Review: Northlane – Obsidian

Northlane setzen den auf Alien eingeschlagenen Weg auf ihrem sechsten Album Obsidian fort und werden endgültig zur Rave-Metal-Band.

Diese Bezeichnung lässt unweigerlich an Electric Callboy denken, die mittlerweile wie eine Metal-Inkarnation von Scooter klingen. Doch bei Northlane geht es um viel mehr als die Befriedigung von Rausch- und Partybedürfnissen. Steckte die Kreuzung vom bekannten Metalcore-Sound der Australier mit EDM-Elementen auf Alien noch in Kinderschuhen, ist dieser Genre-Mix auf Obsidian nun ausgereift. Um möglichst tief in elektronische Klangflächen einzutauchen, nehmen sich Northlane so viel Zeit wie noch nie: mit einer Lauflänge von 56 Minuten ist das nach einem vulkanischen Gesteinsglas benannte Album ihre mit Abstand bislang längste Platte. Wie schon im Vorfeld von Alien gab es auch dieses Mal eine Veränderung in der Besetzung der Band. Hatte der langjährige Bassist Alex Milovic die Band 2018 verlassen, ist im vergangenen Jahr sein Nachfolger Brendon Padjasek wieder ausgestiegen. Anstatt die Stelle neu zu besetzen, machen Northlane als Quartett weiter und Gitarrist Jon Deiley spielt den Bass im Studio ein.

Gleichzeitig ist Obsidian das erste Album der Band aus Sydney, das sie in Eigenregie veröffentlicht. Es scheint, als hätte dieser Schritt bei Northlane so viel Kreativität wie noch nie entfesselt. Der Opener Clarity steigt mit luftigen Synthesizern und gehauchtem Gesang von Marcus Bridge ein, bevor nach anderthalb Minuten Djent-Gitarren das Zepter übernehmen. Im bislang längsten Song der Bandgeschichte halten sich metallische und elektronische Klänge im Verlauf der weiteren vier Minuten stellvertretend für den Rest des Albums die Waage. Die anschließende Single Clockwork zieht mit Cyberpunk-Synthesizern als Hit der Platte in den Matrix-Club, während Echo Chamber zu Beginn sogar stark nach Deep House klingt, bevor im schweren und harten Finale davon fast keine Spur mehr übrig ist. In Abomination gewinnt in der Bridge sogar bollernder Techno die Oberhand, während sich Is This A Test dreieinhalb Minuten lang einzig und allein auf seinen Groove stützt. Nach dem ebenfalls ravigen Cypher drückt Nova an zehnter Stelle auf die Bremse. Die atmosphärische Synthie-Ballade erinnert am ehesten an die poppigsten Linkin-Park-Momente und zählt sicherlich zu den schwächeren Songs auf Obsidian, funktioniert aufgrund des unveränderten Soundbilds aber dennoch im Albumkontext und weil Marcus Bridge wieder einmal beweist, was für ein guter Sänger in ihm steckt.

Eine rein elektronische Platte ist Obsidian aber bei Weitem nicht. Zwar stützen sich Northlane in jedem Song auf ein anderes elektronisches Fundament und Bridge singt gefühlt so viel wie nie zuvor, aber neben den bereits erwähnten Songs ClarityEcho Chamber und Cypher lässt sich auch zu PlentyXen sowie dem Titeltrack gut im Kreis herumspringen. Darüber hinaus verdeutlichen die Texte von Obsidian den Anspruch dieser Band: nachdem Marcus Bridge auf Alien vom Aufwachsen als Kind drogenabhängiger Eltern erzählt hatte, kanalisiert er nun seine Verzweiflung über den Zustand der Welt. Obsidian wird die Geister scheiden wie kein Northlane-Album zuvor, gleichzeitig schwimmen sich die Australier mit ihrem sechsten Album endgültig frei. Das ist sicherlich ein gutes Stück zu lang, besitzt aber zugleich einen tollen Fluss und eine düster-futuristische Atmosphäre. Wer hätte gedacht, dass Northlane Groove Metal einen so erfrischenden Anstrich geben würden?

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Label: Believe/Soulfood
VÖ: 22.04.2022

Genre: Metalcore, Electro, Nu Metal

Vergleichbar:
Spiritbox – Eternal Blue
Kingdom Of Giants – Passenger

Wertung:
11/15