Guns auch um das Gemeinschaftsgefühl geht und niemand im Regen stehen gelassen wird.

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Ist das Bühnenbild einmal enthüllt, so nutzen Stick To Your Guns die angebrachte LED-Leinwand für das Abspielen zusammengeschnittener Videos, sei es für politische Lyrics (What Choice Did You Give Us?) oder ungemein knuffige Hunde-Aufnahmen (Nothing You Can Do To Me). Zu Letzterem darf auch noch einmal Rotting-Out-Frontmann Walter Delgado die Bühne betreten, um sein Feature in der zweiten Strophe des Songs darzubieten. Kurz zuvor wird am Beginn des „Love Songs“ Married To The Noise außerdem zum ersten Mal am heutigen Abend Konfetti durch das Kölner Veranstaltungszentrum gewirbelt. Dass es diesen ganzen Schnickschnack nicht unbedingt benötigt, verdeutlicht Bringing You Down, in dem durch viele kleine Lämpchen schlicht das Wort „F U C K“ hinter den Bandmitgliedern von Stick To Your Guns erstrahlt. Nach dem dramatischen The Suspend verlässt die Band erstmals die Bühne und nur Frontmann Jesse Barnett taucht kurze Zeit später beim FOH für eine kurze Akustik-Session mit einer Akustikgitarre auf. Neben The Reach For Me: Forgiveness Of Self und 56 spielt Barnett auch The Crown in einer reduzierten Version und benötigt für diesen Song nach einem kurzen Text-Aussetzer zu Beginn die Hilfe seiner Fans, fängt sich aber sofort wieder. Was Barnett zuvor an längeren Reden gespart hat, holt er in diesem Show-Block nach – zuungunsten des bisherigen Flows. Wieder auf der Bühne angekommen, schießt zu Amber noch einmal Konfetti in die Luft. Was bei Married To The Noise noch sinnvoll erschien, wirkt hier nun etwas deplatziert. Diesen kleinen Fauxpas machen Stick To Your Guns mit den Zugaben Such Pain und Nobody (inklusive herabprasselndem Feuerregen) dagegen wieder wett und verlassen nach etwas mehr als 75 Minuten unter tosendem Applaus die Bühne des Kölner Palladiums.

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Das war sie also, die bislang größte Headline-Show von Stick To Your Guns. Mit einer für Hardcore-Verhältnisse sehr gut ausgeklügelten Bühnenshow hat die Gruppe ihrer Musik eine sinnvolle audiovisuelle Komponente hinzugefügt, die nur in einzelnen Momenten etwas zu viel des Guten gewesen ist. Dank einer weitaus längeren Spielzeit als bislang üblich, hat die Band zudem ihre zahlreichen „Hits“ problemlos unterbringen können. 2020 wird uns definitiv ein neues Stick-To-Your-Guns-Album erwarten, die zugehörige Headline-Tour darf die hierzulande derzeit erfolgreichste Hardcore-Band gerne wieder in etwas intimere Venues führen.

© Fotos von Valentin Krach