Ganze vier Jahre hat es gedauert, bis wir endlich wieder ein Album von Birds In Row in den Händen halten können. Die experimentelle französische Hardcore-Punk-Band verarbeitet auf Gris Klein diesen Zeitraum und insbesondere die Gefühle und Eindrücke während der Isolation und den Lockdowns zu Pandemiebeginn und liefert eine Platte, bei der emotionale Ausbrüche vorprogrammiert sind.
Mit dem Opener Water Wings wird das Album brachial eingeleitet. Die Instrumente wirken hier wie sich auftürmende Wellen, bereit, die Hörer*innen zu erschlagen und mit sich in die atmosphärischen und melodischen Tiefen zu zerren. Das folgende Daltonians – ein veralteter englischer Begriff für Farbenblinde – ist mit knapp zweieinhalb Minuten der kürzeste Song der Platte, spielt mit Shoegaze-Zügen und ist laut der Band ein Aufschrei gegen Fehlinformationen, wie sie gerade zu Pandemiebeginn oft ganze Massen verwirrt und verängstigt haben. Gerade die Vocals fangen diese nahezu panische Verzweiflung unfassbar gut ein, und dennoch weiß man, ebenso beim nachfolgenden Song Confettis, nicht so recht, ob man gerade lieber tanzen oder mit dem Kopf zum Beat nicken möchte, oder doch lieber mit Tränen in den Augen irgendetwas anschreien möchte. Eines der absoluten Highlights von Gris Klein, Noah, ragt bereits mit seinen stolzen sechseinhalb Minuten empor und baut mit emotionalen Post-Punk-Elementen und cleanen Gesangsparts einen gigantischen Berg an Spannung auf. Wenn es einen Song gäbe, der Birds In Row verkörpern würde, wäre es definitiv dieser. Mit dem gleichen Spannungsaufbau endet der Song mit wabernder, singender Gitarre, während die Drums immer mehr in den Vordergrund rücken, bevor Schlagzeuger Timothee Duchesne abrupt in einem Fill endet.
Cathedrals ist ebenso wie seine beiden nachfolgenden Songs, Nympheas und Grisaille, wieder etwas melodischer gehalten, teils aber auch etwas schrammeliger, was die Stimmungsschwankungen, die alle von uns während der langwierigen Isolation durchlebt haben, gut widerspiegelt. Nympheas bietet zu Beginn treibende Blastbeats, doch die Stimmung des Songs wechselt schlagartig in fast schon Pop-Punk und überrascht damit diejenigen, die nicht mit den typischen Genrewechseln und der Experimentierfreude des Trios vertraut sind, aber zieht die Hörer*innen dennoch mit. Ein weiteres Überraschungsmoment folgt mit dem stark kontrastierenden Trompe L’oeil, das zuerst eher gefühlvoll daherkommt, bevor man von einer beinahe chaotischen Sound-Wand erschlagen wird, die ordentlich nach vorne schiebt, bevor sie wieder in ruhigeren Klängen verebbt. Rodin stellt hingegen einen der eher technischen, wummernden Songs und einen Kontrast dar, vor allem durch seine elektronischen Parts und hämmernden Bässe, die an eine Hardcore-Punk-Version von Tool erinnern. Das Intro von Winter, Yet spielt ein bisschen mit zur Winterthematik passenden Schlittenglöckchen und einer sehr überraschenden Trillerpfeife, die letztendlich treibendere Parts einläutet. Der Closer Secession bietet einen soliden Abschluss des Albums, und lädt dazu ein, während der letzten, mit ordentlich Reverb gefüllten, Minute des Songs das Album und die damit verbundenen Emotionen noch einmal zu reflektieren.
Birds In Row haben mit Gris Klein das Porträt einer chaotischen, einschneidenden Zeitspanne geschaffen, ohne dabei den Fokus darüber zu verlieren, was sie seit Jahren als ihr Motto verstehen: „Liebt einander, unterstützt einander.“ Im Vergleich zum Vorgängeralbum We Already Lost the World (2018) ist es um einiges depressiver und rauer, dadurch und dank ihrer Experimentierfreude fangen Birds In Row die Stimmungen und Eindrücke der Pandemie und vergangenen Jahre gekonnt ein.
Label: Red Creek Recordings
VÖ: 14.10.2022Genre: Hardcore-Punk, Post-Punk
Vergleichbar:
Touché Amoré – Dead Horse X
Daïtro – Vinyl CollectedWertung:
13/15