Bully – Lucky For You (Label: Sub Pop/VÖ: 02.06.)
Das vierte Album von Alicia Bognanno alias Bully ist vom Tod ihres Hundes Mezzi inspiriert und handelt daher vor allem von Trauer, Verlust, persönlichem Schmerz und der Herausforderung, nach einem Schicksalsschlag weiterzumachen. „I’m living in the same black hole/ But there’s flowers on your grave that grow” singt sie etwa in der Single Days Move Slow, die sie nur kurz nach Mezzis Tod geschrieben hat. „My heart’s breaking on the bathroom floor/ Begging for time, I want a little more/ I miss you waiting outside the door/ And I want my baby girl back/ If you ask me, she was gone too soon” heißt es dagegen im zurückgelehnten A Wonderful Life. Trotz der düsteren Themen klingt Lucky For You musikalisch nie düster, sondern fast immer hoffnungsvoll. Das ist dem Indie-Alternative-Shoegaze-Grunge-Pop zu verdanken, der im sehnsüchtigen und den Alkoholverzicht von Bognanno thematisierenden („I’ll never get fucked up again“) Opener All I Do wie eine rauchige Version von The Beths klingt, während in Lose You Sophie Allison alias Soccer Mommy mitsingt. Das programmatisch betitelte Hard To Love handelt zudem von Selbstzweifeln. How Will I Know ist ein toller Ohrwurm, wohingegen das schleppende A Love Profound mit seinen Spoken-Word-Parts deutlich sperriger daherkommt. Nach der mit Cello angereicherten Ballade Ms. America schließt die an die US-Politik gerichtete 110-Sekunden-Grunge-Tirade All This Noise ein starkes Album ab.
Foo Fighters – But Here We Are (Label: Roswell/RCA/Sony/VÖ: 02.06.)
Das elfte Album der Foo Fighters ist ihr erstes seit dem plötzlichen Tod von Schlagzeuger Taylor Hawkins im März 2022. Frontmann Dave Grohl hat im vergangenen Jahr zudem seine Mutter Virginia verloren und verarbeitet das Ableben der beiden ihm sehr nahestehenden Personen in den zehn Songs auf But Here We Are. Die klingen trotz der abgeleisteten Trauerarbeit immer wieder euphorisch, wie das kraftvolle und mit Zeilen wie „Someone said I’ll never see your face again/ Part of me just can’t believe it’s true/ Pictures of us sharing songs and cigarettes/ This is how I’ll always picture you“ eindeutig ihrem jahrzehntelangen Schlagzeuger gewidmete Under You. Das mit einer überlebensgroßen Bridge ausgestattete und eröffnende Rescued ist wiederum Flucht nach vorne, während Hearing Voices an dritter Stelle erstmals das Tempo herunterschraubt und Grohl mit Zeilen wie „I’ve been hearing voices/ None of them are you“ nackt und verletzlich zeigt. Der Titeltrack und Nothing At All fahren die rockigsten Refrains der jüngeren Bandgeschichte auf, während im wunderschönen und zurückgelehnten Show Me How Dave Grohl von seiner Tochter Violet stimmlich unterstützt wird. Nach dem austauschbaren Beyond Me zeigen die Foo Fighters mit The Teacher, dass sie auch hervorragende zehnminütige Songs schreiben können. Wie sie den Song nach einem verhaltenen Intro erst anschwellen lassen, in der Mitte herunterfahren und am Ende noch einmal aufleben lassen, während sich Grohl bei seiner Mutter für alles bedankt, was sie ihm beigebracht hat, zählt zu den besten Momenten der Platte. Die wird von der Ballade Rest abgeschlossen, in der Grohl mit den Zeilen „Rest, you can rest now/ Rest, you will be safe now“ mit der Trauerarbeit abschließt. Mit Josh Freese haben die Foo Fighters vergangenen Monat einen neuen Schlagzeuger vorgestellt und bereits erste Konzerte mit ihm gespielt, die Drums hat auf But Here We Are hingegen Dave Grohl komplett selbst eingespielt und auch die Produktion hat die Band zusammen mit Bandproduzent Greg Kurstin selbst übernommen. Vielleicht klingt But Here We Are deswegen gleichzeitig so intim und dennoch hoffnungsvoll. Wenn in Rescued am Ende aus „I’m just waitin‘ to be rescued” „We’re all just waitin‘ to be rescued tonight“ wird oder Grohl im Refrain von Under You „There are times that I need someone, there are times I feel like no one/ Sometimes I just don’t know what to do” singt, bezieht er sich zwar auf persönliche Schicksalsschläge, verwandelt diese aber in universelle und zeitlose Texte, die schon immer zu den Stärken der Foo Fighters gehört haben. Auch deswegen ist But Here We Are ein schmerzhaft schönes Album und ein Denkmal für zwei Leuchttürme im Leben von Dave Grohl.
Rival Sons – Darkfighter (Label: Atlantic/Warner/VÖ: 02.06.)
Das Quartett aus Long Beach, Kalifornien beschenkt sich zum 15-jährigen Jubiläum mit einem Doppelalbum. Richtig, Darkfighter wird Ende des Jahres um das passend betitelte Lightbringer erweitert. Damit möchten die Bluesrocker ihrer überbordenden Kreativität aus dem vergangenen Jahr gerecht werden. Während Lightbringer Licht ins Dunkle bringe und den Ring aufräume, bekämpfe Darkfighter die Dunkelheit und hänge in den Seilen des Rings, so Sänger und Gitarrist Jay Buchanan. Auf dem siebten Album der Rival Sons geht es zudem um die von Isolation und Pandemie ausgelöste Spaltung, der sie mit ihrer Musik entgegensetzen wollen. Ein Song wie Darkside – neben Horses Breath einer von zwei sechsminütigen Songs zum Abschluss der Platte – klingt mit seinem phasenweise nur aus Akustikgitarre und Gesang bestehenden Arrangement da schon überraschend düster. Das gilt lyrisch auch für den aufs Gaspedal drückenden und die Unausweichlichkeit unseres Todes thematisierenden Ohrwurm Nobody Wants To Die, der musikalisch aber eher davor wegzurennen scheint. Bird In The Hand ist wiederum stampfender Classic Rock im Midtempo mit Orgel im Hintergrund und Americana-Intro, während das kraftvolle Bright Light seinem Songtitel entsprechend Wärme ausstrahlt, in der Bridge aber etwas uninspiriert wirkt. In Guillotine gibt Buchanan hingegen gleich zu Beginn mit dem Ausruf „The guillotine is high and clean/ Ready to catch a breath of the beast” die Marschrichtung Hardrock vor, die trotz druckvoller Instrumentierung dank seines röhrenden Gesangs und des gefühlvollen Pre-Chorus aber weiter im Blues verankert bleibt. Horses Breath findet zwischen atmosphärischem Intro und Outro hingegen zum Soul. So entsteht Vorfreude auf die zweite Hälfte.
Squid – O Monolith (Label: Warp/VÖ: 09.06.)
Das aus Brighton stammende und aktuell in Bristol ansässige Quintett dreht auf seinem zweiten Album völlig frei. Nicht nur, was den diesmal mit Krautrock, Ambient, Avantgarde, Drone, Noise und Artrock angereicherten Post-Punk der Band betrifft, sondern auch die lyrischen Einflüsse. So ist O Monolith der Versuch von Schlagzeuger und Sänger Ollie Judge, trotz seines „angeborenen Zynismus“ eine spirituelle Platte zu machen. Für die Aufnahmen haben sich Squid passenderweise in die im ländlichen Wiltshire gelegenen Real World Studios von Peter Gabriel begeben, von denen aus man durch große Fenster auf die Landschaft der britischen Grafschaft blicken kann. Der sich nahezu als einziger der acht Songs Wiederholungen leistende, famose Opener Swing (In A Dream) sei von einer nächtlichen Vision des Ölgemäldes „The Swing“ des französischen Malers Jean-Honoré Fragonard inspiriert, während das folgende Devil’s Den nach einer Grabkammer in Wiltshire benannt ist, die nachts von Dämonen besucht werden soll. Undergrowth ist wiederum von den Erfahrungen von Judge während der Corona-Lockdowns inspiriert, während denen er eine Obsession mit dem Animismus (der Glaube, dass lebende Wesen als auch unbelebte Objekte eine Seele besitzen) entwickelte und sich fragte, ob in seinen Mülltonnen Geister leben. Das immer wieder anschwellende The Blades verweist dagegen auf die Polizeibrutalität, die die „Kill the Bill“-Proteste in Bristol 2021 ausgelöst haben. Der bereits sperrig betitelte und von Gitarrist Anton Pearson geschriebene Closer If You Had Seen The Bull’s Swimming Attempts You Would Have Stayed Away erzählt hingegen eine fiktive Geschichte über Ratten, die mit den römischen Kolonisatoren ins Vereinigte Königreich gekommen sind. Mit zu Beginn geflüstertem Gesang und dem hinten raus einsetzenden Hintergrundchor verpassen Squid dieser Geschichte den passenden unheimlichen Sound. Devil’s Den füllt die Band dagegen mit jeder Menge übernatürlicher Symbolik, während der Song leider etwas skizzenhaft bleibt. Siphon Song greift ebenfalls auf gespenstische Synthesizer zurück, die aber von mechanischem Daft-Punk-Gesang überstimmt werden. Green Light ist wiederum der beste Black-Midi-Song, der nicht aus der Feder der artverwandten Band aus London stammt. O Monolith ist im besten Sinne Musik für alle Menschen, die Refrains verabscheuen, es gerne verkopft mögen und deren Lieblingsalbum von Radiohead Kid A ist.
Queens Of The Stone Age – In Times New Roman… (Label: Matador/VÖ: 16.06.)
Zehn Jahre nach ihrem bislang letzten Meisterwerk …Like Clockwork hat mit In Times New Roman… erneut ein Schicksalsschlag von Frontmann Josh Homme ein Album der Queens Of The Stone Age beeinflusst. War es vor einer Dekade eine Nahtoderfahrung von Homme, ist es dieses Mal seine Scheidung von Brody Dalle, die das achte Album seiner Band beeinflusst hat. Kurz vor Veröffentlichung der Platte hat der Sänger und Gitarrist zudem in einem Interview öffentlich gemacht, dass im vergangenen Jahr bei ihm Krebs diagnostiziert wurde, er sich glücklicherweise aber einer wohl erfolgreichen Operation unterzogen habe und sich derzeit in Remission befinde. Auch auf In Times New Roman… bleibt das Quintett aus Seattle, Washington seinem Desert-Alternative-Rock mit Stoner-Elementen treu und kanalisiert diesen größtenteils in den seit …Like Clockwork bekannten Midtempo-Gefilden, was größtenteils gut funktioniert. Der Opener Obscenery fährt etwa einen zugleich druckvollen und verkopften Refrain auf, zieht anschließend aber die Handbremse um immer präsenter werdenden Streichern die Vorfahrt zu lassen und wiederholt diese Tempovarianten anschließend erneut. Paper Machete zieht anschließend das Tempo erstmals an, bleibt aber vor allem wegen seines tollen Riffs in Erinnerung. Das gilt auch für das etwas eintönige Made To Parade, das hinten raus schon fast feierlich klingt, ebenso wie das von einem mystischen Riff bestimmte und triumphal ins Ziel marschierende Sicily. Heraus sticht dagegen der lässige Refrain des breitbeinig gerifften Emotion Sickness sowie der neunminütige und schleppende Albumcloser Straight Jacket Fitting. In Times New Roman… zeigt die Queens Of The Stone Age weiterhin altersmilde und besitzt einen guten Flow, etwas mehr Abwechslung und flottere Songs wie What The Peephole Say hätten dem Album aber gut getan. Denn so sind Hits wie No One Knows, Go With The Flow oder selbst ein Little Sister Mangelware. Und ob es eindeutig an Dalle gerichtete Zeilen wie „Truth is, face to face, you’re a coward/ Sharp as a paper machete“ gebraucht hätte, sei ebenfalls dahingestellt.
Militarie Gun – Life Under The Gun (Label: Loma Vista/VÖ: 23.06.)
Ian Shelton hat mit Anfang 30 bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Der Frontmann von Militarie Gun ist in einer mit Suchtproblemen kämpfenden Familie aufgewachsen und hat dies früh in Musik kanalisiert. Vor Militarie Gun bei der Hardcore-Band Regional Justice Center, mit der er immerhin zwei Alben veröffentlicht hat. Vor der Pandemie hat der Sänger immer mehr Musikvideos gedreht, unter anderem für Angel Du$t und Drug Church und ist nach L.A. gezogen, um weiter Filme zu drehen, wird jedoch 2020 abrupt dabei gestoppt. Corona bringt bei Shelton das Interesse am Songwriting zurück, woraufhin er noch im gleichen Jahr Militarie Gun gründet und die Debüt-EP My Life Is Over (2020) in Eigenregie aufnimmt. 2021 folgen die beiden All Roads Lead To The Gun-EPs, die 2022 zudem mit vier neuen Songs auf einer Deluxe Edition versammelt erscheinen. Life Under The Gun ist nun das erste richtige Album der Band, die darauf ihre hymnenhafte Melodieseligkeit auf die Spitze treibt, während die Texte vor allem von Sheltons Jugend beeinflusst sind. „I’ve been feeling pretty down/ So I get very high“ singt er etwa im seine Drogenvergangenheit verarbeitenden Very High, während sich der Opener Do It Faster mit seiner Aufmerksamkeitsdefizitstörung und seiner Hyperaktivität auseinandersetzt und den ersten großen Refrain der Platte auffährt. Auf Life Under The Gun stehen Militarie Gun zwar immer noch im Hardcore, jedoch nur noch mit einem Fuß. Den anderen halten sie immer wieder in Indie (etwa bei der großartigen Ballade My Friends Are Having A Hard Time) und sogar Pop. Für Pop klingt die Band jedoch noch immer zu aggressiv, für Hardcore aber schon fast zu weich. Kaum ein Song kommt über das Midtempo hinaus, gleichzeitig ist der raue Gesang von Shelton nicht weit von dem entfernt, was Sänger*innen in klassischeren Hardcore-Bands veranstalten. Hardcore-typisch gehen die Songs zudem nie länger als 2:53 Minuten (ein Drittel sogar weniger als zwei Minuten) und wie die Hardcore-Erneuerer Turnstile verbreiten Militarie Gun jede Menge positive Energie, auch dank des vermehrten und an Angel Du$t erinnernden Einsatzes von Akustikgitarren. Dass das letzte Drittel nicht ganz das Niveau der ersten acht Songs hält: geschenkt.