Nachdem sie im Rahmen ihrer Reunion-Tour Anfang 2019 in der Halle sowie einige Monate später zusammen mit Frank Turner im Kulturpark aufgetreten waren, gastieren Muff Potter mit ihrem Comeback-Album Bei aller Liebe im Gepäck zum insgesamt 15. Mal in den Räumlichkeiten des Wiesbadener Schlachthofs.
Bevor die Band aus dem westfälischen Rheine aus dem Kesselhaus ein Tollhaus macht, gibt es erstmal Post-Punk von Die Arbeit auf die Ohren. Die Band aus Dresden hat seit 2020 zwei Alben veröffentlicht, auf denen Sänger Maik Wieden unsere Gesellschaft pessimistisch seziert. Während sich das Publikum noch nicht so recht direkt vor die Bühne traut, nimmt der Applaus für die Performance des Quartetts mit jedem weiteren Song zu, was so auch für die Qualität des Auftritts gilt. Spätestens ab Scherben zu Beginn der zweiten Hälfte überträgt sich der druckvolle und von Bass und Schlagzeug motorisch angetriebene Sound in Verbindung mit einer akzentuierten und atmosphärischen Beleuchtung auch auf die Menschen vor der Bühne. Insbesondere Wieden weiß mit seiner beruhigenden und dennoch kraftvollen Stimme in seinen Bann zu ziehen, was im finalen Im Büro mit der sich wiederholenden Textzeile „Holz/ Stein/ Metall/ Material“ seinen Höhepunkt findet. Dafür begibt er sich ins Publikum, was das Ganze noch eindringlicher erscheinen lässt, während sich der Rest der Band in einen Rausch spielt. So sollte deutscher Post-Punk 2022 klingen.
Wie deutscher Punk heutzutage klingen sollte, haben Muff Potter mit Bei aller Liebe eindrucksvoll gezeigt: zu einem breiten Soundspektrum zeigt sich Sänger Thorsten Nagelschmidt als sozialer Beobachter (sowohl auf Social Media als auch dem Leben vor der Tür) und wählt antikapitalistische bis gesellschaftskritische Worte, die hervorragend zum Romanautor Nagelschmidt passen. Wie gut die neue Platte zum Rest der Band-Diskografie passt, zeigt sich heute Abend, denn Muff Potter spielen ihr gesamtes neues Album live. Los geht es mit dem auch das Album eröffnenden Trio Killer, Ich will nicht mehr mein Sklave sein und Flitter & Tand, zu denen vor der Bühne direkt getanzt und lautstark mitgesungen wird. Dass sowohl Band als auch Publikum Bock haben, zeigt sich vor der Bühne durch einen recht schnell eröffneten Moshpit und das Mitsingen der Songtexte aus voller Kehle sowie auf der Bühne durch eine energische Performance sowie gutgelaunte und humorvolle Ansagen von Nagelschmidt, der im Anzug und mit einem Glas Wein bewaffnet die Aura einer Deutschpunk-Vaterfigur besitzt.
Dass Muff Potter auf der Tour zu ihrem ersten Album seit 13 Jahren von der ursprünglich angedachten Schlachthof-Halle in das deutlich kleinere Kesselhaus ausweichen müssen weil der Kartenverkauf wie bei so vielen anderen Künstler*innen und Bands nicht gut läuft, ist einerseits schade, andererseits ist die Hütte so wenigstens ausverkauft und es entsteht schnell ein intimes Ambiente. Zudem sind Muff Potter zum ersten Mal überhaupt im Kesselhaus zu Gast, womit sie nun in jeder aktuell möglichen Schlachthof-Location aufgetreten sind. Als Live-Highlight unter den neuen Songs entpuppt sich Ein gestohlener Tag, dessen „Niemals mehr zur Arbeit gehen“-Refrain auf Bitten von Nagelschmidt das Publikum übernimmt. Zum ersten Mal richtig ausgerastet wird zu Das seh ich erst wenn ich’s glaube, an dessen Ende es zu einem kurzen Konflikt im Publikum kommt, den Bassist Dominic Laurenz jedoch schnell mit einer deutlichen Ansage auflöst. Take A Run At The Sun wird schließlich erneut inbrünstig mitgeschrien und im Pit gefeiert. Für die erste Zugabe Nottbeck City Limits begibt sich nun Nagelschmidt ins Publikum, bevor Wir sitzen so vorm Molotow nach Fotoautomat noch einmal alle Kehlen im Raum einfordert und Die Guten ein fantastisches und sowohl schwitziges als auch intimes Konzert abschließt. Die beste Nachricht ist aber, dass sich Muff Potter nicht nur für eine Reunion-Tour wieder zusammengeschlossen haben, sondern wieder voll zurück sind und bereits Witzchen über ein mögliches weiteres Album machen. Schöne Tage!