Nicht nur für die heute im Wiesbadener Schlachthof auftretenden Bands, sondern auch für viele im Publikum dürften die Shows von Northlane, Polaris und Void Of Vision das letzte Konzert in diesem Jahr darstellen. Von vorweihnachtlicher Besinnlichkeit fehlt allerdings jede Spur.
Als das Tour-Paket am 22. November losgerollt ist, war mit Silent Planet eine weitere Core-Band an Bord, die nur wenige Tage später die Tour wieder verließ. Grund dafür waren heftige Depressionen bei Frontmann Garrett Russell, wegen denen er sich unmittelbar in Therapie begeben hat. Einen Ersatz konnten oder wollten die verbliebenen Bands nicht verpflichten, weswegen der letzte Abschnitt der „Alien World Tour“ mit drei anstelle von vier Bands weiterrollte. Der eher undankbare Opener-Slot entfällt auf die hierzulande noch eher unbekannten Void Of Vision, die wie Polaris und die Headliner Northlane aus Australien stammen, und mit ihrer Mischung aus eher stumpfem Djent und melodischem Metalcore nur auf wenig Anklang im Publikum stoßen. Neben dem markerschütternden Geschrei von Frontmann Jack Bergin fällt der Klargesang von Gitarrist James McKendrick deutlich ab und wirkt phasenweise ziemlich unsauber, was eher für Stirnrunzeln anstelle von Begeisterungsstürmen im Publikum sorgt. Deutlich besser funktioniert die Mixtur dagegen auf dem zweiten Album Hyperdaze, welches das Quartett im September veröffentlicht hat. Aus diesem präsentieren Void Of Vision fünf Songs, während das Debütalbum Children Of Chrome überraschenderweise komplett außen vor gelassen wird.
Seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums The Mortal Coil 2017 haben Polaris einen rasanten Aufstieg erlebt. Vor allem 2019 dürfte ein einziges Highlight für das Quintett gewesen sein: Europa-Tour mit Beartooth und Architects, zahlreiche Slots auf größeren europäischen Festivals im Sommer und zum Jahresabschluss eine weitere Europa-Tour im Vorprogramm von Northlane, was sich phasenweise wie eine eigene Headliner-Tour angefühlt haben dürfte, wenn man die hohe Moshpit-Dichte vor der Bühne betrachtet. Mit dem Anfang November veröffentlichten Masochist und dem noch unveröffentlichten Hypermania präsentieren Polaris zudem zwei Songs ihres kommenden zweiten Albums The Death Of Me (VÖ: 21. Februar) live, die zeigen, dass Polaris seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums an Songwriting-Qualität hinzugewonnen haben und wissen, an welcher Stelle ein eingängiger Refrain am besten funktioniert und wann es Zeit für einen harten Breakdown ist. Aufgelockert wird der 40-minütige Auftritt von einem kurzen Cameo-Auftritt von Northlane-Frontmann Marcus Bridge und -Gitarrist Josh Smith während der kurzen Pause zwischen zwei Songs. Bridge bleibt allerdings leider nicht auf der Bühne, um mit Polaris den gemeinsamen Song Hold You Under von der 2016er EP The Guilt & The Grief zu performen.
Seit ihrer Gründung 2009 haben Northlane zwei markante Besetzungswechsel hinter sich: Bridge folgte 2014 auf den bisherigen Frontmann Adrian Fitipaldes, was einen enormen Qualitätsanstieg zur Folge hatte und vergangenes Jahr ersetzte Brendon Padjasek den Bassisten und ebenfalls Gründungsmitglied Alex Milovic. Das zieht wiederum nach sich, dass Bridge durch Padjasek leichte Unterstützung beim Meistern verschiedener Gesangsparts erhält. So ist es auch der Bassist, der das brutale Vultures mit einem gutturalen Schrei einleitet. Aus dem Kapitel mit Fitipaldes spielen Northlane auf der aktuellen Tour lediglich noch Quantum Flux als abschließenden Song live, ansonsten sind 13 der 14 gespielten Songs seit 2015 erschienen und vom aktuellen und im August erschienenen Album Alien gibt es gleich neun Songs live zu hören. Mit Songs wie 4D empfehlen sich Northlane auch live für den Posten als Cyberpunk-Kapelle, während Freefall mit seinem mitreißenden Refrain die Unterstützung des Publikums benötigt und diese nach Aufforderung von Bridge auch erhält.
Im Gegensatz zum Auftritt von Polaris besteht die heute verkleinerte Halle des Schlachthofs bei der Show von Northlane nicht nur aus einem einzigen großen Moshpit, vielmehr bestechen Northlane immer wieder dadurch, dass man ihnen auch einfach gerne zuhört und das Lichtshow-Spektakel betrachtet. Dazukommt ein bestechender Live-Sound, der zudem all die elektronischen Nuancen beinhaltet, die Northlane in ihrem Sound integrieren. Höhepunkt ist definitiv die Single Bloodline, bei der fast alle Besucher den düsteren Refrain auswendig mitsingen können. Anschließend gibt es mit der ersten Zugabe Sleepless eine kurze Verschnaufpause, bevor wie eingangs erwähnt Quantum Flux ein erstklassiges Konzert beschließt und Polaris-Gitarrist Ryan Siew für das Ende des Songs den Part von Northlane-Gitarrist Josh Smith übernimmt, damit dieser ein letztes Bad auf den Händen der Menge genießen kann, bevor für viele das letzte Konzert in diesem Jahr beendet ist.
© Fotos von Joshua Lehmann