Review: Dizzy – The Sun And Her Scorch

Die kanadische Band Dizzy bringt mit ihrem Album The Sun And Her Scorch eine Ode an das Leben als junge Erwachsene heraus. In ihren Texten widmen sich Dizzy der Erkundung von Emotionen, Gedanken und Verhaltensweisen, die viele von uns vermutlich schon einmal erlebt haben, auf die aber wohl kaum jemand wirklich stolz ist: Es geht um Eifersucht auf Freund*innen, das Gefühl des Zurückbleibens in der Heimatstadt, nachdem die meisten anderen bereits weggezogen sind oder auch die Zerrissenheit zwischen Selbstakzeptanz und Selbsthass. Mit ihrem zweiten Album wagen die Kanadier*innen erneut den Spagat zwischen der ungefilterten Offenlegung ihrer persönlichen Gefühlswelten, eingepackt in eingängige Dreampop-Melodien, und der Schaffung eines hohen Identifikationspotenzials mit ihren Songs – besonders für jüngere Hörer*innen.

Knapp zwei Jahre nach ihrem Debütalbum Baby Teeth bringen Dizzy – bestehend aus dem Brüdertrio Alex, Mackenzie und Charlie Spencer sowie Frontfrau Katie Munshaw – dessen Nachfolger The Sun And Her Scorch heraus. Ging es auf dem Debüt noch hauptsächlich um das Erwachsenwerden im suburbanen Raum und die unmittelbare Zeit nach der Pubertät, widmet sich der neueste Tonträger der aus Oshawa (Ontario, Kanada) stammenden Band der nächsten Phase im Leben junger Erwachsener: den frühen Zwanzigern. In insgesamt elf Songs besingt Katie Munshaw eine intensive, emotionale Selbstreflektion, wie sie wohl viele Menschen als junge Erwachsene durchleben. Über die Thematik des Albums sagt sie: „Baby Teeth was all about the confusion and sadness of my late teens, but this one is more about the qualities about myself that I’m not very proud of.”

In ihren Texten verarbeiten Dizzy Gefühle wie Unsicherheit, Groll und Angst vor dem Versagen. Es geht oft um persönliche Erfahrungen der Bandmitglieder: So beschreibt der Song The Magician beispielsweise den Umgang mit dem Tod einer Freundin Munshaws und ihren naiven Wunsch, diese durch Zauberkraft zu sich zurückholen zu können. Die Single Sunflower erzählt vom Hin- und Herschlittern zwischen Selbstakzeptanz und Selbsthass – und widmet sich damit einem mehr als präsenten Thema im Leben vieler junger Erwachsener. In Lefty geht es um eine Beziehung zwischen Romantik und der zweifelhaften Abhängigkeit voneinander.  Ein weiteres Thema, das sich bereits seit Baby Teeth durch die Songs der Band zieht ist das Leben in der Vorstadt. Auf The Sun And her Scorch begegnet uns diese Thematik im Song Roman Candles: „Roman Candles is me crooning about my friends who moved away while I’m still living in my mom’s house, and wondering if I’ve made the right decisions in my life”, sagt Munshaw über diesen Track. Sehr zu empfehlen ist übrigens auch das zugehörige Video zum Song, was sich in Teilen (hauptsächlich aufgrund von Munshaws Tanzperformance) wie eine Reminiszenz auf Wuthering Heights von Kate Bush schaut:

Den Entstehungsprozess von The Sun And Her Scorch beschreibt die Band selbst als „totally challenging and completely rewarding“ – eine Phrase, die auch den Prozess der (Selbst-) Reflexion, der thematischer Ankerpunkt des Albums ist, beschreiben könnte. Der Sound weist leichte Veränderungen und Weiterentwicklungen auf: The Sun And Her Scorch wirkt etwas konzeptioneller als sein Vorgänger. So wird der Tonträger vom Song Worms quasi ummantelt – er dient hier sowohl als Intro als auch als Outro des Albums. Aufgenommen wurde das Album teils in den Mechanicland-Studios in Quebec, teils im Keller von Munshaws Mutter. Als Produzent war Craig Silvey (Arcade Fire, Florence + The Machine) mit von der Partie. Insgesamt fühlt sich die Entwicklung der Band von Debüt zum nun erscheinenden zweiten Album sehr organisch an – sowohl thematisch als auch musikalisch.

Dizzy wagen mit ihrem zweiten Album erneut den Spagat zwischen der Verarbeitung zutiefst persönlicher gleichzeitig aber (besonders für die Zielgruppe der jungen Erwachsenen) auch ziemlich universeller Themen. Die gute Nachricht ist: der Spagat gelingt. Zum zweiten Mal. The Sun And Her Scorch hört sich leicht und überzeugt vor allem durch seine Eingängigkeit. Obwohl die Themen der Songs alles andere als neu sind, versehen Dizzy diese mit einem hohen Maß an Sensibilität und roher Ehrlichkeit, die einer drohenden Austauschbarkeit erfolgreich entgegenwirken. Trotzdem wären in Zukunft ein wenig mehr Experimentierfreude und Entwicklung wünschenswert – musikalisch als auch lyrisch.

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Label: Royal Mountain Records
VÖ: 31.07.2020

Genre: Indie, Dreampop

Vergleichbar:
Waxahatchee – Saint Cloud
HAIM – Something To Tell You

Wertung:
10/15