Mit Shane MacGowan im musikalischen Stammbaum und dem Wissen, wie man Dringlichkeit erzeugt, ohne schreien zu müssen, manifestieren Fontaines D.C. ihren Status als eine der aktuell besten Post-Punk-Bands.
In Momenten, in denen Idles auf Noise-Attacken zurückgreifen, um aufzurütteln, werden die fünf Iren sanft und nachdenklich. Das war auf dem Debüt Dogrel (2019) so, auf A Hero’s Death (2020), und ist auch auf Skinty Fia so geblieben, auf dem flirrende Nervösität wie Boys In A Better Land eher die Ausnahme als die Regel ist. Stattdessen: Melancholie als beste Waffe und das Hitpotential von The Smiths, etwa im tollen Jackie Down The Line. Post-Punk bedeutet eben auch, dass das mit Punk nichts mehr zu tun haben muss. The Couple Across The Way reicht ein Akkordeon und die Stimme von Grian Chatten, die so klingt, als würde er den ganzen Tag Kaugummi kauend durch die Straßen laufen, mit beiden Händen in den Taschen, und seinen Gedanken überall, nur nicht im Hier und Jetzt. Dazu singt er: „The world has changed beyond our doorstep/People talk and dress so strange/I don’t know a neighbour’s name/And all of life is rearranged.“ Spöttisch. Poetisch. Großartig. Bloomsday atmet die Verträumtheit des Shoegaze, während sich der Titelsong für die Club-Szene Londons zurechtmacht, und Roman Holiday zeigt, dass es nicht immer zwei Brüder mit Minderwertigkeitskomplexen braucht, um Melodien für Millionen oder das Wembley-Stadion zu schreiben.
Wie man sieht ziemlich viel England im Fontaines D.C.-Kosmos, was daran liegen mag, dass die Band ihren Mittelpunkt mittlerweile in London gefunden hat. Dies bietet einen Anlass sich mal wieder mit dem Irisch-Sein auseinanderzusetzen – diesmal aus der Perspektive derjenigen, die ihr Heimatland verlassen haben – und damit nicht klar kommen. Der Albumtitel bedeutet so viel wie „die Verdammnis des Hirsches“, während das Cover eben dieses Tier zeigt, herausgelöst aus seinem natürlichen Lebensraum. Es zerreißt uns und Chatten selbst das Herz, wenn er in I Love You einerseits mit der Liebe zu seinem Heimatland und andererseits mit den dort vorherrschenden gesellschaftlichen Gegebenheiten ringt: „This island’s run by sharks with children’s bones stuck in their jaws“. Hört sich pathetisch an, klingt aber selten so. Chatten wie seine Band treffen den richtigen Ton, und auf Skinty Fia so viele richtige Entscheidungen, dass auf sie Großes warten könnte.
Label: Partisan/Pias/Rough Trade
VÖ: 22.04.2022Genre: Post-Punk
Vergleichbar:
Shame – Drunk Tank Pink
The Murder Capital – When I Have FearsWertung:
13/15